Ein Leben als Schiedsrichter: Jean Christian Samida hat in Luxemburg in fast 60 Jahren 5.000 Spiele gepfiffen

Ein Leben als Schiedsrichter: Jean Christian Samida hat in Luxemburg in fast 60 Jahren 5.000 Spiele gepfiffen

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Woche für Woche steht Jean Christian Samida als Unparteiischer auf dem Basketballparkett. Alleine in der ersten Phase der laufenden Saison leitete er 30 Partien, vor allem im Jugendbereich. An sich nichts Besonderes, in diesem Fall schon, denn Samida ist 82 Jahre alt und war in seiner inzwischen fast 60-jährigen Schiedsrichterkarriere in vier Sportarten aktiv.

Mit einem großen Lächeln öffnet Jean Samida die Tür, dass er bald seinen 83. Geburtstag feiern wird, ist ihm nicht anzumerken. Zwei Tage zuvor hat er noch zwei Jugendspiele geleitet, am Abend vorher eine Partie des Betriebsbasketballs. „Neben meiner Schiedsrichtertätigkeit fahre ich Fahrrad, gehe viel spazieren und schwimmen. Etwas davon steht noch jeden zweiten Tag auf meinem Programm“, erklärt der Rentner. Einen vollen Terminkalender braucht der sechsfache Großvater immer noch.

Bereits in jungen Jahren gab sich Samida nicht nur mit einer Sportart zufrieden, gleichzeitig lief er im Fußball, Basketball und Handball auf. Den beiden Erstgenannten ist er über Jahre hinweg treu geblieben und erlebte die Gründungsjahre von so manchem Klub hautnah mit: „1957 wurde der Fußballverein in Canach gegründet. Die ersten Spiele verloren sie im zweistelligen Bereich. Ich meinte scherzhaft, dass man doch nicht so hoch verlieren kann, da hieß es nur, dass ich doch zum Klub wechseln könnte. Ich war übrigens Torwart. Wegen meines Namens meinte man scherzhaft, dass der Neue aus Ungarn kommen würde, um den Gegner einzuschüchtern. Nach vier Minuten lagen wir dann trotzdem bereits mit 0:1 zurück und ich dachte nur: ‹Du domme Sabbler, du wirst doch hier keine zehn Tore kassieren.› Wir haben dann schlussendlich mit 6:1 gewonnen, das war eine Sensation“, erinnert sich Samida zurück.

Die Sportlerkarriere sollte jedoch ein abruptes Ende nehmen. Nachdem er sich den Fuß brach und sein Vater nicht mehr wollte, dass er weiterhin als Sportler aufs Spielfeld aufläuft, traf Samida die Entscheidung, zum Schiedsrichterwesen zu wechseln. „Angefangen habe ich als Fußballschiedsrichter, das muss um 1959 herum gewesen sein.“ Zum Basketball ist er dann vier Jahre später gekommen: „Einer meiner Nachbarn in Kayl war beim Basketball und meinte, ich sollte doch zu ihnen wechseln, beim Fußball würde man doch eh nur schmutzig werden“, erklärt der 82-Jährige lachend.

„Not am Mann“

Sein erstes Basketballspiel leitete er dann schließlich im Jahr 1963, eine Partie, an die er sich noch gut erinnern kann: „Plötzlich hieß es, du musst morgen nach Wasserbillig fahren und das Spiel dort leiten. Ich dachte, man hätte sie nicht mehr alle, ich hatte doch noch nicht einmal ein Examen gemacht. Ich kannte das Regelwerk noch nicht einmal richtig, als Spieler hat man dieses ja nicht so intus. Schon damals war Not am Mann, genau wie heute, und dann musste ich eben Wasserbillig gegen Fels pfeifen. Ein wichtiges Spiel, denn der Verlierer musste absteigen. Ich habe dann vor Ort gesagt, dass ich schon seit mehreren Jahren pfeifen würde. Als Kayler kannte man mich in Wasserbillig ja nicht. Fels hat übrigens verloren.“ Zu dieser Zeit wurden die Spiele nicht, wie heute üblich, von zwei oder drei Schiedsrichtern geleitet, sondern lediglich von einem.

Mit Fußball und Basketball hatte Samida aber noch lange nicht genug, über einen Arbeitskollegen wurde er Unparteiischer im Handball und auch Eishockey probierte er zwischendurch aus: „Ich konnte zwar gut Schlittschuh laufen, aber nur wenn es geradeaus ging. Die Kurve zu nehmen war da schon um einiges schwieriger und wenn eine Konterattacke gelaufen wurde, dann waren die Spieler schon wieder beim anderen Tor, bevor ich überhaupt die Richtung gewechselt hatte.“

Mehr als 5.000 offizielle Spiele hat Samida in seiner nun bereits 60 Jahre anhaltenden Schiedsrichterkarriere geleitet. Im Eishockey kam er auf 20, im Handball auf 100 und im Fußball auf rund 1.500 Partien. „Ich mochte Fußball schon gerne, doch zu meiner Zeit lag die Altersgrenze bei 60 Jahren, da musste ich dann auch aufhören.“ Seither dominiert der Basketball die Woche des 82-Jährigen. 15 Jahre pfiff er in der obersten Liga, Highlights waren zwei Pokalendspiele bei den Damen in den 1970er-Jahren. Die Zeitungsberichte hiervon bewahrt er immer noch in einer Mappe auf.

