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RockmusikDie Farbe Lila: Deep Purple präsentieren neuen Gitarristen und feiern 50 Jahre „Machine Head“

Rockmusik / Die Farbe Lila: Deep Purple präsentieren neuen Gitarristen und feiern 50 Jahre „Machine Head“
Deep Purple bei einem Auftritt in Sevilla im September dieses Jahres Foto: Cristina/Quicler/AFP

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Am Sonntag (9. Oktober) treten sie endlich noch mal an: Im Rahmen ihrer „Whoosh!“-Tour, die seit zwei Jahren verlegt wird, gastiert die Hard-Rock-Institution aus England in Esch-Belval. Doch wer oder was ist Deep Purple überhaupt, und vor allem wie viele?

Es gibt kaum eine Band, die seit mehreren Jahrzehnten existiert und immer noch in der Original-Besetzung spielt – sieht man mal von U2 ab. Andererseits gibt es nicht viele Combos, die im Laufe ihrer wechselvollen Geschichte so viele unterschiedliche Gesichter annahmen wie diese einzigartige Kapelle, die im April 1968 im englischen Hertford gegründet wurde, oder besser gesagt, zu der sich fünf Musiker damals zusammenrauften. Man kann von Deep Purple und Deep Purple reden und doch zwei völlig verschiedene Gruppen meinen. Unstrittig ist auf jeden Fall, dass keine andere Band-Biografie seit den Anfangstagen von derart vielen persönlichen Intrigen, Querelen und bodenlosen Gemeinheiten bestimmt war wie die der Band, die das Farbsymbol der Frömmigkeit, Genügsamkeit und Unschuld im Logo trägt.

Deep Purple starteten verhalten, erlebten mit ihrer Mark-II-Besetzung von 1969 bis 1974 einen grandiosen Höhenflug, erloschen 1976 mehr oder weniger kläglich, schafften 1984 einen spektakulären Neustart, um sich dann, zumindest mit ihren Studioalben, für lange Zeit im soliden Mittelmaß festzusetzen. Erst unter der Leitung von Produzent Bob Ezrin liefen sie in den letzten zehn Jahren auch im Studio wieder zu Höchstform auf. Sogar das während des Lockdowns quasi aus Langeweile zusammengeschusterte „Turning to Crime“, das nur aus Cover-Versionen besteht, ist sehr gut.

Leider hat der 68-jährige Steve Morse, Ritchie Blackmores langjähriger Nachfolger an der Gitarre und seit 25 Jahren der „Benjamin“ der Band, die Gruppe verlassen, um sich um seine an Krebs erkrankte Frau zu kümmern. Deep Purple haben demnach ihre diesjährige Tournee in der Mark-IX-Besetzung gestartet und präsentieren in ihrer neunten Verwandlung mit dem 43-jährigen Nordiren Simon McBride einen regelrechten Jüngling, auf den man gespannt sein darf, denn er wird mit jeder Menge Vorschusslorbeeren bedacht und hat den Segen seines Vorgängers – für einmal hat also keine Intrige stattgefunden.

Pacey war nie weg

Aber zurück zur magischen Mark-II-Formation, deren Faszination auch Ihr treu ergebener Vorberichterstatter, liebe Leserschaft – ein bisschen Geplaudere aus dem Nähkästchen sollte doch gestattet sein – im zarten Alter von elf Jahren erlag, nachdem ihm sein vier Jahre älterer Cousin das Best-of-Album „Deepest Purple“ auf Kassette überspielt hatte, der er fortan bedingungslos huldigte. In riesigen Lettern wurde das Logo seiner Helden auf seine senffarbene Musette gemalt – dieses damals unverzichtbare Utensil jedes Sekundar-Schülers, der etwas auf sich hielt – was dem temporären Besitzer der Umhängetasche eine gehörige Maßregelung seiner Eltern einbrachte, doch diese „Freveltat“ war man seinen Idolen einfach schuldig.

Mark II war das Maß aller Dinge: Ritchie Blackmore an der Gitarre, Jon Lord an der Hammond-Orgel, Ian Gillan am Mikrofon, Roger Glover am Bass und Ian Paice am Schlagzeug. Letztgenannter, den die Bandkollegen und Fans bis heute liebevoll Paicey nennen, ist übrigens die einzige Konstante in diesem ganzen Wahnsinn von Band-Vita, in der meistens der hinterhältige Blackmore die Strippen zog, um einen ungeliebten Kollegen aus dem Verkehr zu ziehen. Paicey ist Gründungsmitglied und war zwischenzeitlich nie weg, hat demnach bis heute alle Band-Metamorphosen miterlebt.

117 dB

Dieser Mann kann mit Sicherheit bestätigen, dass die ständigen Feindseligkeiten innerhalb des Bandgefüges auch dazu geführt haben, dass jeder Einzelne dieses großartigen Ensembles, zu welchem Zeitpunkt auch immer, alles aus sich herausgeholt hat. Purple waren laut und aggressiv; so laut, dass sie dank ihrer 10.000 Watt starken PA-Anlage, die bis zu 117 Dezibel erreichte, 1975 im Guinness-Buch der Rekorde als lauteste „Pop“-Gruppe der Welt (sic) geführt wurden. Sie waren jedoch auch progressiv und innovativ, bauten Elemente klassischer Musik und lange Improvisationen in ihre Songs ein, was sie über Jahrzehnte zu einem der aufregendsten Live-Acts machte.

