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Debatte zum „Etat de la nation“Kritik an fehlender konsequenter Steuerreform

Debatte zum „Etat de la nation“ / Kritik an fehlender konsequenter Steuerreform
Martine Hansen (CSV) kritisierte besonders das Ausbleiben der versprochenen Steuerreform  Foto: Editpress/Alain Rischard

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Ehe die Debatten zur Erklärung des „Etat de la nation“ am Donnerstag fortgesetzt werden, sprachen am Mittwoch Vertreter aller Parteien zum Thema. Neben der noch am Dienstag von LSAP-Präsident Yves Cruchten festgestellten Binsenweisheit, dass bei solchen Debatten die Einschätzung der Vertreter der Regierungsparteien eine durchaus positive und jene der Oppositionsparteien das Gegenteil sei, fiel auf, dass gleich mehrere Parteien sich auf die Wahlen im Oktober 23 vorbereiten und sich entsprechend positionieren.   

Martine Hansen, Fraktionssprecherin der CSV, war die erste Rednerin – und verwies eingangs darauf, dass der russische Angriffskrieg in der Ukraine nicht am Ursprung aller Krisen sei, die das Land zurzeit treffen. Die allgemeine Preissteigerung und die Zunahme der Armut seien auch zuvor feststellbar gewesen. Nun aber würde die Preisentwicklung extrem gespürt und mittlerweile müsse verhindert werden, dass die Mittelschicht zu den großen Verlierern gehöre. Auch die Betriebe würden leiden, Existenzängste machten sich bei Unternehmern breit. Wirtschaft, Soziales und Klima stünden in einem Dreiecksverhältnis, das im Gleichgewicht bleiben müsse, so Hansen, die finanzpolitisch kritisierte, dass die Regierung es versäumt habe, während der guten Jahre „en Apel fir den Duuscht“ beiseite zu legen. 

Die Triple-A-Note sei zwar wichtig für den Finanzplatz, die Menschen dürften aber nicht die Konsequenzen der strukturellen Fehler, sprich der zu hohen Ausgaben, tragen. 

„Steuern: Neun Jahre geschah nichts“

Dass die angekündigte Steuerreform ausbleibt, was Finanzministerin Backes mit den Kosten einer solchen Reform in Höhe von zwei Milliarden erklärte, ließ die Fraktionssprecherin nicht gelten, da neun Jahre unter der aktuellen Koalition diesbezüglich nichts geschehen sei – Hansen verwies auf LSAP-Positionen, die genug Spielraum für eine größere Reform sehen, ehe sie an die entsprechenden CSV-Forderungen erinnerte.

Der Wohnungsmarkt bleibe das Sorgenkind Nummer eins im Land, zumal die gestiegenen Kreditraten es jungen Menschen ohne Unterstützung der Familie unmöglich machten, Besitzer einer Immobilie zu werden. Mehr, günstiger und schneller bauen, sind hier die Rezepte der CSV, die aber auch auf den Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten für Beschäftigte im Bau hinweist. Außerdem würden immer noch Bauschuttdeponien fehlen.

Die Gesundheitspolitik sei in einer Sackgasse, so die Kritik an der Regierungspolitik weiter. Auf eine Darmspiegelung etwa müsse man inzwischen sechs bis acht Monate warten, auf eine Mammografie bis ein Jahr, das e-santé-Dossier funktioniere nicht, die CNS sei zu schwerfällig aufgestellt, um dem medizinischen Fortschritt folgen zu können. 

Die nötigen Infrastrukturen würden bei der Mobilität fehlen; zwar sei der öffentliche Verkehr nun gratis, funktioniere aber besonders in den ländlichen Regionen schlecht. Nachdem sie pragmatisches Handeln in der Klimapolitik angemahnt hatte, kritisierte Martine Hansen u.a. auch die Wirtschaftspolitik der Regierung, die beispielsweise die Digitalisierung nicht schnell genug vorantreibe. Im Bereich der Landwirtschaft müsse es die primäre Aufgabe der Bauern sein, gesunde Lebensmittel zu produziere – und nicht die Landschaftspflege zu betreiben.      

„Keine Steuerreform auf Pump“

Die Notwendigkeit einer Steuerreform zur Entlastung der Mittelschicht sieht zwar auch Gilles Baum (Fraktionspräsident der DP); diese sei aber zurzeit nicht zu finanzieren. Auch sei die DP für eine Individualisierung der Steuern, wolle aber keine „Reform auf Pump“ machen: Eine Rezession stehe im Raum und die wirtschaftlichen Wachstumsraten seien inzwischen bei hoher Inflation sehr niedrig. 

Die Regierung fördere weiter die Energietransition – und beim Wohnungsbau habe sie mit dem Wohnungspakt 2.0 und den neuen Steuern auf leerstehenden Wohnungen und unbebautem Grund gute Instrumente gegen die Krise geschaffen. Gesundheitspolitisch seien, so auch Baum, Reformen notwendig. Viele Eingriffe seien außerhalb der Krankenhäuser möglich; die Gründung von Gemeinschaftspraxen sei deshalb eine gute Sache; die Ärzte müssten aber weiter für einen (bezahlten) Bereitschaftsdienst in den Spitälern zur Verfügung stehen. Der DP-Sprecher ging weiter auf familienpolitische Erfolge der Koalition ein (verlängerter Elternurlaub), sowie auf Neuerungen in der Schulpolitik (Hausaufgabenhilfe, gratis Musikunterricht, kostenloses Essen für die Schüler, Schulpflicht bis 18 Jahre).       