Charakter gefordert

Um es so weit zu schaffen, braucht man laut Samida Charakter und muss sattelfest sein. Denn die Reaktionen der Zuschauer sind nicht immer so harmlos. „Ich kann mich da noch genau an ein Spiel erinnern. Es handelte sich um eine Partie des Betriebsbasketballs zwischen der nationalen Bahngesellschaft und dem Europaparlament. Die haben damals extra zwei Jugoslawen aus Brüssel einfliegen lassen, die dort gearbeitet haben. In der Halbzeitpause lagen sie drei oder vier Punkte zurück und in der Tür sagte so ein zwei Meter großer Typ zu mir: ‹Wenn wir verlieren, dann du tot.› Da musste ich schon mal schlucken. Ob ich jetzt meinen Anteil daran hatte, dass sie schlussendlich doch noch gewonnen haben, kann ich nicht sagen“, scherzt Samida.

Eine internationale Karriere als Unparteiischer blieb ihm allerdings verwehrt, etwas, das er heute ein wenig bereut: „Mein Englisch war leider nicht gut genug. Von fünf Kandidaten wurden damals nur zwei berücksichtigt, ich war der Erste, der wegen der Sprachkenntnisse weggefallen ist.“

Jungen Menschen etwas beizubringen, schätzt der 82-Jährige noch immer am Schiedsrichterwesen, eine Erfahrung, die er auch in seiner hauptberuflichen Beschäftigung als Fahrlehrer gemacht hat. Geduld ist jedenfalls in beiden Tätigkeiten gefragt: „Den Kindern erklärt man schon, was sie tun dürfen und was nicht. So zum Beispiel die Drei-Sekunden-Regel, dann gibt man ihnen den Hinweis, dass sie nur drei Sekunden in der Zone unter dem Korb stehen dürfen. Oder am letzten Wochenende, da hatte ich noch den Fall, dass bei einem jungen Spieler immer wieder der Schnürsenkel offen war. Da habe ich ihm gezeigt, wie man die Schuhe richtig bindet.“ Und dass die Spieler einem nach der Partie allesamt die Hand geben, schätzt er am Basketball ganz besonders: „Egal ob sie mit deinen Entscheidungen einverstanden sind oder nicht, das gehört beim Basketball einfach dazu. Beim Fußball sieht dies leider ganz anders aus.“

Einen Spitznamen, wie ihn viele andere Schiedsrichterkollegen von Zuschauern und Spielern verpasst bekommen, hatte Samida übrigens auch mal: „De wäisse Blatzert vu Käl“.

Aufhören?

Ans Aufhören hat Jean Samida, dessen Vater übrigens aus dem Land des aktuellen Basketball-Europameisters Slowenien stammte und als Sprengmeister 1925 nach Luxemburg kam, noch nie gedacht. Er kann es vielmehr kaum abwarten, dass die Schiedsrichterbesetzung des kommenden Wochenendes eintrifft. „Ich bin Rentner, habe gut Zeit und in Form bin ich auch noch, auch wenn ich nicht mehr gerade der Schnellste bin.“ Und auch wenn er noch immer in beachtlicher Form ist, macht dem 82-Jährigen dann doch manchmal etwas zu schaffen – das Regelwerk: „Das ändert sich in meinen Augen viel zu oft. Basketball ist auch viel schneller als Fußball, da ist alles schon ein wenig komplexer.“

Einer, der auf dem Parkett oft an der Seite von Samida steht, ist Manuel Fonseca, der besonders den Enthusiasmus lobt, den dieser dem Schiedsrichterwesen entgegenbringt: „Man würde sich mehr solche Leute wünschen. Jean ist eine super Person, die auch gerne mal einen Witz reißt. Für ihn ist Schiedsrichter zu sein eine wahre Passion, er lebt dafür.“ Und auch seine Frau Rita hat sich schon längst mit der Leidenschaft ihres Ehemannes abgefunden: „Meine Frau ist damit die meiste Zeit einverstanden. Sie kommt auch aus einer Sportlerfamilie, ihr Vater war ebenfalls Schiedsrichter. Sie war 25, ich 30, als wir geheiratet haben, in dem Alter weiß man dann schon, auf wen man sich da einlässt. (lacht) Manchmal ist es aber auch etwas später geworden … Ja, die dritte Halbzeit. Da war meine Frau wahrscheinlich nicht immer so froh drüber“, gibt Samida lachend zu.

Und so will er auch in nächster Zeit weiterhin aktiv auf dem Basketballparkett stehen und sich nicht nur mit der Rolle des Zuschauers der AS Zolver, deren Spiele er öfters mal besucht, zufriedengeben.