Problem ist bloß, dass Wasserstoff nicht wie Kohle oder Erdöl aus der Erdkruste zu gewinnen ist. Zwar ist Wasserstoff (Symbol H für Hydrogenium) das häufigste chemische Element im Universum. Es ist auf der Erde jedoch leider nicht in freier Form vorhanden. Um es aus den verschiedensten Molekülen, mit denen es Verbindungen eingegangen ist, zur Energieerzeugung herauszubrechen – und sei es nur für olympisches Feuer – muss H2 unter Nutzung anderer Energien zuerst hergestellt werden.
So kann man Wasser (H2O) durch Elektrolyse in seine Bestandteile Wasser- und Sauerstoff zerlegen. Doch mit dem hohen Energieaufwand von 48 Kilowattstunden Strom für ein 1 Kilo H2. Die letztjährige Jahresproduktion von 70 Millionen Tonnen reinem Wasserstoff mittels Elektrolyse oder Reformierung verursachte die Emission von ca. 830 Millionen Tonnen CO2 („Atlas des énergies mondiales“). Nicht gerade ein Königsweg für die angestrebte Dekarbonisierung.
Ist der energetische Impakt der Produktion von Wasserstoff durch den Einsatz erneuerbarer Energien zu minimieren? Sonne und Wind sind theoretisch gratis zu haben. Leider nicht bei Bedarf verfügbar. Vor allem benötigen Solarpanels und Windanlagen neben Eisen und Beton den Einsatz von seltenen Erden und Metallen: Grafite, Kupfer, Kobalt, Lithium und vieles mehr. Die nur unter Einsatz von viel Energie und schweren Eingriffen in die Natur zu gewinnen sind.
Rechnet man die realen Kosten der Sonnen- wie Windenergie, kostet die Gewinnung von „grünem“ Wasserstoff durch den Einsatz der Kraft von Wind und Sonne derzeit zwei- bis viermal so viel wie die Produktion von „grauem“ Wasserstoff unter Nutzung von Erdgas oder Kohle.
Das mag sich ändern. Hoffnungsträger sind große Windpark-Anlagen auf offener See. Wo der Wind beständiger weht und somit die Produktion von Wasserstoff unter Nutzung der Windkraft billiger und – fast – ohne Backups funktionieren könnte. Bleibt dennoch das Problem der Speicherung der Energie, sowie vor allem das Problem der logistischen Verteilung des „grünen“ Wasserstoffes vom offenen Meer aus an die Endverbraucher. Alles ist theoretisch machbar, hat jedoch einen hohen Preis.
Viele Technologiesprünge notwendig
Wasserstoff wird heute schon eingesetzt in der Stahlproduktion. Etwa bei ThyssenKrupp. Auch ArcelorMittal ist interessiert. Doch um die Stahlindustrie, die Chemiewerke, die Düngemittel-Produktion und vor allem die Zement-Fabrikation durch den Einsatz von Wasserstoff vollständig zu „dekarbonisieren“, sind noch viele „Sieben-Meilen“-Schritte nötig. Mit entsprechenden gigantischen Investitionen.
Immerhin produziert die Welt derzeit jährlich vier Milliarden Tonnen Zement und zwei Milliarden Tonnen Stahl. Ebenso unverzichtbar wie etwa die Produktion von Kupfer, Kobalt, Lithium und vielem mehr. Die nicht nur zum Funktionieren der Handys und Computer beitragen, sondern auch der Produktion der erneuerbaren Energien dienen.
Der Weg zur sauberen Wasserstoff-Energiewelt wird lang und mühsam sein. Vor allem sehr kostspielig.
Eine Wegverkürzung könnte der Menschheit den schnelleren Zugang zu kostengünstigerem Wasserstoff erleichtern: Durch die Nutzung der Kernenergie, wie schon vor über 15 Jahren in Jülich am Hochtemperatur-Reaktor erforscht.
Auch Uran, der Treibstoff der Nuklear-Reaktoren, muss aufwendig aus der Erdkruste gewonnen werden. Doch ein Gramm Uran produziert mehr Energie als eine Tonne Erdöl. Vor allem ist Nuklearstrom recht sauber. Weshalb der Weltklimarat IPCC in seinem jüngsten Bericht unterstreicht, die Pariser Klimaziele für 2030 und vor allem die angestrebte Klima-Neutralität für 2050 seien ohne Kernenergie sowie ohne Nutzung der CO2-Speicherung (Carbon Capture Utilization and Storage) nicht machbar.
Die wahre Klima-Bilanz
Betrachtet man die gesamte Klimabilanz aller Energieträger, von deren Gewinnung über die Nutzung bis zur Entsorgung, ergibt sich laut dem 2021 veröffentlichen Bericht der Europäischen Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen Folgendes: Die Produktion einer Kilowattstunde (kWh) Elektrizität durch Kernenergie emittiert rund 5 Gramm CO2-Äquivalent. Im Vergleich dazu liegt die Klimabelastung der Stromerzeugung durch Kohle bei 849, Erdgas 434, Erdöl 750, Hydro 147, Wind 124 und Solar 37 Gramm CO2-Äquivalent pro kWh.
Wie man sieht, sind selbst Sonnen-, Wind- und Wasserenergie nicht klimaneutral. Der Wirkungsgrad der Sonnenkollektoren wird zwar besser. Doch nachts und in düster-kalten Wintermonaten liefert Solar wenig bis nichts.
