Perceval hat ein hochinteressantes Konzept, aber gerade durch die Dramaturgie fallen der Musik einige Stücke zum Opfer. So fehlt das Duett zwischen Osmin und Blonde, während der Schlusschor durch ein Lied von Mozart und ein Fragment aus dessen Ballettmusik aus Ascanio in Alba ersetzt wird. Das ist zwar für diese Inszenierung stimmig, in meinen Augen allerdings ein No-Go ; denn eine Inszenierung hat sich immer nach der Musik zu richten.
Zudem nimmt sich Perceval die Freiheit, eine komplett andere Geschichte zu erzählen, dies mit einem ganz neuen und aktuellen Text der türkischen Schriftstellerin und Menschenrechtlerin Asli Erdogan. Der Serail als inneres und äußeres Gefängnis, die Protagonisten vor existenziellen Fragen, die Liebe zwischen Schmerz und Illusion. Percevals Ideen, Erdogans Texte tun weh, denn sie besitzen eine enorme Tiefe und eine große philosophische Kraft, machen aber die ursprüngliche Handlung zunichte, weil es zwischen den Hauptprotagonisten kaum Interaktionen gibt.
Osmin ist in dieser Inszenierung völlig überflüssig und seine peinlichen Einlagen sind wohl nur eingestreut worden, um die Person nicht ganz von der Bühne zu nehmen. Die drei Hauptfiguren, nämlich Belmonte, Konstanze und Blonde, haben alle ein zweites, älteres Alter Ego, das die Texte spricht; nur Pedrillo, der Vierte im Bunde, nicht. Er scheint demnach als Person auch nicht wichtig zu sein. So bleibt statt eines Singspiels eine fast oratorienhafte Entführung in einem einheitlichen, schlichten, aber wirkungsvollen Szenenbild, die durch die Beziehungsarmut der Figuren auch musikalisch keinen nachhaltigen Eindruck hinterlässt.
Das OPL spielt gelangweilt, aber korrekt und professionell, und Dirigent Fabio Bondi versteht es an keiner Stelle, Mozarts Musik zu ihrem Recht zu verhelfen. Von den Sängern überzeugen einzig die von Olga Pudova wunderschön und ergreifend gesungene Konstanze und der tolle, stimmgewaltige Osmin von Tobias Kehrer. Amelia Scicolone als Blonde singt gut, während der Pedrillo von Raphael Wittmer äußerst blass bleibt. Julien Behr ist als Belmonte eine herbe Enttäuschung; eine eng geführte Stimme ohne einen Anflug von Wärme und lyrischem Schmelz disqualifiziert ihn quasi für diese Rolle. Fazit: Diese Entführung aus dem Serail nach W. A. Mozart wird uns vielleicht durch die interessanten inhaltlichen und philosophischen Aspekte und Ideen in Erinnerung bleiben, nicht aber durch ihre Inszenierung. Und schon gar nicht durch ihre musikalische Qualität.
Nordische Farben und Rhythmen
Mit großer Begeisterung und viel Beifall bedankte sich das Trierer Publikum bei allen Ausführenden des ersten Sinfoniekonzerts der Spielzeit 22/23 des Philharmonischen Orchesters der Stadt Trier. Unter dem Titel Facetter – Nordische Facetten standen vier relativ unbekannte bzw. selten gespielte Werke von vier nordischen Komponisten auf dem Programm. Und dass es sich durchaus lohnt, einmal ein Konzert ganz auf neues Repertoire auszurichten, das zeigte sich an diesem Konzertabend.
Das Konzert begann leichtfüßig und mit Humor; die Ouvertüre zur komischen Oper Maskarade des dänischen Komponisten Carl Nielsen (1865-1931) ist ein musikalisches Feuerwerk. Die Gastdirigentin Catherine Larsen-Maguire setzte dann auch sofort auf musikalischen Schwung, den das Philharmonische Orchester der Stadt Trier allerdings hier noch nicht so recht umsetzen konnte. Vor allem fehlte es dem Spiel an innerer Kohärenz, Flexibilität und Dynamik.
