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Luxemburgs NotfallplanUltima Ratio Lastabwurf – Was passiert, wenn weniger Gas fließt? 

Luxemburgs Notfallplan / Ultima Ratio Lastabwurf – Was passiert, wenn weniger Gas fließt? 
 Illustration: Freepik, Montage: Tageblatt/Lavinia Breuskin

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Russland hat seine Erdgas-Lieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 fürs Erste eingestellt. Die Länder der Europäischen Union haben aber schon zuvor Sparen gemahnt und auf dem Weltmarkt nach Ersatz gesucht. „Wir waren zu Beginn des Krieges schlecht aufgestellt“, sagte Luxemburgs Energieminister Claude Turmes („déi gréng“) am vergangenen Freitag zur Gaslage vor sechs Monaten. Allerdings sei auf EU-Ebene „in Rekordzeit“ ein Reglement erstellt worden, damit die Gasspeicher schnell aufgefüllt würden. Ein Memorandum of Understanding zwischen Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Österreich und den Beneluxländern sichere die Gaszufuhr.

Dennoch gibt es für das Abreißen der Gasströme Notfallpläne – egal ob lokal oder bei einem der drei „Eintrittspunkte“ ins Großherzogtum. Im allerschlimmsten Fall könnte bei einigen Verbrauchern tatsächlich der Gastzufluss reduziert werden – um die geschützten Kunden weiter mit Gas zu versorgen: Haushalte, öffentliche Einrichtungen und die Verwaltung. Zuerst würden also die Ströme zur Industrie reduziert werden, wie aus dem Gasnotfallplan hervorgeht. „Der Lastabwurf ist die Maßnahme, die von den Netzbetreibern als letztes Mittel eingesetzt werden kann, um das Auftreten großer Störfälle zu verhindern und deren Folgen zu begrenzen“, heißt es im entsprechenden „Plan d’urgence“ der Luxemburger Regierung. Der Lastabwurf soll verhindern, dass der Druck in den Netzen unter die Sollwerte sinkt – und ist eine Ultima-Ratio-Maßnahme, um die Versorgung der geschützten Kunden zu bewahren, wenn alle „marktbasierten Maßnahmen“ versagt haben. Der Lastabwurf selbst wurde in der Praxis noch nie angewandt. 

Der Notfallplan selbst ist eher auf den Ausfall von Pipelines als auf einen Wirtschaftskrieg mit Wladimir Putin ausgelegt – und er wird deshalb gerade überarbeitet, wie ein Sprecher des Energieministeriums am Montagnachmittag gegenüber dem Tageblatt erklärt. „Es wurde erkannt, dass der Notfallplan nicht auf die jetzige Situation angepasst ist.“ Die Pläne würden derzeit EU-weit von den Mitgliedsländern überarbeitet und der EU-Kommission vorgelegt. Sobald die Arbeiten im Oktober abgeschlossen seien, würde auch der neue Luxemburger Plan der Öffentlichkeit vorgestellt werden. „Dieser zielt weniger auf einen Lastabwurf ab als auf ein Reduzieren des Verbrauches“, sagt der Sprecher.


Das Gasnetz Luxemburgs
Das Gasnetz Luxemburgs Karte: Creos

Wer managt das Gas in Luxemburg?

Zwölf „autorisierte Gasanbieter“ gibt es laut dem luxemburgischen Regulierungsinstitut ILR im Land. Sechs davon sind auf dem Endkundenmarkt tätig, fünf davon liefern an Privathaushalte. Der Transport des Erdgases geschieht über Pipelines. Es gibt einen Fernleitungsnetzbetreiber – Creos – und drei Verteilernetzbetreiber – Creos, SUDenergie und die Stadt Düdelingen. 2021 gab es insgesamt 3.429 Kilometer an Leitungen und 92.404 Anschlüsse, die 11.302 gewerbliche Kunden und vier Großkunden versorgten.

