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Esch2022„Ecce Homo“ im Resistenzmuseum: Wenn Kunst zum Widerstand wird

Esch2022 / „Ecce Homo“ im Resistenzmuseum: Wenn Kunst zum Widerstand wird
Bruce Clarke stellt keine bestimmten Konflikte dar. Vielmehr stehen seine Kunstwerke stellvertretend für wiederkehrende Gräueltaten. Foto: Simone Mathias

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Dass Kunst eine wirksame Form des Widerstandes sein kann, zeigt sich einmal mehr in der Ausstellung des engagierten Künstlers Bruce Clarke, die am vergangenen Freitag im Rahmen von Esch2022 im „Musée national de la Résistance et des Droits humains“ eröffnet wurde.

Die vor dem Museumseingang stehende Skulptur, mit hängendem Kopf und nach vorne gebeugten Schultern, mag zunächst an Atlas, den Titan aus der griechischen Mythologie, der das Himmelsgewölbe stützte, erinnern. Doch dieser überlebensgroße Atlas trägt eher das Leid der Menschheit auf seinen Schultern. Ein Wegweiser auf das Thema der Ausstellung, die mit dem bezeichnenden Titel „Ecce Homo“ nicht so sehr auf die christliche Tradition, sondern eher auf Primo Levis autobiografisches Werk „Se questo è un uomo“ – einen der vielleicht beeindruckendsten und bekanntesten Zeugnisse über die NS-Vernichtungslager – hinweist.

Die Skulptur vor dem Eingang des Museums trägt sozusagen das Leid der Menschheit auf ihren Schultern
Die Skulptur vor dem Eingang des Museums trägt sozusagen das Leid der Menschheit auf ihren Schultern Foto: Simone Mathias

In seinen großformatigen Bildern und Plakaten greift Bruce Clarke einige Konstanten von ideologisch geprägter Gewalt, wie Verfolgung, Vertreibung, Unterdrückung, Deportation, Krieg und deren verheerenden Folgen auf und verarbeitet sie dann figurativ als universell geltende Symbole. Es sind keine Darstellungen von einzelnen, bestimmten Konflikten, sondern sie stehen stellvertretend für die sich leider immer wiederholenden Gräueltaten, die jeden Tag und überall verübt werden: „Da dieses Unsagbare tatsächlich stattgefunden hat, muss es reflektiert und dargestellt werden“, so Clarke.

Die in Öl, Acryl oder als Aquarelle gemalten Bilder bergen in sich eine ganz besondere Ästhetik, die zusätzlich durch die in Collagetechnik gefertigten Sätze unterstützt wird. Diese Aussagen dienen eher als Anregung zum Nachdenken, es liegt am Betrachter, sie auszulegen. Es sind Werke, die eine klare Sprache sprechen und starke Emotionen auslösen. So die im Eingangsbereich dargestellten Holzkanus aus Madagaskar, die stellvertretend für die globale Migration stehen, aber auch für die Widerstandsfähigkeit der Menschen.

Ebenfalls hat sich der Künstler für die Escher Ausstellung zum ersten Mal mit Skulpturen beschäftigt. Die menschengroßen, aus Pappmaschee gefertigten Figuren „Survivors in Suspension“ hängen in weiße Leichentücher gehüllt von der Decke. Sie stellen das dem Unheil trotzende Überleben der Menschen dar. In dem bei der Ausstellungseröffnung dargebotenen Butô-Tanz von Tebby W.T. Ramasike wirken diese Figuren wie lebendige Gestalten. Mit seiner Performance „The Wreckage“ spielt der Tänzer auf die Widerstandsfähigkeit des Menschen an. Ramasike wurde 1965 in Südafrika geboren und realisierte bereits zahlreiche Projekte auf internationaler Ebene. In Esch kooperiert er regelmäßig mit dem Museum für Widerstand und Menschenrechte und der Kulturfabrik.

Bruce Clarkes Familiengeschichte hat einen großen Einfluss auf seine Kunst. Seine Großeltern mütterlicherseits wanderten in den späten 1920er Jahren von Litauen nach Südafrika aus. Als Juden wurden sie dort in die litauisch-jüdische Gemeinde Südafrikas aufgenommen. Beide Eltern wurden dort geboren und engagierten sich stark gegen die Apartheid. 1957 flohen sie nach London. Clarke wurde vom starken politischen Umfeld seiner Eltern geprägt. Er studierte Bildende Künste an der Universität Leeds, war künstlerisch und politisch in Mexiko und Ruanda aktiv.

Die in Öl, Acryl oder als Aquarelle gemalten Bilder zeichnen sich durch ihre besondere Ästhetik aus
Die in Öl, Acryl oder als Aquarelle gemalten Bilder zeichnen sich durch ihre besondere Ästhetik aus Foto: Simone Mathias

Parallel in Thil und Kaunas

„Ecce Homo“ wird nicht nur in Esch, sondern parallel dazu auch in Thil (Frankreich) gezeigt. Hier hat Bruce eine Wandmalerei am Eingang der Mine von Tiercelet gefertigt. Bekannt ist die Mine aus dem Zweiten Weltkrieg, als sowjetische Frauen (Ostarbeiterinnen) und später auch Gefangene aus dem Lager Thil zur Zwangsarbeit bei der Produktion von V-1 und V-2-Raketen gezwungen wurden. Auch bei der Einweihung in Thil hat Tebby W.T. Ramasike eine Performance aufgeführt.

Als zeitgleiches Pendant zur Escher Ausstellung und ebenso im Rahmen von Esch2022 stellt Bruce im Fort IX im litauischen Kaunas, der zweiten europäischen Kulturhauptstadt, aus. Die Anlage war in den frühen 1940er Jahren zu einer Massenhinrichtungsstätte für u.a. Juden und gefangene Sowjetbürger geworden. Nach dem Krieg wurde Fort IX ein Museum. So werden die beiden europäischen Kulturhauptstädte und die Gemeinde Thil visuell und historisch miteinander verbunden.

Clarkes Werke sprechen eine klare Sprache und lösen starke Emotionen aus
Clarkes Werke sprechen eine klare Sprache und lösen starke Emotionen aus Foto: Simone Mathias

Die Ausstellung

„Ecce Homo“
noch bis zum 30.12.2022 im „Musée national de la Résistance et des Droits humains“ (place de la Résistance, 4041 Esch/Alzette)
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag von 10.00 bis 19.30 Uhr (montags geschlossen)
Info: www.mnr.lu

Bruce Clarkes Familiengeschichte hat einen großen Einfluss auf seine Kunst
Bruce Clarkes Familiengeschichte hat einen großen Einfluss auf seine Kunst Foto: Simone Mathias