Eisprinzessin, Kämpferin, Trainerin: Ekaterina Baranok bringt Luxemburgs Shorttrack-Cracks in die Spur

Eisprinzessin, Kämpferin, Trainerin: Ekaterina Baranok bringt Luxemburgs Shorttrack-Cracks in die Spur

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Ekaterina Baranok stammt aus Sibirien, erlebte knallharte südkoreanische Trainer, war bei Olympia 2014 dabei, hat ihre eigene Meinung zum russischen Staatsdoping und ist seit September 2018 Assistenztrainerin der luxemburgischen Shorttrack- Nationalmannschaft.

Ekaterina Baranok kam am 1. Juli 1992 in der sibirischen Großstadt Omsk an der Grenze zu Kasachstan zur Welt. Bereits als kleines Kind kam sie mit dem Eis in Berührung. Wie bei vielen russischen Eltern war es auch der Traum der Baranoks, dass ihr kleines Mädchen eine Sportart ausübt, die ihr Eleganz und Grazie vermittelt. Ballett, Gymnastik und Eiskunstlauf stehen im Riesenreich in dieser Hinsicht hoch im Kurs. «Katya», wie sie von Freunden genannt wird, wurde als kleines Kind von ihren Eltern zunächst zum Gymnastikverein geschickt. «Anhand eines Tests wurde bereits früh festgestellt, dass ich wegen mangelnder Flexibilität im Rücken nicht geeignet war, um diesen Sport auszuüben. Meine Mutter sagte mir damals, dass ich so beweglich wie ein Stück Holz sei», sagt die zierliche Russin heute.

«Der Traum der Eltern»

Weiter ging es mit sechs Jahren zum Kunstlauf, denn auch die Eisprinzessinnen erfreuen sich in Russland großer Beliebtheit. «Der Traum meiner Eltern. Aber es war auch eine Maßnahme, weil ich oft krank war – der Sport sollte mir helfen, mein Immunsystem zu stärken.» Ein logischer Schritt, denn in Omsk hat fast alles mit Eis zu tun. Im Winter liegen die Außentemperaturen bei zwischen -15 und -30 Grad Celsius. Der lokale Eishockeyverein HK Awangard Omsk war 2004 russischer Meister und hat bereits einige Nationalspieler geformt. «Es ist fast schon Teil unserer Erziehung. Von Kindesbeinen an sind wir es gewohnt, mit unseren Eltern aufs Eis zu gehen», erklärt die 26-Jährige.

Eine weitere Tradition in der Industriestadt ist Shorttrack. Mit Tatiana Borodulina, Nina Jewtejewa und Sergej Prankewitsch gehörten gleich drei Omsker im vergangenen Jahrzehnt zur internationalen Elite. Die Vierte im Bunde war Baranok. Die heutige Trainerin der luxemburgischen Nationalmannschaft begann jedoch erst mit 13 Jahren mit dem rasanten Kufensport. Die Lutz- und Rittberger-Sprünge wurden gegen Geschwindigkeit auf Eis eingetauscht. Das Talent wurde schnell gefördert. Vier Jahre nach ihren ersten Schritten im Shorttrack wurde Baranok in die Nationalmannschaft berufen. Ihr Lebensmittelpunkt wurde fortan von Omsk in die Hauptstadt Moskau verlegt.

Brutale Methoden

Dort lernte sie die harten Seiten des Geschäfts kennen. Trainer der Auswahl waren die beiden Südkoreaner Jang Kwon-ok und Choi Guang-bok. 2011 wurde das Duo vom Verband wegen «brutaler Trainingsmethoden» entlassen. Verbandspräsident Alexej Krawtsow erklärte damals, er habe wegen des rauen Umgangs der Südkoreaner mit den Sportlern gefürchtet, junge Talente durch Verletzungen zu verlieren.

