Wider das Panaschieren!

Wider das Panaschieren!

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Am 14. Oktober müssen die eingeschriebenen Luxemburger Wähler und Wählerinnen eine neue Abgeordnetenkammer wählen. Im Gefolge ist Letztere dann befugt, einer neuen Regierung ihre Zustimmung zu geben oder zu verweigern. Demzufolge ist es sehr wichtig, welche Partei oder Parteien vom Wähler den Auftrag erhalten, dieses Land auf fünf Jahre zu regieren!

Von Josy Konz, Ehrenbürgermeister der Gemeinde Mamer und Ehrenpräsident des FNCTTFEL-Landesverbandes

Wer einmal in einem Wahlbüro in seiner Gemeinde mitgearbeitet hat oder wer als zugelassener Zeuge seiner Partei bei der Auszählung der Stimmen anwesend war, weiß, wie verkehrt viele unserer Zeitgenossen, in der Wahlkabine allein gelassen, ticken.

Da gibt es die:

  • die auf allen Listen quer durch den Garten Stimmen verteilen;
  • die auf allen Listen nur dem jeweiligen Spitzenkandidaten eine bzw. zwei Stimmen geben;
  • die Revanche an einem oder an mehreren Kandidaten ausüben;
  • die ihre Stimmen restriktiv nach regionalen Kriterien verteilen oder nur Frauen bzw. keine Frauen oder nur Sportler oder keine Sportler wählen;
  • die auf einer bestimmten Liste nur einem einzigen Kandidaten zwei Stimmen geben, was sofort den Verdacht aufkommen lässt, dass der betroffene Kandidat innerhalb seines Familien- und Freundeskreises entsprechende Instruktionen herausgab;
  • die keine einzige Stimme abgeben;
  • die beleidigende Bemerkungen auf den Wahlzettel schreiben, usw. usf.

Unser Wahlsystem ist ein «gemischtes» Wahlsystem, das in jedem einzelnen der vier Wahlbezirke in folgender Reihenfolge Anwendung findet:

  1. Die Zuteilung der Sitze an die verschiedenen Parteien erfolgt nach dem Proporz (Verhältniswahl). Das Total aller Stimmen auf einer bestimmten Liste ist ausschlaggebend für die Anzahl der Sitze, die dieser Liste zustehen.
  2. Nach der Zuteilung der Sitze wird die Reihenfolge der auf einer bestimmten Liste gewählten Kandidaten nach dem Majorz (Mehrheitswahl) aufgestellt.

Bei der Zuteilung der Sitze (siehe unter Punkt eins) kann man bei jedem Wahlgang feststellen, dass der LSAP zwei bis drei Sitze vorenthalten werden, weil viele Genossen und Sympathisanten der Sozialisten ihr Wahlrecht nicht ganz ausüben.

So gehen der LSAP tausende von Stimmen verloren. Insbesondere in den großen Wahlbezirken Süden mit 23 und Zentrum mit 21 Kandidaten pro Liste wird es recht schwierig für den Wähler, der auf der LSAP-Liste panaschiert, den Überblick zu behalten. Schlimmer noch wird das Unterfangen, wenn er auf verschiedenen Listen panaschiert.

Ursprung des gemischten Systems

Dabei wäre es so einfach, nicht unbedingt dem schon einmal Gewählten, dessen Nachkommen, dem Leistungssportler, dem Sprecher auf RTL (Radio und Télé), dem Herrn Professor, dem Rechtsanwalt, dem Doktor usw. usf. den Vorzug zu geben gegenüber den anderen Kandidaten, die gleichwertig auf den jeweiligen Bezirkskongressen ihrer Partei das volle Vertrauen der Delegierten erhielten.

Würden sie den Kreis über der LSAP-Liste schwärzen, erhielte jeder Kandidat eine Stimme. Wie kam es eigentlich zu diesem ungerechten Wahlsystem, das bewusst bestimmten Kandidaten einen Vorteil verschafft, wodurch automatisch andere benachteiligt werden?
Nach einem positiven Referendum am 28. September 1919 erhielten alle Luxemburger und Luxemburgerinnen, die zu dem Zeitpunkt im Lande wohnten und großjährig (21 Jahre alt ) waren, das allgemeine Wahlrecht.

In Anbetracht der Größe unseres Landes und der Gefahr einer eventuellen Manipulation des Ergebnisses wurde dieses Wahlrecht mit einer Wahlpflicht verbunden.

Heute gibt es Zeitgenossen, die diese Pflicht als lästig empfinden, wobei sie außer Acht lassen, dass in vielen Ländern das einfache Volk (wie auch im Großherzogtum vor dem Ersten Weltkrieg) kein Wahlrecht hat oder wo es mit Gewalt an der Ausübung dieses Menschenrechtes gehindert wird. Für die Teilnahme an freien und geheimen Wahlen sind dort die Menschen bereit, ihr Leben einzusetzen.

Geheime und allgemeine Wahlen sind das A und O einer Demokratie. Demokratie ist eine Staatsform, in der das Volk die eigentliche Staatsgewalt ausübt. Unser Volk hat sich 1919 für eine parlamentarische Demokratie entschieden, wobei die dritte Gewalt, die Judikative, unabhängig von der Politik sein muss.

Die Abgeordnetenkammer (Legislative) erlässt die Gesetze, die Regierung (Exekutive) regiert das Land und hat die ausführende Gewalt, während die Justiz (Judikative) allein befugt ist, die Gesetzesüberschreitungen zu sanktionieren.