Das Luxemburger Gasnetz zieht sich durch den kompletten Süden, den Osten mit Grevenmacher und bis nach Echternach, das Zentrum, die „Nordstad“ bis hin nach Wiltz. Auch nach Clerf führt ein Leitungsabzweig. „Der Erdgasmarkt ist durch eine vollständige Abhängigkeit vom Import gekennzeichnet“, schreibt das ILR. Nur das Biogas kommt aus dem Inland. Es stellte 2021 einen Anteil von 0,66 Prozent.


Woher kommt das Gas für Luxemburg?

Es gibt drei „Eintrittspunkte“ für die Pipelines aus dem Ausland: zwei an der belgischen Grenze – Bras und Petingen –, einer an der deutschen, in Remich. Das meiste Gas fließt durch den Eintrittspunkt Bras – 110.000 Normkubikmeter pro Stunde (Nm³/h). Über Remich fließen 88.000 Nm³/h, über Petingen 70.000 Nm³/h. Insgesamt werden so pro Stunde rund drei Gigawatt an gasförmiger Energie nach Luxemburg gepumpt. 


Wie viel Gas verbraucht Luxemburg? 

2019, im letzten Jahr vor der Pandemie, verbrauchte das Land laut Eurostat 52.846 Gigawattstunden (GWh) Energie. Davon wurden 3.744 GWh (7 Prozent) aus erneuerbaren Quellen gewonnen, 34.304 GWh (64,9 Prozent) aus Öl und 7.956 GWh – 15,1 Prozent – aus Gas. In der Energiebilanz mit einberechnet ist aber auch der Tanktourismus, der Luxemburg einen hohen Ölverbrauch beschert, ohne dass die Energie „im Land“ bleibt. 

Die vier Gas-Großkunden des Landes alleine verbrauchten im vergangenen Jahr 2.144 GWh an Gasenergie, also rund ein Viertel des gesamten Volumens. 539 GWh wurden 2021 laut ILR von 61 Kunden für die Stromproduktion genutzt. Hinzu kommen 81.092 Haushalte mit einem Gasanschluss. Das sind rund 30 Prozent aller Haushalte in Luxemburg.


Was ist der Lastabwurf? 

„Lastabwurf“ heißt, dass Verbraucher vom Gasnetz nach Plan abgeklemmt werden, um den Druck in den Leitungen für die anderen aufrechtzuerhalten. Das geschieht als Reaktion auf eine „festgestellte, angekündigte oder vorhersehbare Ausnahmesituation, die die Versorgungssicherheit, die Integrität der Netze, die physische Sicherheit oder die Sicherheit von Personen gefährdet“, schreiben die Netzbetreiber in ihrem „Plan de délestage“. Mit dem Lastabwurf soll verhindert werden, dass der Druck im Luxemburger Gasnetz unter einen festgelegten Sollwert fällt. Für die betroffenen Verbraucher gibt es keine Entschädigung. Laut den Netzbetreibern ist von ihnen auch keine vorherige Zustimmung erforderlich. 

Der Lastabwurf ist laut dem „Plan de délestage“ das letzte Mittel, um große Störfälle zu verhindern oder deren Folgen zu begrenzen. Er kann ausgelöst werden, um „Krisensituationen zu meistern, die aufgrund ihres Ausmaßes außergewöhnlichen Charakter haben und die Gefahr eines Zusammenbruchs des gesamten oder eines Teils des luxemburgischen oder auch des europäischen Gassystems mit sich bringen.“ 

Dabei geht es beim Lastabwurf auch um banalere Dinge – wie Problemen in einem Luxemburger Teilnetz. Gibt es dort ein „krisenauslösendes Ereignis“ und sind die Folgen auf dieses Netz beschränkt, wird der Rest des Landes erst gar nicht involviert. Der Netzbetreiber legt dann selbst die Entlastungsvolumen in seinem Bereich fest – „und führt den Lastabwurf durch“. 

Sowohl bei lokalen wie nationalen Problem müssen „alle anderen zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten“ eingesetzt werden, bevor ein Lastabwurfplan aktiviert wird. Zum Beispiel die Auslösung des Abschaltmechanismus.


Was ist der Abschaltmechanismus?