Als sie im Winter 1971 mit dem mobilen Aufnahmestudio der Rolling Stones in Montreux am Ufer des Genfer Sees haltmachten und mit Hilfe von Claude Nobs, dem Leiter des „Montreux Jazz Festival“, ein leerstehendes Hotel zum Einspielen ihres nächsten Albums nutzten, das ihr bestes werden sollte, passierten unglaubliche Dinge. Deep Purple wurden Zeuge, wie ein Dummbatz während eines Konzerts von Frank Zappa & The Mothers of Invention im Kasino den Konzertsaal mit einem Flammenwerfer in Brand steckte. Zum Glück wurde niemand ernsthaft verletzt, doch das Gebäude brannte bis auf die Grundmauern nieder und Zappas Equipment war vollständig zerstört. Man fragt sich auch 50 Jahre danach, wie jemand während einer Großveranstaltung an eine Kriegswaffe geraten konnte oder wieso kein Verantwortlicher dem Typen auf die Schulter klopfte und ihn fragte: „Würden Sie Ihren Flammenwerfer bitte an der Garderobe abgeben?“

Smoke gets in your eyes

Auf jeden Fall war Roger Glover schwer beeindruckt von den Rauchschwaden, die noch bis tief in die Nacht über dem See hingen. Vom Balkon ihres Hotels kritzelte er ein paar Zeilen auf eine Papierserviette, Kollege Blackmore versah die Eindrücke am folgenden Tag mit einem ziemlich originellen Riff und so packten sie kurzerhand noch einen neuen Track auf das nahezu fertige Album. Segen oder Fluch? „Smoke On The Water“ ist mittlerweile der vielleicht abgegriffenste Song der Rockgeschichte. Doch das sagt man in der Welt der Klassik auch von Beethovens fünfter Symphonie.

Purple werden am Sonntagabend zur Freude ihrer Fans nicht weniger als fünf Songs ihres Opus magnum performen, ja sogar sechs, wenn man „When A Blind Man Cries“ noch dazuzählt, das ebenfalls bei den „Machine Head“-Sessions entstand. Leute, gönnt euch das, und wenn ihr zu denen zählt, die „Smoke On The Water“ nicht mehr hören können, bitte nicht gleich den Flammenwerfer hervorholen!

Zehn bedeutende Alben von Deep Purple:

Shades of Deep Purple (1968)

Das Debütalbum wird aus heutiger Sicht manchmal müde belächelt. Dabei ist es besser als sein Ruf. Man kann der pathetischen Stimme ihres ersten Sängers Rod Evans, die ein bisschen an Scott Walker erinnert, durchaus etwas abgewinnen, auch dem mit sehr viel Hall produzierten Gesamtsound sowie den originell umarrangierten Cover-Versionen von Beatles- und Hendrix-Songs. Es war eben eher noch Psychedelic als Hard Rock und „Hush“, ihr erster großer Hit in den USA, ist eh über jeden Zweifel erhaben.

Toptracks: Hush, Mandrake Root, Hey Joe

In Rock (1970)

Ian Gillan sagte mal in einem Interview mit der Musik-Zeitschrift eclipsed über dieses Album: „Wir waren das perfekte Team. Jon brachte das orchestrale Element und den Orgel-Blues von Jimmy Smith ein. Ritchie war diese unglaubliche Riff-Maschine. Roger hatte einen Folk-Background und Ian Paice’ Grundlage war Big-Band-Swing. Ich stand für einen Mix aus Rock ’n’ Roll und Soul. Diese Chemie war magisch.“ Man könnte noch hinzuzufügen, dass „Child In Time“ die vielleicht beste Hard-Rock-Nummer ist, die je komponiert wurde, obwohl Lord die Melodie vom Stück „Bombay Calling“ der Westcoast-Band It’s A Beautiful Day geklaut hatte.

Toptracks: Speed King, Child In Time, Living Wreck

Fireball (1971)

Ein weiteres geniales Album, das zwischen den Meisterwerken „In Rock“ und „Machine Head“ häufig übersehen wird. Der Titeltrack beginnt, als hätte jemand ein Körnergebläse eingeschaltet, ehe Paicey einen Trommelorkan loslässt und Gillan shoutet, als ob es um sein Leben ginge. Es beinhaltet außerdem einen der besten Purple-Tracks überhaupt: das live leider viel zu selten gespielte „Fools“, bei dem Blackmore eines seiner besten Soli gelingt, das wie ein Cello klingt und bei dem er nur mit dem Lautstärke-Pegel seiner Fender Stratocaster arbeitet, statt die Saiten anzuschlagen.

