Druck auf Richter: Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit in Polen nehmen eher zu als ab

Druck auf Richter: Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit in Polen nehmen eher zu als ab

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Nach dem Einknicken Warschaus gegenüber Brüssel bei der Reform des Obersten Gerichts, dessen Zusammensetzung mittels Zwangspensionierungen
im Sinne der rechtsnationalistischen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) verändert werden sollte, richtet sich das Hauptaugenmerk in der EU nun auf die neu geschaffene Disziplinarkammer.

Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger, Warschau

Dass dabei bald über einen Stimmrechtsentzug Polens im Europäischen Ministerrat abgestimmt werden soll, ist nicht zu erwarten, zumal Ungarn bereits sein Veto dagegen angekündigt hat. Wohl aber werden die Rechtsstaatlichkeitsprobleme beider mittelosteuropäischer EU-Mitglieder in den laufenden Verhandlungen ums EU-Budget 2021-27 vor allem von den Nettozahlern immer wieder angeführt.

Dabei liegt auch der Vorstoß vor, die EU-Transferzahlungen künftig von der Rechtsstaatlichkeit und EU-Vertragstreue abhängig zu machen. Polen und Ungarn müssten in diesem Falle mit empfindlichen Geldeinbußen rechnen. Noch ist dies nicht beschlossen, aber die Drohgebärde steht. In Brüssel gibt es deshalb durchaus auch ein Interesse daran, den Rechtsstaatsstreit mit Polen einstweilen auf niederem Feuer weiterkochen zu lassen.

Disziplinarverfahren

Bei der umstrittenen polnischen Richter-Disziplinarkammer ist die erste Instanz den 13 Berufungsgerichten angegliedert, als letzte Instanz steht die neue Disziplinarkammer des Obersten Gerichts. Beide Ebenen wurden vom Justizministerium im Spätsommer über ein Ausschreibungsverfahren mit neuen Disziplinar-Richtern besetzt. Vor die neuen Disziplinarkammern sollen Richter gezogen werden, deren Urteile juristische Zweifel auf sich gezogen haben.

Die Opposition und unabhängige Richtervereinigungen befürchten, dass mit der neuen Kammer Richter bestraft werden sollten, die nicht im Sinne der Regierung oder des einflussreichen Justizministers Zbigniew Ziobros (PiS) urteilen. So werden in den letzten Monaten in Warschauer Bezirksgerichten etwa immer wieder Demokratieaktivisten von teils absurden Anschuldigungen der Sicherheitskräfte freigesprochen.

Solche Befürchtungen erhärtet hat ein im September vom neuen Ober-Disziplinar-Richter Piotr Schab eingeleitetes Disziplinarverfahren gegen zwei Bezirksrichter aus Warschau und Lodz, die es gewagt hatten, den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) wegen gewisser Paragrafen der PiS-Justizreform anzurufen.

System von Disziplinarverfahren

Die beiden prominenten PiS-Justizreform-Kritiker Igor Tuleya und Ewa Macejewska hatten beim EuGH sinngemäß angefragt, inwiefern ihre Bezirksgerichte noch als unabhängige Gerichte im EU-Sinn gelten könnten, wenn ihnen neuerdings eine PiS-hörige Disziplinarkommission drohe. Beide reichten zur Untermauerung Urteile ein, wegen derer PiS sich an ihnen nun rächen könnte. Das EuGH-Urteil dazu steht noch aus.

Beide Bezirksrichter wurden noch im alten Jahr als Zeugen vor die Disziplinarkammer zitiert. „Damit wurde ein repressives System von Disziplinarverfahren angeschoben“, klagte Krystian Markiewicz, der Vorsitzende der unabhängigen Richtervereinigung „Iustitia“, in einem Brief an die EU-Kommission in Brüssel. „Ich bin überzeugt, dass solche systematischen Disziplinarverfahren gegen Richter ihr Recht auf einen Richterspruch und damit die Rechtsstaatlichkeit verletzen; sie stellen eine Bedrohung für unser Gerichtswesen dar“, argumentiert Markiewicz.

In der Tat sind die Bezirksgerichte für die allermeisten Bürger wichtiger als der von den Medien immer wieder beleuchtete Streit um das Oberste Gericht und Verfassungsgericht. Diese sind inzwischen im Windschatten der beiden anderen Auseinandersetzungen fast völlig umgestaltet worden.

Regierungslinie

Bei den gewöhnlichen Bezirksgerichten hat sich Justizminister Ziobro, der laut PiS-Willen auch Polens Oberstaatsanwalt ist, per Gesetz die Macht über die Gerichtspräsidien geben lassen. Wenngleich diese Kompetenzen im Sommer 2018 bei einer Goodwill-Aktion für Brüssel etwas beschnitten wurden, hatte es die PiS bis zu diesem Stichdatum längst geschafft, die meisten Gerichtspräsidien mit eigenen Leuten zu besetzen.

Die Opposition befürchtet, dass Richter, die nicht im Sinne der Kaczynski-Regierung urteilen, künftig vor die neue Disziplinarkommission des Obersten Gerichts zitiert werden könnten. Bisher verlief der Druck auf die Richter nur direkt über die Gerichtspräsidenten.
Auch bei der Reform der Bezirksgerichte geht es der PiS – wie bei der auf massiven Druck Brüssels hin gestoppte Zwangspensionierung von Höchstrichtern – angeblich einzig um Überwindung kommunistischer Altlasten und mehr Bürgernähe. Begonnen hatte dieser Prozess bereits kurz nach der Machtübernahme der PiS im November 2015 mit der Paralysierung des Verfassungsgerichtes. Erst seitdem die Kaczynski-Partei dort die Mehrheit und mit Julia Przylebska eine eigene Gerichtspräsidentin hat, kann das Verfassungsgericht wieder arbeiten. Unabhängig ist es jedoch nicht mehr; wobei auch Vorgängerregierungen immer wieder versucht hatten, das Verfassungsgericht – auch personell – zu beeinflussen.

KTG
22. Februar 2019 - 12.53

Tja, eine offen autokratische Truppe wie die PiS-Partei kann halt nicht anders. Ansonsten: sobald der Alptraum vorbei ist, sollte Polen eine Verfassungsreform durchführen, die eine völlige Unabhängigkeit der Justiz garantiert. Dass Richter von Politikern auf ihre Stühle gesetzt werden, ebenso wie Staatsanwälte, führt ja in den USA bereits zu endlosen Problemen und Demokratiedefiziten.