«Ich erinnere mich an ein Trainingslager in Südkorea. Um 4.30 Uhr ging es mit einem zweistündigen Training los. Im Laufe des Tages folgten zwei weitere Einheiten. Wir durften uns nach anstrengenden Übungen nicht auf den Knien abstützen, um besser atmen zu können. Sie haben das Limit überschritten. Nach einem Wettkampf in Salt Lake City sind wir wie die Gelbwesten in Frankreich in den Streik getreten und haben dem Verbandspräsidenten mitgeteilt, dass wir nicht mehr unter diesen Umständen trainieren wollen.»

Erfolge und Wunden

Nachfolger der beiden Südkoreaner wurde Anatoli Brasalin – der ebenfalls aus Omsk stammt. Und die Erfolge folgten auf dem Fuß. Mit der russischen 3.000-Meter-Staffel holte die 1,63-Meter-Frau 2012 Bronze bei den Junioren-Weltmeisterschaften in Melbourne (AUS) und beim Weltcup in Salt Lake City (USA).

Ihren ersten Karriereknick erlitt sie Ende 2013, ausgerechnet ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Sotschi. Bei einem Sturz wurde ihr linkes Bein und Knie von der scharfen Kufe der Gegnerin aufgeschlitzt. Noch heute erinnert eine zentimeterlange Narbe an den Unfall. Doch Baranok kämpfte sich in Windeseile zurück. Nach nur einem Monat stand sie wieder auf dem Eis. «Das war eine schwere Zeit für mich. Wenn man so kurz vor dem Ziel steht und sich dann verletzt, ist das schon ein herber Rückschlag.»

Zur Olympionikin wurde sie trotzdem – allerdings nur als Ersatzskaterin. Dessen ungeachtet war die Teilnahme an den Spielen 2014 einer der größten Momente in ihrem Leben. «Ich erinnere mich noch an das Gefühl bei der Eröffnungszeremonie, als fast das gesamte Publikum ‹Russland, Russland› skandierte. Es war einfach unglaublich und für einen Sportler das Größte.»

«Ich dachte, es wäre ein Witz»

Doch Sotschi entpuppte sich bekanntlich für den russischen Sport als Albtraum. Im Dezember 2014 enthüllte ein Dokumentarfilm des deutschen Fernsehsenders ARD, dass in Russland systematisch gedopt und Dopingkontrollen manipuliert wurden. Es folgten der McLaren-Bericht, die belastenden Aussagen von Whistleblower Grigori Rodschenkow, lebenslange Sperren und der Auftritt unbelasteter russischer Sportler bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang 2018 unter neutraler Flagge.

«Als ich das erste Mal von den Anschuldigungen gehört habe, dachte ich, es wäre ein Witz. Vor allem weil behauptet wurde, dass die Manipulation der Proben während der Spiele vorgenommen wurde. Wie ist das möglich im Jahr 2014? Man sagt immer, dass Sport und Politik nichts miteinander zu tun haben. Aber in diesem Fall glaube ich nicht an diese These. Ich kenne die ganze Wahrheit nicht und habe nie einen Sportler gesehen, der einen Doping-Cocktail geschluckt hat, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass nur in Russland leistungsfördernde Substanzen eingenommen werden. Zudem beweisen Statistiken, dass es in Russland zwei- bis dreimal mehr Kontrollen als in anderen Ländern gibt», sagt die ehemalige Leistungssportlerin.

Baranok war indirekt betroffen von diesem Skandal. Zu ihrer Trainingsgruppe gehörten nämlich Shorttrack-Superstar Viktor Ahn («ein Magier auf dem Eis») und Jewgenija Sacharowa. Die beiden zählten zu den 32 gesperrten russischen Sportlern, die ihre Teilnahme an den Olympischen Winterspielen 2018 einklagen wollten, schließlich aber scheiterten.

Frühes Ende

Zu diesem Zeitpunkt hatte Baranok ihre Kufen bereits an den Nagel gehängt. 2015 plagte sie sich dauerhaft mit Schmerzen im Knie herum und konnte auch ihre gewohnten Leistungen nicht mehr abrufen. Mit 23 Jahren entschied sie sich, die Handbremse zu ziehen. «Ich habe mich dazu entschlossen, mich auf mein Leben nach dem Sport vorzubereiten und mein Studium in Sport- und Wirtschaftswissenschaften abzuschließen.»