Myriam Cecchetti („déi Lénk“), rechts im Bild neben Parteikollegin Nathalie Oberweis, verlangte einen Systemwechsel: die aktuellen Krisen seien struktureller Natur 
Myriam Cecchetti („déi Lénk“), rechts im Bild neben Parteikollegin Nathalie Oberweis, verlangte einen Systemwechsel: die aktuellen Krisen seien struktureller Natur  Foto: Editpress/Alain Rischard

 Der Parteipräsident der LSAP, Yves Cruchten, unterstrich, die Regierung müsse den Menschen in der aktuellen Krisenzeit Sicherheit geben und Vertrauen aufbauen, da der Krieg in der Ukraine etwa für viele zur permanenten psychischen Belastung geworden sei. Er lobte das Luxemburger Modell, das sich während der Tripartite erneut bewährt habe – und verteidigte die dort beschlossenen Maßnahmen. 

„Der Staatshaushalt ist gesund“

Cruchten verwies weiter auf die guten Staatsfinanzen des Landes und darauf, dass der Anteil der Lohnempfänger an den Steuereinnahmen stark gestiegen sei. Es gelte nun, das entsprechende Gleichgewicht zwischen Haushalten und Betrieben wieder herzustellen. Auch machte er klar, dass die Steuerreform für die LSAP aktuell bleibt, wenn auch schrittweise. Die Entlastung der Beschäftigten sei zwar teuer, aber notwendig; die Reform müsse weitergehen. Die Förderung der Kaufkraft sei wichtiger als ein angsterfülltes Starren auf die Rating-Agenturen und ihre Entscheidung bezüglich des Triple-A.

Gesundheitspolitisch begegne die Regierung der Personalnot u.a. mit einem kompletten Ausbildungsweg zum Arzt an der Uni.lu. Yves Cruchten lobte weiter die proaktive Wirtschaftspolitik und unterstrich, dass Luxemburg dem Klimawandel auf sozial gerechte Weise begegne. Er trat aber auch für eine Modernisierung der Justiz ein, die zu langsam funktioniere – und für eine Überarbeitung der juristischen Assistenz, um zu verhindern, dass nur mehr Reiche vor Gericht ziehen könnten. 

Die Fraktionspräsidentin der Grünen, Josée Lorsché, wich einer Stellungnahme zur Steuerreform aus, plädierte aber für ein konsequentes Überwinden der vielen Gräben in der Luxemburger Gesellschaft, besonders jenen zwischen Arm und Reich. Sie lobte die neuen Maßnahmen gegen Spekulation und Leerstand auf dem Wohnungsmarkt. Auch solle das Projekt, jeden Menschen im Land in der Krankenkasse (CNS) einzuschreiben, endlich eine legale Basis gegeben werden. 

Klima- und umweltpolitisch sei es wichtig, jeden mit ins Boot zu nehmen, deshalb müssten diese Maßnahmen sozial gerecht gestaltet werden. 

Fernand Kartheiser (ADR) nahm Premier Bettels Aufforderung, die Bürger des Landes dürften sich nicht auseinander dividieren lassen, zum Anlass, das Recht auf Dissens zu verteidigen. Die Energiekrise erwähnend, meinte er, das Problem sei durch die Sanktionen gegen Russland selbstgemacht – und begann anschließend eine Abrechnung mit der Regierung und den drei Parteien DP, LSAP und Grüne über die bisherigen Legislaturperioden und vier von ihm ausgemachte Krisen hinweg. Die Intervention hatte den Charakter einer Rede bei einer Wahlveranstaltung und brachte ihm denn auch die Kritik mehrerer Abgeordneter ein.

Für Myriam Cecchetti („déi Lénk“) sind die aktuellen Krisen alle Ausdruck eines strukturellen Defekts des Gesellschaftssystems. In ihrer Kapitalismuskritik ging sie u.a. auf die Ängste der Jugend angesichts der Wohnungsnot ein, erinnerte an die Forderung ihrer Partei nach einer Erhöhung des Mindestlohnes um 300 Euro. „déi Lénk“ fordern weiter eine Krisensteuer für die hohen Einkommen und verweisen auf das Demokratiedefizit in einem Land, in dem 47,1 Prozent der Einwohner keine Luxemburger sind und so kein nationales Mitspracherecht über Wahlen haben.                  

Sven Clement (Piraten) handelte sich für ein „Nondidjö“ beim Parlamentspräsidenten einen Rüffel ein
Sven Clement (Piraten) handelte sich für ein „Nondidjö“ beim Parlamentspräsidenten einen Rüffel ein Foto: Editpress/Alain Rischard

Vieles an der Erklärung des Staatsministers findet die Unterstützung der Piraten, so Sven Clement, der allerdings bedauerte, dass die Regierung bei ihren Projekten oft keine Termine zur Umsetzung nennt. Auch er kritisierte, dass die angekündigte soziale Steuerreform ausblieb und verwies auf das während der letzten drei Jahre gestiegene Armutsrisiko. Entgegen der Zusicherung der Regierung, niemand müsse in diesem Winter frieren, seien ihm Fälle bekannt, bei denen Bürgern das Gas abgestellt wurde, weil sie die Rechnung nicht zahlen konnten. Damit soll Schluss sein, so der Abgeordnete, der dies mit einem „Nondidjö“ verbal untermauerte. Und obwohl etwa Jean Asselborns Ausruf „Merde alors“ Kultstatus hat, wie auch sein Kochlöffel-„Bengel“-Vergleich, reagierte Kammerpräsident Etgen entrüstet und rief Clement zur Ordnung, was er mit dem Reglement begründete. Clement kündigte an, das Thema während der Präsidentenkonferenz weiter vertiefen zu wollen.

Heute Donnerstag wird das Parlament ab neun Uhr zu zwei Sitzungen zusammenkommen – u.a. wird die Debatte vom Mittwoch fortgeführt.