Als „Triangle of Sadness“, „Dreieck der Traurigkeit“, bezeichnet die Schönheitsindustrie den Bereich zwischen den Augenbrauen und der Nasenwurzel. Dort bilden sich typischerweise irgendwann Falten, die im Botox-Geschäft ein häufiges Einsatzgebiet sind. Auch einem der Protagonisten in Ruben Östlunds Kinofilm „Triangle of Sadness“ – dem Model Carl – wird empfohlen, sich an dieser Stelle das Nervengift spritzen zu lassen. Er ist 25.
Schon ist man bei einem zentralen Thema, um das es im Werk des Schwedens Östlund geht: Schönheit als Ware. Und Klassenunterschiede – denn nicht jeder in diesem Film ist darauf angewiesen, sein Äußeres zu vermarkten. Die Sozialsatire erzählt von der Welt der Influencer und Superreichen. Mit überzeichneten Charakteren und einem irren Plot Twist ausgestattet, macht es der Film Kinozuschauern leicht, sich dazu zu verhalten. Das ist vermutlich ein Grund, warum er bei den Filmfestspielen in Cannes dieses Jahr die Goldene Palme gewann.
Der erste Teil spielt größtenteils auf einer Luxusjacht. Mit von der Partie sind dort die Influencerin Yaya (verkörpert von Charlbi Dean, sie starb im Sommer mit 32 Jahren unerwartet an einer unbekannten Krankheit) und Carl (Harris Dickinson). Den beiden wurde die Reise gesponsert, auf der Jacht muss Carl Fotos von seiner Freundin etwa beim Pasta-Essen für ihr Instagram machen. Die Nudeln hat sie nur fürs Foto vor sich stehen, essen wird sie sie nicht. Denn Yaya muss in Form bleiben und ist außerdem glutenintolerant.
„In den Wolken“
Solche Probleme haben die wirklich Reichen auf der Jacht nicht. Zum Beispiel der Milliardär Dimitri (Zlatko Buric), der sein Geld mit Düngemitteln gemacht hat (seine Freundin wird von Sunnyi Melles gespielt). Oder das freundliche, ältere britische Ehepaar, das mit dem Vertrieb von Handgranaten reich geworden ist.
Nur der Kapitän (Woody Harrelson) lässt sich nicht blicken. Warum, wird bald klar: Er ist Marxist und angesichts seines Jobs in einer Art dauer-besoffener Verweigerungshaltung. Ein ulkiges Personal also, das teils auch ziemlich grell überzeichnet wird. Völlig derb wird es dann beim Kapitänsdinner. Bei stürmischer See können die Reichen ihr Gourmetessen nicht bei sich behalten, es folgen ausführlich inszenierte Kotz-Eskapaden.
Auch Iris Berben ist in einer Nebenrolle zu sehen. Die 72-Jährige spielt eine Schiffsreisende namens Therese, die nach einem Schlaganfall eine Sprachstörung hat und nur noch den Satz „In den Wolken“ und manchmal „Nein“ sagen kann. „Ich finde diese Metapher so toll. In den Wolken – das hat etwas unglaublich Poetisches“, sagte sie der dpa. „Für diese Figur gibt es ein Vorbild, das ist Rubens Schwiegermutter. Ihn hat fasziniert, sich die Fähigkeit in dieser Krankheit erarbeiten zu müssen, mit einem Satz alle Befindlichkeiten, alle Fragen, die man hat, jede Form der Unterhaltung bestreiten zu müssen. Ich habe dagesessen und gedacht: Uff, wie macht man das?“
Therese sei ein „Zwischenwesen“, sagte Berben. Ein Wesen, das die Welt der Reichen gekannt und gelebt habe und dazu aber nicht mehr fähig sei. Therese ist eigentlich die spannendste Figur im Film. Weil man erst mal entschlüsseln muss, was sie uns eigentlich sagen will.
Umkehrung der Machtverhältnisse
Im letzten Teil des Films passiert etwas Unerwartetes: Nachdem die Jacht von Piraten gekapert wird, stranden ein paar der Schiffsreisenden auf einer Insel, wo die Hierarchien umgekehrt werden. Denn eine Angestellte, die sich auf der Jacht um die Toiletten kümmerte, ist die Einzige, die Fische fangen, Feuer machen und somit das Überleben der Menschen sichern kann. Die Machtverhältnisse kehren sich um.
„Triangle of Sadness“ handelt von der Absurdität des Kapitalismus und sozialer Ungleichheit. Die Botschaft des Films ist am Ende ziemlich eindeutig. Gleichzeitig unterhält „Triangle of Sadness“ und löst vielleicht auch Ekel aus. Berben formuliert es so: „Auf diesen Film kann man nur reagieren. Wenn Kino das leistet – dass du rausgehst und sagst: Darüber muss ich jetzt reden. Dann ist es Kino.“
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