Während einiger Zeit arbeitete sie als Trainerin in einem Moskauer Fitnessstudio. Im vergangenen Sommer flatterte dann das Angebot des luxemburgischen Verbands ins Haus. «Schuld» daran war Nationaltrainer Grégory Durand, der bis 2014 Co-Trainer der russischen Shorttrack-Nationalmannschaft war und seit 2016 in Luxemburg versucht, Géré, Murphy und Co. an die europäische Spitze heranzuführen.

Dass es diese Disziplin hierzulande gibt, weiß übrigens noch lange nicht jeder. «Als ich im September gelandet bin und an der Grenze mein Visum und meinen Arbeitsvertrag zeigen musste, waren die Kontrolleure ganz erstaunt, dass es überhaupt Shorttrack in Luxemburg gibt.»

Harmonie statt Drill

Seit Herbst ist Baranok Assistenztrainerin des Teams, das seine Trainingseinheiten auf Kockelscheuer abhält. Cheftrainer Durand ist nämlich auch hauptamtlicher Nationalcoach in Polen und kommt nur alle drei bis vier Wochen ins Großherzogtum. Im Gegensatz zu ihren ehemaligen südkoreanischen Trainern setzt die junge Frau aus Sibirien auf viel Harmonie und deshalb läuft während der Einheit auch die Lieblingsmusik der Skater. «Die Sportler verbringen so viel Zeit in der Halle, da muss das Training Spaß machen.»

Dabei kommen jedoch die technisch-taktische Ausbildung und die Ausdauer nicht zu kurz. «Als Shorttracker muss man ein taktisch guter Kämpfer sein – ich glaube, das war ich zu meiner aktiven Zeit. Aber es soll fair sein – und das bringen wir unseren Athleten auch bei.»

Baranok ist überzeugt vom Können und Potenzial der Viererbande, die sie trainiert, und fühlt sich mittlerweile sehr wohl in Luxemburg. «In Moskau ist der Lebensrhythmus sehr schnell. Man muss teilweise sehr hart sein und um seinen Platz kämpfen. Als ich hier angekommen bin, konnte ich durchatmen und endlich entspannen.»

Mit dieser Ruhe wird es endgültig vorbei sein, wenn die Russin und der Franzose Durand einen luxemburgischen Shorttracker an die internationale Spitze geführt haben.


Mit fast 4.000 Euro an den Start

Wer Shorttrack auf einem anständigen Niveau ausüben will, muss erst einmal tief in die Tasche greifen. Rund 4.000 Euro kostet eine Standardausrüstung.
Am teuersten sind die Schuhe, die für jeden Sportler in Fabriken in Kanada, den Niederlanden oder Südkorea auf Maß angefertigt werden. Ein Paar kostet rund 2.000 Euro und muss alle drei bis vier Jahre ausgetauscht werden. Zu den Schuhen müssen bis zu vier Kufenpaare erworben werden, die jeweils mit zwischen 300 und 400 Euro zu Buche schlagen.
Der Rennanzug aus schnittfestem Material ist an Ellbogen, Schienbein und Knie gepolstert und kostet rund 250 Euro. Hinzu kommen noch die Handschuhe mit Polsterkugeln auf den Fingerkuppen (50 Euro).

 


Klein, aber fein

Die Shorttrack-Nationalmannschaft ist klein, aber fein. Derzeit nimmt der erst 17-jährige Augustin Géré an der Erwachsenen-Europameisterschaft in Dordrecht teil. Bei der Junioren-WM in Montréal (25. bis 27. Januar) werden neben Géré auch Peter und Caroline Murphy sowie Anna Ruysschaert an den Start gehen. «In Europa gehören sie zu der Spitze in ihren Kategorien. Nur die Polen sind schneller. Sie sind besser als die Niederländer und Franzosen. Bei den Weltmeisterschaften der Junioren Ende Januar können Medaillen anvisiert werden», schätzt Trainer Ekaterina Baranok die Situation ein.