Toptracks: Fireball, Fools, Anyone’s Daughter

Machine Head (1972)

Auf diesem Album wird besonders deutlich, wie das Quintett die Spannung der Songs aus dem ununterbrochenen Konflikt zwischen Ritchie Blackmore und Jon Lord bezieht. Beide stacheln sich gegenseitig zu Höchstleistungen an und dann mischt auch noch Gillan, der selbst sein Hühnchen mit Blackmore zu rupfen hat, an der Mundharmonika mit. Man höre nur, was sie aus einem simplen Drei-Akkorde-Blues („Lazy“) machen – atemberaubend!

Toptracks: Highway Star, Lazy, Space Truckin’

Made In Japan (1972)

Live wurde der oben beschriebene Kampf nicht selten auf offener Bühne, vom Publikum als Teil der Show missverstanden, derart handgreiflich ausgetragen, dass Instrumente zu Bruch gingen und ins Auditorium flogen. So auch hier bei den legendären Japan-Konzerten vom August 1972, wo Purple sich „au sommet de leur art“ präsentieren und deren Zusammenschnitt für viele „die Mutter aller Live-Alben“ darstellt. Die Aufnahmen zeichnen sich durch eine perfekte Balance zwischen virtuosen Soloparts, bissigen Battles und einem unvergleichlich kompakten Band-Sound aus.

Toptracks: Highway Star, Child In Time, Smoke On The Water

Burn (1974)

Nachdem Gillan und Glover aus der Band geekelt worden waren, holte man sich nach unzähligen vergeblichen Anhörungen schließlich den völlig unbekannten, gerade 22-jährigen David Coverdale ans Mikrofon. Das Äußere des etwas pummeligen und schielenden Verkäufers in einer Boutique musste zwar erst auf Purple-Standard gebracht werden, doch die Wahl erwies sich als Glücksgriff. Zusammen mit Glenn Hughes am Bass und phasenweise ebenfalls am Gesang, präsentierte man sich auf diesem vorzüglichen Studioalbum zunächst in bester Eintracht, doch die nächsten Konflikte waren bereits vorprogrammiert.

Toptracks: Burn, Sail Away, Mistreated

Come Taste The Band (1975)

Auch das erste Album ohne Blackmore ist besser als sein Ruf. Es beinhaltet eine reichere musikalische Auswahl als frühere Alben der Band. Der junge Amerikaner Tommy Bolin, der zuvor eher Jazz-Rock mit Billy Cobham und Alphonse Mouzon gemacht hatte, sorgte zusammen mit Bassist Glenn Hughes für eine gehörige Portion Funk und Soul, was dem Bandsound hier hörbar guttut und die auch Sänger David Coverdale liegt. Es fehlen allerdings die ganz großen musikalischen Momente. Im März 1976 wurde die Mark-IV-Formation wieder aufgelöst. Bolin starb wenig später an einer Überdosis Heroin.

Toptracks: Getting Tighter, This Time Around/Owed to G, You Keep On Moving

Perfect Strangers (1984)

Es wird bis heute gemunkelt, die Plattenfirma Polygram hätte jedem der fünf zwei Millionen Dollar geboten, um sie für dieses Reunion-Album der Mark-II-Formation zu ködern. Alle waren etwas fülliger geworden, doch die Magie setzte sofort wieder ein. Die Produktion enthält zwei Songs für die Ewigkeit: Neben dem Titeltrack ist dies „Knocking At Your Back Door“ und auch der Rest des Albums besticht durch einen tighten Sound und solides Songwriting. Leider konnten sie diese Klasse nicht mehr auf die folgenden Alben übertragen.

Toptracks: Knocking At Your Back Door, Perfect Strangers, Wasted Sunsets

Live at Montreux (1996)

Insgesamt neunmal sind Purple beim „Montreux Jazz Festival“ aufgetreten. Dieser Mitschnitt von 1996 ist wohl der beste. Er zeigt, dass Mark VII live viel besser waren, als ihre etwas mittelmäßigen Studioalben damals vermuten ließen. „Child In Time“ hatte man definitiv aus dem Live-Repertoire verbannt, weil Gillan die Kopfstimme nicht mehr hinbekam, und es ist nicht zu überhören, dass er sich auch hier ein bisschen durch „Fireball“ und „Black Night“ krächzt. Dennoch ist dies eine Aufnahme, die durch viel Energie und Spielfreude besticht und auf der auch die damals neueren Stücke Spaß machten.

Toptracks: Ted The Mechanic, Pictures Of Home, Speed King

Whoosh! (2020)

Stellvertretend für die letzten vier hervorragenden Studioalben steht dieses Werk. Vor allem Don Airey, der sehr gute Nachfolger von John Lord, weiß zu glänzen, aber auch Gitarrist Steve Morse holt immer wieder Verblüffendes aus seinem Instrument heraus. Der große Jon Lord, da kann man sich ziemlich sicher sein, würde diese Alben, die ein würdiges Erbe seiner Arbeit darstellen, lieben und wie Blackmore darüber urteilt, der seit über 20 Jahren nur noch diesen Mittelalter-Mist produziert, interessiert im Grunde niemanden mehr.

Toptracks: Throw My Bones, Nothing At All, Step By Step

Keep on rocking
10. Oktober 2022 - 13.37

Guter Zeitpunkt für ein Konzert vor der nächsten Corona Welle!