„White Noise“
Bisweilen haben sich nicht allzuoft FilmemacherInnen an das Werk des wichtigen amerikanischen Postmodernisten Don DeLillo gewagt. Cannes-Abonnent David Cronenberg hat es z.B. vor zehn Jahren gemacht. „Cosmopolis“ mit Robert Pattinson hatte es schwer gehabt, Kritik und Publikum für sich zu gewinnen. Dass Noah Baumbach, der – nach Woody Allen – zweitgrößte New Yorker Neurotiker, gerade für Netflix DeLillos Referenzwerk von 1985 für die große Leinwand adaptieren würde, überrascht, verhandelt es doch Themen, die dem ersten Anschein nach nicht notgedrungen Baumbach’sche sind. Da wären: Kritik an der Konsumgesellschaft anhand einer Fixierung auf Malls, amerikanische Supermärkte, eine Auseinandersetzung mit neuen Strömungen in der akademischen Intelligentsia, die Hitler, Büchsenerbsen, Elvis und alles mögliche (Pop)Kulturelle auf die gleiche Ebene hochhieven und zu mythologisierten gedachte, die Rolle von Religion und dann natürlich die sich durch das Buch durchziehende Obsession mit dem Tod.
Vor allem das Ehepaar Gladney – von Driver und Gerwig gespielt – verbindet die Faszination zum Tod und man weiß lange nicht, ob es nicht doch eine archaische Angst ist. Er, Jack, oder J.A.K., ist Head of Department der Hitler-Studien an einer Universität in seiner Provinzstadt, weit weg von den renommierten kulturellen und akademischen Metropolen. Trotzdem ist er führend in seinem Feld. Seine Frau Babette ist Hausfrau, hält die Großfamilie am Laufen und bietet nebenher unter anderem Körperhaltungskurse für Senioren an. Den Gladneys geht es eigentlich ganz gut. Eines der Kinder entdeckt jedoch, dass ihre Mutter mysteriöse Pillen schluckt. Ehe die Gladneys dieses Thema ansprechen können, müssen sie eines Tages wegen eines Airborne Toxic Event, einer toxischen Wolke, ihre Nachbarschaft evakuieren.
Wenn man Baumbachs Film sieht, wird einem schnell klar, dass ihn Don DeLillo und sein Schreiben lange beschäftigt hat. Ihn mit einem Film über Verschwörungstheorien – „family is a cradle for misinformation“ – zu sehen, die sich sehr einfach auf die Covid-19-Pandemie transponieren lassen, dazu noch mit explodierenden Güterzügen, das hätte man von einem New Yorker Chefneurotiker nicht erwartet.
Baumbach bleibt der literarischen Vorlage sehr treu, übernimmt sogar die Kapitelaufteilung des Buches und copy/pastet ganze Dialogblöcke. Driver, Gerwig und einige andere Schauspieler aus der großen Besetzung wissen sich zu amüsieren – aber 2022 ist nicht 1985. Don DeLillo saß garantiert nicht an seiner Schreibmaschine und – weil er eben postmodern war – die ganze Zeit mit einem Auge gezwinkert, wie vielleicht heute Postmoderne nur noch verstanden wird. Und vielleicht ist dieses Verständnis nicht so schlecht und man sollte die Postmoderne und Ironie für tot erklären.
Mal davon abgesehen, dass Baumbach nichts Neues auftischt – außer vielleicht, dass er die Gelegenheit beim Schopf gepackt hat, um DeLillo mit Covid zu verbinden – ist sein Respekt am Autor das, was den Film in gewisser Hinsicht zum Scheitern bringt. Die Ironie ist eigentlich, dass der Regisseur eben einer dieser New-York-émigrés ist, die DeLillo porträtiert. Und weil sich Baumbach für diesen Film komplett aus seiner Komfortzone gewagt hat – was ihm ganz unironisch zugutegehalten werden muss –, ist er inszenatorisch und dramaturgisch so unsicher, dass er auf der ganzen Linie überzieht. Und das Übermaß an Themen, die sich im 300 Seiten starken Buch sammeln, stellen ihm das Bein. Baumbach übernimmt sich eigentlich komplett – wenn das Ganze auch zu sehr tollen Momenten führt. Am Ende bleibt die Frage nach dem Wieso dieses Films. „White Noise“ wird in Noah Baumbachs Filmografie herausstechen – aber vor allem, weil man den Film als „too much“ klassifizieren wird.
„Marcia su Roma“
Eigentlich eröffnete der irische Filmemacher und cinephile Galionsfigur Mark Cousins die Mostra, war die Premiere von „Marcia su Roma“ schon um 11 Uhr programmiert – die offizielle Festivaleröffnung war traditionell am Abend. Dass gerade ein Film über den Machtaufstieg der italienischen Faschisten und den Duce am Eröffnungstag gezeigt wird, ist doppelt und dreifach spannend/ironisch, fällt dies doch gerade auf das Jahr, in dem das Festival seinen 90. Geburtstag wahrnehmen will. Außerdem ist in Italien gerade Wahlkampf und einige rechte Medienanstalten nahmen den Film als provokativen Affront wahr.
Zusammen mit dem Autoren und Kulturwissenschaftler Tony Saccucci wird Cousins in dieser Auftragsarbeit so politisch wie noch nie. Zu Beginn steht der Propagandafilm „A noi“ von 1922, der Mussolinis Marsch auf Rom im Zentrum hat – die traurige Inspiration und der Vorreiter anderer europäischer Propagandafilme und vor allem rechter Dynamiken, die Europa wenige Jahre später in den Zweiten Weltkrieg geworfen hat.
Cousins leiht – wie immer – seine außerordentlich markante Stimme und analysiert diesen amateurhaften Film, der sich, Fake News nicht unähnlich, die Geschehnisse so zurechtmontiert, wie es den Faschisten beliebte. Wenn die Analyse, die der eines universitären Filmkurses sehr nahe kommt, geschafft ist, öffnen Cousins und seine Ko-Autoren den Film in alle Richtungen – etwas, was dem Film sehr guttut. Parallelen zu Trump und allen neuen Rechten sind schnell gezogen und irgendwann wird sogar Cousins der Ekel an dem braunen Sumpf so groß – „the film underimagines cinema“ oder „the story demeans and destroys“ –, dass er sich reinwaschen will von den geschmacklosen Bildern, die ihn zu „Marcia su Roma“ gebracht haben. Er endet mit anderen Bildern, die 1922 ausmachten: Johnny Weissmüller, der Schwimmrekorde brach, Abel Gances „La roue“, Josephine Baker. Auch wenn damals oder heute verschiedenes sehr düster erscheint – irgendwo ist immer Licht zu finden.
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