EU-Politik: Wenn Jean Asselborn und Sigmar Gabriel Venedig retten wollen

EU-Politik: Wenn Jean Asselborn und Sigmar Gabriel Venedig retten wollen

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Wie sollte die EU mit der sich verändernden Welt umgehen? Nicht einmal die beiden Sozialdemokraten Jean Asselborn und Sigmar Gabriel sind sich bei der Frage einig. Das zeigt, wie schwer die Suche nach Konsens auf EU-Ebene sein kann. 

Als der ehemalige deutsche Wirtschafts- und spätere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) von China aus nach Hause reiste, machte er einen Zwischenhalt in Venedig. Die Stadt, erzählt er, war im Mittelalter eine Handels- und Militärmacht. Alle Güter, die nach Europa kamen, reisten durch Venedig. Dann wurde die Handelsroute über den Atlantik entdeckt und die italienische Stadt verlor ihre einstige Wichtigkeit. «Wenn wir nicht aufpassen, wird die EU ein großes Venedig», sagt Gabriel. «Und wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir uns einmischen.»

Der deutsche Politiker war am Montag in Luxemburg, um sich mit Außenminister Jean Asselborn (LSAP) bei einer Konferenz über den Umgang der EU in einer sich verändernden Welt zu unterhalten. «Ich versuche jetzt wegzukommen von diesem Schauermärchen», antwortet Asselborn auf Gabriels Venedig-Geschichte.

Werte gegen Interessen

Asselborn ist Idealist, Gabriel ist Realist. «Wir brauchen Basiswerte, um das Gebilde Europa zusammenzuhalten» meint der luxemburgische Außenminister über den Umgang mit Rechtspopulisten. Gabriel antwortet ihm: «Unsere Werte-Debatte kommt nicht mehr bei den Menschen an.» Man müsse mit Interessen argumentieren, um die Wähler zu überzeugen. In Osteuropa, sagt er beispielsweise, sei die Nation der Weg in die Freiheit gewesen. So habe man sich gegen die Sowjetunion gewehrt. «Wir haben vergessen, uns in die Schuhe des Schwächeren zu stellen.»

In Deutschland müsse man den Menschen wieder erklären, was sie von der Union haben. Man könne nur Autos exportieren, wenn andere Geld haben, um sie zu kaufen. «Wenn man über europäische Werte redet, dann predigt man zu Menschen, die schon katholisch sind», fügt er hinzu. Man müsse die anderen Menschen erreichen. Asselborn gibt ihm grundsätzlich recht. Aber: «Egal wo man politisch steht, es gibt Regeln, die man der in EU einhalten muss.» Er könne nicht verstehen, wie ein Land wie Polen mit 40 Millionen Einwohnern keine 5.000 Flüchtlinge stemmen könne. Hier sei Europa nicht richtig verstanden worden, sagt er.

Die Interventionismus-Frage

Doch nicht nur bei der innereuropäischen Politik waren sich die beiden nicht einig. Als Trump zur Sprache kam, war Gabriel der Meinung, dass die Vereinigten Staaten sich schon länger verändern. Auch Obama habe sich zurückgezogen aus der internationalen Geopolitik. «Nur hat Obama auf Verträge gesetzt, um das entstandene Vakuum zu füllen.» Trump habe dagegen zugelassen, dass China und Russland das Vakuum füllen. «Obama hat aber versucht, auf Multilateralismus zu setzen», meint Asselborn. Das sei bei Trump nicht mehr der Fall.

Und wie sollte die EU damit umgehen? Laut Gabriel, sollte sie sich stärker in das Weltgeschehen einmischen. Europa sei in der Rentenphase. «Und wir wollen sie in Ruhe genießen», sagt er. «Das wird schiefgehen.» Auch das sieht Asselborn anders. Beim Iran-Deal, der darin bestand, die wirtschaftliche Sanktionen gegen den Iran zu lockern, wenn sie ihre Atompolitik zurückfahren, habe die EU eine federführende Rolle gespielt. Das Problem ist laut Asselborn nicht der fehlende Interventionismus, sondern der fehlende Konsens. Die EU sei sich früher einig gewesen, dass die Palästinenser ein Recht auf einen Staat haben, um friedlich neben den Israelis zu existieren. Das sei heute nicht mehr so. «Wir brauchen keine Armee, wenn wir in solchen Fragen nicht einig sind», sagt der luxemburgische Außenminister.

28 Staatschefs statt zwei Sozialdemokraten

Gabriel und Asselborn sind ziemlich ähnliche Politiker. Beide kommen aus der gleichen politischen Familie der Sozialdemokraten und beide haben die gleichen Ämter bekleidet: kommunale, innerparteiliche und nationale. Beide sind der Meinung, dass man gegen Rechte vorgehen sollte. Asselborn schmetterte dem italienischen Innenminister Matteo Salvini ein «Merde alors» entgegen, als dieser afrikanische Migranten mit Sklaven verglich und Gabriel zeigte Neonazis den Mittelfinger, als sie ihn in Anspielung auf seinen nationalsozialistischen Vater einen «Volksverräter» nannten. Trotzdem sind sie sich nicht einig, wenn es darum geht, wie die EU mit Krisenherden umgehen soll.

Als nach dem Gespräch das Publikum Fragen stellen durfte, wurde noch deutlicher, wie weit die Gewichtung von Problemen auseinander klaffen kann. Eine junge Frau ergriff das Wort und wies die beiden Politiker darauf hin, dass sie die ihrer Meinung nach wichtigste Krise nicht einmal besprochen hätten: den Klimawandel. Anderthalb Stunden lang hatten die beiden Politiker über europäische und internationale Politik gesprochen und eines der Probleme, das vielen jungen Menschen besonders am Herzen liegt, kam nicht einmal zur Sprache.


Die Konferenz fand am Montagabend in der Abtei Neumünster statt. Organisiert wurde sie vom «Institut Pierre Werner», moderiert von Tageblatt-Chefredakteur Dhiraj Sabharwal. 

Cornichon
9. April 2019 - 14.58

Meiner Meinung nach wird es immer schwerer Politik zu machen, weil das Volk ja durch die Medien inkl. Social Media eh seine Meinung nach jedem gelesenen Artikel ändert. Ist ein Konsens überhaupt noch möglich? Vielleicht sollte man gerade deswegen öfter ein Referendum organisieren, weil man dann zumindest sagen kann, ihr habt es so gewollt.

Konfus
9. April 2019 - 10.51

China überholt uns schneller als die Briten ihr Brexittheater über die Bühne bringen.Aber die Luxusburger sind schon über Bettembourg an die neue Seidenstrasse angeschlossen.So d'ont worry.Wir schaffen das.