Dann hatten sich die Musiker aber warmgespielt und leisteten beim 2. Klavierkonzert des aus Schweden stammenden Willem Stenhammar (1871-1927) eine hervorragende Arbeit. Sehr konzentriert und hellhörig reagierten sie sowohl auf das Dirigat von Larsen-Maguire als auch auf das fulminante Spiel der Solistin Maria Lettberg. Diese fühlte sich hörbar wohl in Stenhammars Konzert und lotete das Werk dann pianistisch auch bis in die Extreme aus. Eine hervorragende Technik paarte sich hier mit einem intuitiven Gefühl für Agogik und Farben.
Für ein Werk wie das vom New York Philharmonic Orchestra 2018 uraufgeführte Evening Land des dänischen Komponisten Bent Sörensen (*1958) braucht man eigentlich ein großes Symphonieorchester, denn nur mit einem reichen Streicherglanz kann sich der Reiz und die Farben dieses atmosphärisch dichten Werkes so richtig entfalten. Die etwas zögerlich aufspielenden Violinen des kleinen Trierer Orchesters gaben trotzdem ihr Bestes, um die Partitur so gut wie möglich in Klang umzusetzen. Catherine Larsen-Maguire dirigierte präzise und schuf eine sehr gute Klangbalance mit einer maximalen Durchhörbarkeit der melodischen Linien.
Den Abschluss des Konzerts machten die Symphonischen Tänze für Orchester op. 64 des Norwegers Edvard Grieg (1843-1907). Ganz anders konzipiert als die Ungarischen Tänze von Brahms oder die Slawischen Tänze von Dvorak, gehen Griegs Symphonische Tänze vor allem in Richtung einer viersätzig angelegten Orchestersuite. Besondere Sorgfalt lässt der Komponist bei den lyrisch-melodischen Zwischenspielen walten, die von den Trierer Musikern klangschön umgesetzt wurden. Großes Lob für die Holzbläsergruppe, allen voran die exzellente und sehr gefühlvoll phrasierende Solo-Oboistin.
„Ô le joli concert“
Eine äußerst vergnügliche Reise durch die kurzlebige Geschichte der Comédie-ballet eines Molière bereiteten William Christie und Les Arts Florissants in der Philharmonie, die diesmal von einer szenischen Umsetzung durch Marie Lambert-Le Bihan unterstützt wurden. Neben den Sängern Emmanuelle de Negri und Claire Debono, dessus, Cyril Auvity, haute-contre, Marc Mauillon, basse-taille, und Cyril Costanzo, basse glänzten der Schauspieler Stéphane Facco in den Zwischentexten und die vier Tänzer Hubert Hazebroucq, Antoine Pinget, Guillaume Jablonka und Marius Lamothe von der Compagnie Les Corps Eloquents. Dirigent William Christie, oder Bill, wie er von Facco genannt wurde, agierte ebenfalls als Schauspieler.
In der klugen Dramaturgie von Vincent Boussard wurden Molières Stücke Georges Dandin, Le malade imaginaire, La pastorale comique, Le bourgeois gentilhomme, Le mariage forcé, Les amants magnifiques und Monsieur de Pourceaugnac in der Musik von Jean-Baptiste Lully und Marc-Antoine Charpentier auszugsweise und lose zu einer durchgehenden Handlung miteinander verknüpft. Humor wurde natürlich großgeschrieben und alle Beteiligten gaben uns einen wunderbaren Einblick, was vor der Kunstform Oper die Comédie-ballet in Frankreich gewesen war. Toller Gesang, exzellente Schauspieler- resp. Tanzleistungen und ein überragend aufspielendes Les Arts Florissants machten diesen Abend zu einem sehr unterhaltsamen Vergnügen und eigentlich auch zu einem Gesamtkunstwerk. Wir freuen uns schon auf die nächste Begegnung mit Christie und seinem Ensemble.
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