Der Lastabwurfplan unterscheidet zwischen drei Arten von Akteuren: geschützten Kunden, Verbrauchern, die durch Solidarität geschützt sind – und „Clients effaçables“, abschaltbare Verbraucher. Unter die ersten beiden Kategorien fallen Haushalte, Gesundheitsversorgung und Verwaltung und Fernwärmeanlagen. Laut der entsprechenden EU-Direktive können je nach Verbrauch auch kleine oder mittlere Unternehmen geschützt werden. 

Die „Clients effaçables“ sind besondere Endkunden. Denn sie haben „besondere Bedingungen für den Zugang zum Verteilernetz“ unterzeichnet. Diese ermöglichen eine Abschaltung oder Reduktion des Gasverbrauchs. Sie müssen einen besonderen Zähler haben und in der Lage sein, die benötigte Kapazität von ihrer Seite aus zu reduzieren. Es muss sich dabei auch um Großverbraucher handeln: Sie müssen einen Anschluss mit einer Kapazität von mehr als einer Megawattstunde pro Stunde haben – und im Jahr mehr als eine Gigawattstunde an Erdgas verbrauchen. Zum Vergleich: Ein typischer Vier-Personen-Haushalt verbraucht laut Encevo pro Jahr etwa 36 Megawattstunden pro Jahr – also 0,036 Gigawattstunden.

„Die Schwelle von einer Gigawattstunde ist so festgelegt, dass auch Heizungsanlagen in großen Wohnanlagen zu der Gruppe der geschützten Kunden gehören“, sagt eine Sprecherin der Luxemburger Regulierungsbehörde ILR dazu. Schätzungsweise gibt es zwischen 300 und 350 Kunden in Luxemburg, die diese Schwelle vom Verbrauch her überschreiten. Allerdings stehe in Bezug auf die unterbrechbaren Kunden weniger die jährliche Verbrauchsmenge im Vordergrund als die momentane Transportkapazität. „Die Unterbrechbarkeit dieser Kunden soll beim Ausfall einer der Hochdruckleitungen selbst bei niedrigen Wintertemperaturen die Weiterversorgung der geschützten Kunden sicherstellen“, erklärt die ILR-Sprecherin. Dabei gehe es eben weniger um die Menge als um die im Falle eines Leitungsausfalls zur Verfügung stehenden Transportkapazität.

Die Einstufung als „abschaltbarer Kunde“ hat auch keine Auswirkung auf die Kategorisierung nach den Prioritätsstufen des Lastabwurfplans (siehe unten). Im Gegenteil: Der Abschaltmechanismus ist ein Instrument, das aktiviert werden kann, damit die Notfallmaßnahmen des Lastabwurfplans erst gar nicht ausgelöst werden müssen. Letzterer kommt nur zum Zug, wenn die Abschaltungen „nicht die gewünschte Wirkung“ erzielt haben oder der Notfall so groß ist, dass die Abschaltungen nicht mehr möglich sind, heißt es im „Plan de délestage“. 


Welche Szenarien sieht der Lastabwurfplan vor?

Im Lastabwurfplan werden zwei verschiedene Szenarien festgehalten, nach denen ein Lastabwurf vorgenommen werden kann: Ein Notfallszenario und ein Szenario, das die nötigen Schritte in einem „geplanten“ Lastabwurf regelt.

Der geplante Lastenabwurf wird als Reaktion auf Phänomene durchgeführt, die vorhersehbar waren. Das Auftreten und Fortschreiten der Probleme ließe den Betreibern in dem Fall Zeit, Verbraucher und Lieferanten zu kontaktieren, um ihnen Anweisungen zur Unterbrechung des Verbrauchs zu geben. Mindestens 24 Stunden vor dem Inkrafttreten einer Maßnahme müssen die Verbraucher darüber informiert werden, wann genau sie stattfindet, wie lange sie dauert – und wie groß das Volumen an Gas ist, das an ihrem Anschluss reduziert wird. Um wie viel die „Last“ reduziert wird, entscheidet der zuständige Netzbetreiber „nach eigenem Ermessen“. 

