Poroschenko scheitert an Protestwählern – TV-Komiker Selenski gewinnt erste Runde der Präsidentenwahl

Poroschenko scheitert an Protestwählern – TV-Komiker Selenski gewinnt erste Runde der Präsidentenwahl

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Mit einem Pingpong-Match begann Wolodymyr Selenski in der Wahlnacht seinen Siegeszug. Keine Siegerposen, ein lockerer Plausch, den der bekannte TV-Komiker natürlich gewann.

Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger, Warschau

„Heute beginnt ein neues Leben, eines ohne Korruption“, sagte Selenski danach und lächelte in die Fernsehkameras. Vier Nachwahlbefragungen (Exit Poll) hatten den 41-jährigen Polit-Neuling kurz zuvor als klaren Sieger der ersten Runde der ukrainischen Präsidentschaftswahlen ausgemacht. Sie gaben ihm zwischen 29 und 31 Prozent der Stimmen.

„Nun zerstören wir ihn!“, gab sich Michail Fedorow, Selenskis Social-Media-Stratege, in derselben Wahlnacht weit kämpferischer als sein Chef. Gemeint ist Amtsinhaber Petro Poroschenko, den der Komiker am Montagabend nach Auszählung von gut 90 Prozent der Stimmen fast zweimal überrundet hat. Poroschenko hat es demnach gerade noch knapp in die Stichwahl in drei Wochen am Ostersonntag geschafft. Gemäß den vorläufigen Ergebnissen kommt er auf 16 Prozent der Stimmen. Geschlagen geben muss sich Julia Timoschenko, die Anführerin der pro-westlichen „Orangen Revolution“ von 2004. Timoschenko kommt auf gerade einmal 13,4 Prozent. In der Wahlnacht hatte ihre Partei „Batkiwtischina“ (Vaterland) dennoch ihren Einzug in die zweite Runde gefeiert.

Keine Euphorie bei Amtsinhaber

Lange Gesichter gab es vor allem im Wahlstab Poroschenkos. Er sei „nicht euphorisch“, gab sich der Amtsinhaber vor den Kameras zerknirscht und besorgt. „Das ist eine schmerzhafte Lektion für den ganzen Staatsapparat“, kommentierte der 53-jährige Unternehmer und Profipolitiker sein niedriges Resultat. „Wir müssen aus unseren Fehlern lernen“, fügte Poroschenko an und rief dann „alle ukrainischen Patrioten“ dazu auf, in der zweiten Runde für ihn zu stimmen. Erst im Laufe des Montags schien sich Poroschenko einigermaßen gefasst zu haben. „Heute ist der 1. April, lasst uns also heute lachen“, twitterte er, „aber ab dem 2. April gehen wir vorwärts, dann hört der Spaß auf!“

Obwohl Politologen das Präsidenten- und Regierungslager seit Monaten gewarnt hatten, dass Reformstau und mangelnde Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung sich bei den Wahlen rächen könnten, wiegte sich Poroschenko offenbar in Sicherheit. Einzig Umfragewerte, die ihn hinter Julia Timoschenko sahen, schien er halbwegs ernst zu nehmen. Im Präsidentenpalast schien man sich daran gewöhnt zu haben, dass selbst die Verfolgung von Antikorruptions-Aktivisten oder die Entführung und gewaltvolle Ausschaffung des georgischen Ex-Präsidenten und neuen ukrainischen Oppositionspolitikers Michail Saakaschwili auch international kaum Widerrede provozieren.

Erst die 30 Prozent für den selbst ernannten Antikorruptions-Kämpfer Selenski, der diesem Geschwür bisher nur in seinen Fernsehserien „Diener des Volkes“ und „Kwartal-95“ zu Leibe gerückt ist, nicht aber im wirklichen Leben, scheinen Poroschenko aufgerüttelt zu haben. „Ihr seht, dass wir das Land verändern, aber es geht euch nicht schnell genug; ich verstehe die Gründe eures Protests“, diente er sich am Montag den vor allem jungen Selenski-Wählern an. Das klang wenig überzeugend und dabei hilft auch ein ausgerechnet am Montag kommuniziertes Gerichtsurteil gegen den Oligarchen Ihor Kolomojski, Selenskis Mentor, nicht. Der mächtige Privatfernseh- und Bankenbesitzer muss auf einen großen Teil seiner Aktiven verzichten, da das Gericht diese wegen eines laufenden Verfahrens eingefroren hat. Da wie viele Reformen in der Ukraine auch die Justizreform stockt, glauben nur wenige an ein unabhängiges Urteil.

Protestwahl wäre „im Sinne Putins“

Um sich eine zweite Amtszeit zu sichern, müsste Poroschenko vielmehr einen Großteil der 37 gescheiterten Bewerber für sich gewinnen. Ob er dabei auf Julia Timoschenko zählen kann, ist fraglich. Der viertplatzierte gemäßigt pro-russische Juri Bojko (11,5 Prozent) vom „Oppositionsblock“ wird Poroschenko kaum unterstützen. Zählen könnte der amtierende Präsident allenfalls auf Anatoli Hrytsenko (7 Prozent) und Ihor Smeschko (6 Prozent), zwei durchaus bürgerliche Herren. Dahinter blieben etwa 15 Prozent desperat zerstreute Stimmen für ein paar nationalistische Scharfmacher sowie eine Reihe technischer Kandidaten.

Poroschenko müsste also ein Teil der Selenski-Unterstützer überzeugen, dass die Stichwahl keine Protestwahl sein darf. „Putin hofft auf einen weichen, ideologisch ungebundenen und politisch unerfahrenen Präsidenten in der Ukraine. Wollen wir ihm dieses Geschenk bereiten?“, fragte der Präsident am Montag deshalb die Ukrainer rhetorisch. Im Kampf gegen die von Russland unterstützten Separatisten des Donbas sind derweil am Wochenende mindestens ein Regierungssoldat getötet und vier verletzt worden. Die Ukrainer wollen auch deshalb vor allem vergessen. Und dies ist die große Chance für Komiker wie Selenski.