Mühlsteine im Stimmenstreit – Populistische Provokateure machen Großparteien zu schaffen

Mühlsteine im Stimmenstreit – Populistische Provokateure machen Großparteien zu schaffen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Was der konservativen EVP Ungarns EU-Dauerstörenfried Viktor Orban, ist der sozialdemokratischen S&D das rumänische Sorgenkind PSD. Vor den Europawahlen machen populistische Solisten den Großparteien zunehmend zu schaffen. Es sind Machtkalkül und überkommenes Lagerdenken, die die Trennung von den schwarzen Schafen erschweren.

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad/Budapest

Der beratungsresistente Überzeugungsstichler legt noch mal nach. Erst hatte Ungarns nationalpopulistischer Premier Viktor Orban die konservativen Schwesterparteien in der Europäischen Volkspartei (EVP) mit einer Plakatkampagne gegen den christdemokratischen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker verärgert. Nun hat der populistische Poltergeist in einem Interview mit der Welt am Sonntag seine Kritiker in der EVP auch noch als „nützliche Idioten“ der Linken bezeichnet.

Sich mehrende Ausschlussforderungen der Schwesterparteien vor allem in den Benelux- und skandinavischen Staaten scheinen den selbstbewussten Quertreiber kaum zu schrecken. Vor den Europawahlen im Mai will der Chef der rechtspopulistischen Fidesz-Partei seinen Anti-Brüssel-Plakatfeldzug wegen der vermeintlichen EU-Förderung der illegalen Immigration selbst noch ausweiten. Für die „nächste Phase des Wahlkampfs“ hat Orban eine Plakataktion gegen Junckers Stellvertreter Frans Timmermanns angekündigt: Der stellvertretende Chef der EU-Kommission zieht als Spitzenkandidat der sozialdemokratischen S&D in den Wahlkampf.

Gibt’s wieder Ärger mit Orban

Neuer Ärger um Orban ist absehbar. Der jahrelang vor allem von der deutschen CDU/CSU hofierte und verhätschelte Fidesz-Chef ist für die EVP im Europawahlkampf längst zu einer Belastung geworden. Als „Mühlstein“ wird der Ungar EVP-intern mittlerweile selbst von ihm lange gewogenen Schwesterparteien bezeichnet. Acht der 51 EVP-Mitgliedsparteien fordern inzwischen den Ausschluss von Fidesz, Tendenz steigend.

Tatsächlich wäre Orbans Fidesz-Partei mit ihren Feldzügen gegen Überfremdung und Brüssel in einem Bündnis mit populistischen Gesinnungsfreunden wie der französischen Front National, der italienischen Lega, der polnischen PiS oder der österreichischen FPÖ sicherlich besser aufgehoben.

Rumäniens „Mini-Orban“

Umso unverständlicher wirkt das wortreiche Zögern der EVP-Spitze um den deutschen Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU), Rechtsausleger Orban endlich den überfälligen Ausschlusslaufpass zu geben: Es sind wahltaktische Erwägungen, aber auch überkommenes Lagerdenken, die nicht nur der EVP, sondern auch der sozialdemokratischen PSE den Abschied von den schwarzen Schafen in den eigenen Reihen erschweren. Denn was der EVP der Dauerstörenfried Orban, ist für die S&D die rumänische Sorgenschwesterpartei PSD.

Ähnlich wie Fidesz positioniert sich die PSD eher als nationalpopulistische Klientelpartei denn als Hüterin europäischer oder sozialdemokratischer Werte. Mit seinem weit fortgeschrittenen Bemühen, die Gewaltenteilung auszuhebeln und die heimische Justiz unter Regierungskontrolle zu bringen, hat sich PSD-Chef Liviu Dragnea als Rumäniens „Mini-Orban“ selbst unter Europas Sozialdemokraten einen eher zweifelhaften Namen verschafft.

Doch während die S&D im anziehenden Europawahlkampf lautstark den Rechtsruck durch die „Orbanisierung der EVP“ beklagt, bleibt die klare Abgrenzung von der rumänischen Schwesterpartei aus. Ein „klassisches Messen mit zweierlei Maß“ bescheinigt der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold den sozialdemokratischen Kollegen: „Die S&D fordert von der EVP Konsequenzen, die sie selbst nicht zu ziehen bereit ist.“