Technologische Fortschritte werden zunehmen. In allen Bereichen. Auch beim Wasserstoff. Manche Automobil-Konstrukteure arbeiten an Wasserstoff-Autos, angetrieben durch eine Brennstoffzelle und einen E-Motor. Die Brennstoffzelle verwandelt den gasförmigen Wasserstoff in elektrischen Strom. Als Abgase gibt es bloß Wasserdampf.
Offensichtlicher Vorteil ist ein schneller Tankvorgang – das Gegenteil der langen Ladezeiten bei Batterie-getriebenen Elektromobilen. Nachteil sind die hohen Kosten für Tankstellen und Reservoirs der Autos: Wasserstoff muss entweder gasförmig mit einem Druck von 800 bar oder in flüssiger Form bei -235° Celsius gespeichert werden!
Die Technologie existiert bereits. Die Stadt Luxemburg setzte vor den Kommunalwahlen vor 18 Jahren einige Wasserstoff-Busse ein. Um sie nach der Wahl einzumotten, da das Experiment zu kostspielig war.
Das gleiche Schicksal droht der ersten Wasserstoff-Tankstelle, welche die Minister Bausch und Turmes gemeinsam mit Total-Energie für das kommende Wahl-Jahr ankündigten. Die im Bettemburger Logistik-Park geplante H2-Tankstelle soll 2,7 Millionen Euro kosten. Mit 1,7 Millionen Euro Zuschüssen durch die EU und den nationalen Klimafonds. Als Realo räumte Minister Bausch ein, im Moment gebe es kaum Nachfrage. Auch sei das derzeitige Wasserstoff-Angebot problematisch. Sein ideologisch-verträumter Kollege Turmes kündigte jedoch für 2030 nur noch grünen Wasserstoff an.
Viel Wind um Wind
Seine Hoffnung setzt Turmes auf Offshore-Windfarmen. Laut dem „Global Wind Energy Council“ gab es 2021 weltweit eine installierte Kapazität von 55 Gigawatt. Die Hälfte davon vor China. Installierte Kapazität ist nicht gleichbedeutend mit effektiver Produktion. Selbst auf See gibt es manchmal Windflauten. Bei heftigen Stürmen müssen die Rotoren wiederum aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden. Experten rechnen mit einer Jahreslastzahl („capacity factor“) von 0,4.
Was bedeutet, dass die geplante dänische Energieinsel vor Jütland, an der unser Energieminister sich beteiligen will, bei einer theoretischen 4-Gigawatt-Kapazität einige 14.000 Gigawattstunden Strom pro Jahr produzieren könnte. Könnte dieser Strom vor Ort in grünen Wasserstoff umgewandelt und ohne Verluste in Dänemark verteilt werden, könnten theoretisch 2 Millionen der dortigen 3,1 Millionen Autos mit Wasserstoff angetrieben werden. Was bliebe für die 550.000 in Luxemburg immatrikulierten Autos?
Wobei niemand eine Ahnung hat, wie die Logistik und die Umstellung der Fahrzeuge in Dänemark und in Luxemburg zu finanzieren wären. Und was mit den 1,4 Milliarden Vehikeln zu passieren hat, welche weltweit als kaum ersetzbare Transportmittel dienen.
Die Wasserstoff-Revolution wird einige Jahrzehnte benötigen. Wobei sich andere Transportträger als Autos anbieten. Flugzeuge, über flüssigen H2, und vor allem Schiffe, über Brennstoffzellen, könnten erfolgreicher und wirtschaftlicher mit Wasserstoff angetrieben werden.
Der Abschied von fossilen Treibstoffen ist nicht für morgen oder übermorgen. Während der Pandemie kam es laut IEA 2020 zu einem sechsprozentigen Rückgang der Emissionen. Doch 2021 und besonders dieses Jahr nahm der Anteil von Erdöl (31%), Erdgas (27%) und Kohle (23%) am globalen Energiemix zu. Mit einem entsprechenden Anstieg der Emissionen.
Wie schwierig die angestrebte „energetische Transition“ sein wird, zeigt die Aktualität. Jeder hofft auf einen nicht zu kalten Winter. Wobei russisches Gas durch schmutzigeres amerikanisches Shale-Gas (Schiefergas) ersetzt wird. Dessen Produktion in Europa und selbstverständlich in Luxemburg verboten bleibt. Verstehe, wer kann.
Es darf zwar geträumt werden. Doch die Realitäten bleiben hart.
* Robert Goebbels ist ehemaliger Minister (LSAP) und Europaabgeordneter
Der verstorbene Physik Professor Emile HOFFMANN aus dem LGL hatte schon 1961 die Vision der Zukunft von Wasserstoff.
Robert wie immer sehr guter Artikel mit Tatsachen und Fakten. Kommt Zeit kommt Rat und man braucht für den Fortschritt manchmal viel Geduld.
Eine pikante Neuigkeit der letzten Tage. Ein Erfinder will die Elektrizität aus den Elektro Autos nächsten Winter wieder in die Häuser leiten.
"Qui vivra, verra"
Mit Solar und Wind machen wir H2. Besser geht nicht. Jaja.Aufwendig und Drucktanks und keine Garagen und... Aber der einzige Weg. Wir könnten schon weiter sein.
Nur Geduld Robert, das wird schon was mit dem Wasserstoff. Bin zu faul um alles wieder nachzulesen, irgendwo in Deutschland ist man am Experimentieren mit Miniwasserstoffkraftwerken, sogar unser Féix Urbain ist überzeugt davon, und nicht zu vergessen, der Guy aus Kehlen!
Was meinen eigentlich die Leute von der UNI Belval?