Im Vorfeld des genannten Referendums fanden am 28. Juli bzw. 4. August 1918 Wahlen nach den Regeln des «ancien régime» (nur eine beschränkte Anzahl von betuchten Männer waren wahlberechtigt) zu einer verfassungsgebenden Versammlung («constituante») statt. Hierbei erhielten die Rechtspartei 23 (von insgesamt 53 Sitzen), die Liberal-demokratische Partei zehn, die Sozialistische Partei zwölf, die Volkspartei fünf und die Unabhängigen drei.

Im Gefolge dieser Wahlen hatten die Sozialisten auf ihrem Parteitag am 26. Oktober 1918 nachfolgende Motion von Jos. Thorn (cf. Ben Fayot, «Sozialismus in Luxemburg, Seite 194») angenommen: «Der Parteitag beschließt, die Einführung der Verhältniswahl in radikalster Form, mit einem einzigen Wahlkreis für das ganze Land, ohne panachage (gemischte Wahl, aus allen Parteien bevorzugte Kandidaten zu wählen) und ohne Köpfe (Vorzugswahl zugunsten Einzelner auf einem Wahlzettel) zu befürworten und fordert die Vertreter der Partei in der Kammer auf, nach sorgfältigem Einvernehmen mit der Parteileitung in einem für die Parteiprinzipien günstigen Sinne zu wirken.»

Auf ewig im Vorteil

Mit der konservativen Rechtspartei waren sich die Sozialisten darin einig, dass die Proporzwahl das demokratischste Wahlsystem wäre, während die Liberalen das Mehrheitswahlrecht bevorzugten. Dahingegen wurden die Forderungen der Sozialisten nach Ablehnung des «panachage» und der «Vorzugswahl» kompromisslos von der Rechtspartei zurückgewiesen.

Die Führung der Rechtspartei (Vorläufer der jetzigen CSV) hatte sich ausgerechnet, mittels eines «gemischten» Wahlsystems auf ewig im Vorteil gegenüber den anderen Parteien zu bleiben. Zu Recht spekulierte sie darauf, dass der Großteil der Luxemburger Wähler, insbesondere die erstmalig zugelassenen Hausfrauen, Religions- und Ordensschwestern, als strukturell konservativ gelten und im Zweifelsfall gegen jegliche Neuerung seien.

Die ersten freien, allgemeinen und geheimen Wahlen zur Abgeordnetenkammer am 26. Oktober 1919 (also kurz nach dem Referendum) gaben ihnen recht. Die Rechtspartei verbesserte ihre Sitzzahl von 23 auf 27 (von insgesamt 48) und erhielt damit die absolute Mehrheit, während die Sozialisten von zwölf auf acht und die Liberalen von zehn auf sieben und die Volkspartei von fünf auf zwei Sitze abrutschten.

Die Hoffnung auf Dankbarkeit des ehemals entrechteten Volkes konnten sich die Sozialisten, die die ersten und eifrigsten Verfechter des allgemeinen Wahlrechtes und des Frauenstimmrechts waren, abschminken. Auch mussten sie feststellen, dass das Recht auf Panaschieren die Etablierten und Notabeln übermäßig bevorteilte.

Und heute, 100 Jahre später?

Auch heute noch halten die Konservativen und Liberalen das Panaschieren hoch. Leider hat sich mit der Zeit auch in den Reihen der Sozialisten die Losung breitgemacht: «Ich wähle Leute, Leute mit Kompetenz und Leute, die ich kenne!»

Zu meiner aktiven Zeit galt unter den Lohnabhängigen, sowohl in den Freien Gewerkschaften wie in der LSAP, die Parole, fest zusammenzustehen, um die Interessen der schaffenden Bevölkerung zu gewährleisten und zu fördern.

Die Losung, die auch heute noch richtig ist, hieß: «Den Kreis über der LSAP-Liste schwärzen!»

Jacques Zeyen
2. Oktober 2018 - 11.49

Bravo Herr Konz. Genau richtig,bis auf den "Wahlzwang",statt "Wahlrecht". Auch so können Resultate verfälscht werden,wenn eben jene Leute die sich "gezwungen sehen" zu wählen,unter Angst auf Strafe, und dann irgend eine Person ( deen seet ëmmer sou frëndlech moien..) oder quer durch den Garten wählen. Wer in die Politik eingreifen will sollte das auch tun und in einer Demokratie wird das wohl meistens der Fall sein. Nichts anderes hat die Rechte seit Äonen gemacht,sie hat sich mit einem mächtigen Verbündeten gepaart. Mit dem Christentum. Das sind die Guten.Oder? Die letzten 5 Jahre haben gezeigt,dass es auch noch andere "Gute" gibt. Vielleicht bedankt sich der Wähler einmal.

René Charles
2. Oktober 2018 - 10.49

Ech panachéiren vun Ufank un, well ALL Partei huet mindestens eng Perso'un (m/f) déi menger Meenung nët wielbar as. Et widersteet mech esou Leit eng Chance ze gin durch einfacht Ukräizen vum Rondel. Vun eenzelne Leit, déi ech selwer kennen, krut ech och mol gesot si géifen NIE untrieden! Also just "Stëmmefänker" gutt halen per Rondel schwärzen? Nee Merci.

Grober J-P.
2. Oktober 2018 - 10.09

Lieber Josy, habe Mühe auf der LSAP Liste die Aarbechter zu finden.