Der Lastenabwurf folgt einer Priorisierungsliste, die ebenfalls im „Plan de délestage“ festgeschrieben ist. Endverbraucher müssen entsprechend den Anweisungen der Netzwerkbetreiber ihren Gasverbrauch reduzieren oder komplett abschalten. Sollten Endverbraucher den Anweisungen der Netzwerkbetreiber nicht Folge leisten, ist der Betreiber ermächtigt, die Unterbrechung selbst vorzunehmen und die Gaszufuhr vor Ort manuell zu kappen.

Das Notfallszenario tritt dann in Kraft, wenn es ganz schnell geht: Wenn „unvorhersehbare Entwicklungen“ es den Netzbetreibern nicht mehr ermöglichen, ihre Kunden über den Lastenabwurf zu informieren. Um zu verhindern, dass sich mögliche Gefahren auf das gesamte Netz ausbreiten, muss der beeinträchtigte Netzabschnitt entweder manuell oder über ferngesteuerte Ventile abgeschnitten werden. Wenn die Unterbrechung vor Ort durchgeführt werden muss, muss sich der Netzwerkbetreiber umgehend vor Ort um die manuelle Abschaltung kümmern.


Auf welchen Regeln basiert der Plan? 

Die Regierung ist laut Gasgesetz vom 7. August 2007 dazu ermächtigt, im Falle einer „plötzlichen Krise auf dem Energiemarkt“ bestimmte Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Dafür muss die Regierung jedoch ein Gutachten des Regierungskommissars für Energie und der Regulierungsbehörde einholen. Die ergriffenen Schutzmaßnahmen sollen laut Gesetzgeber möglichst wenige Störungen im Binnenmarkt verursachen, dürfen nicht über das „unbedingt notwendige Maß“ hinausgehen. Eine staatliche Entschädigung ist im entsprechenden Gesetzestext nicht vorgesehen. Die von der Regierung getroffenen Schutzmaßnahmen müssen zudem umgehend der Europäischen Kommission mitgeteilt werden.


Und wer wird jetzt zuerst gedrosselt?

Laut „Plan de délestage“ wird jedem Verbraucher im Luxemburger Gasnetz eine Prioritätsstufe von eins bis vier zugewiesen. Die Netzbetreiber erstellen Listen, in denen der maximale Verbrauch und die Art des Kunden verfasst wird – und auf welcher Abschaltebene er sich befindet. Die Listen werden beim Transportnetzbetreiber – also Creos – gesammelt. Creos kann durch „aggregierte Volumen“ auch bewerten, wie viel Entlastung die Auswirkung der einzelnen Stufen bewirken. Begonnen wird mit einem Lastabwurf bei den Verbrauchern der Ebene 4, Industriebetrieben, die direkt ans Transportnetz angeschlossen sind. 

Der Transportnetzbetreiber muss aber nicht alle Ebene-4-Betriebe auf einmal drosseln, er kann „je nach Ausmaß der Krisensituation eine oder mehrere Tranchen von Kunden separat entlasten“. Die Ebene-4-Betriebe sind deshalb in vier gleichwertige Untergruppen eingeteilt: A, B, C und D. Diese wechseln sich im Jahresturnus mit der Priorität in der Ebene 4 ab. 2022 ist Gruppe A Priorität 1, im kommenden Jahr wird es die Gruppe B sein. 

Auf Ebene 3 sind laut „Plan de délestage“ Industriebetriebe und Geschäftskunden mit einem Verbrauch von mehr als zwei Megawattstunden Gas pro Stunde oder einem Jahresverbrauch von mehr als einer Gigawattstunde. Haushalte, kleinere Gewerbe und öffentliche Einrichtungen sind die geschützten Kunden, sie befinden sich auf der untersten Ebene 1. 

Kein Grüner
8. September 2022 - 10.11

....."Ultima Ratio Lastabwurf-". Wo haben sie denn die Grünen endlich hingeworfen?

Phil
6. September 2022 - 8.14

Schau an... ein "Plan de délestage"!
Gilt dieser dann auch für die Regierung?
Weil Potential für einen Lastenabwurf ist reichlich vorhanden, nicht wahr Herr Turmes.