Mobilität – Verkehr im Koalitionsabkommen

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Das Regierungsprogramm der Gambia-II-Koalition umfasst rund 240 Seiten und ist trotz einiger Stärken eher hausbacken. Es schießt selten über das anvisierte Ziel hinaus, bleibt oft vage und insgesamt hinter den Erwartungen zurück.

Von Jean-Claude Thümmel, ehemaliger Präsident des FNCTTFEL-Landesverbandes

Die 38 Themenblöcke, die im neuen Abkommen beschrieben werden, können natürlich nicht alle im vorliegenden Beitrag behandelt werden. Dies würde den Rahmen sprengen und sicherlich über das Ziel hinausschießen.

Aus gutem Grund also befasst sich dieser Artikel nur mit einem einzigen, doch zentralen Thema, der Mobilität. Dass Luxemburg im Verkehrschaos zu versinken droht, ist heute keine Schwarzmalerei mehr, sondern bittere Realität. Um dem sich abzeichnenden Verkehrsinfarkt zu begegnen, muss einiges geschehen, und zwar sofort. Oder aber zumindest sehr zeitnah.

Ob das Regierungsprogramm diesen Anforderungen Rechnung trägt, soll anhand einer Analyse des Kapitels Mobilität herausgearbeitet werden. Auf insgesamt sieben Seiten, unterteilt in 20 Punkte, versucht das Programm, Antworten zu liefern und Lösungsansätze zu beschreiben.

Ein „Plan national de mobilité“ soll her, um den Herausforderungen gerecht zu werden. Planungshorizont ist das Jahr 2035. Der nationale Mobilitätsplan soll somit auch Grundlage für eine strukturelle Anpassung des „Plan sectoriel transports“ sein. Das klingt alles verlockend und erinnert an eine frühere Gewerkschaftsforderung nach einem gesamtumfänglichen Verkehrskonzept.

Ein Gesamtverkehrskonzept, welches alle Transportmodi vereint und sowohl den Waren- wie den Personentransport umfasst. Denn beim Warenverkehr auf der Straße gibt es noch einiges zu tun, um die Güter verstärkt von der Straße auf die Schiene zu holen.
Der Logistik sind im Regierungsprogramm gerade mal fünf Zeilen gewidmet und das Problem des Tanktourismus wird elegant umschifft. Alles in allem also eine Menge Ankündigungen und wenig konkrete Schritte. Das ist etwas anders beim Thema Schienenverkehr. Im Koalitionsabkommen heißt es, die großen Eisenbahninfrastrukturprojekte sollen beschleunigt werden.

Entlastung

Dazu gehören zum Beispiel der Streckenneubau von Luxemburg nach Bettemburg sowie das multimodale Großprojekt Ettelbrück. Wie genau diese Vorhaben allerdings signifikant beschleunigt werden können, ist nicht bekannt.

Und zum Schluss des entsprechenden Absatzes heißt es erneut, „der Ausbau des Schienennetzes in Zusammenarbeit mit der nationalen Eisenbahngesellschaft wird vorangetrieben“. Vor allem im Süden des Landes. Auch um den Zentralbahnhof Luxemburg zu entlasten.

Wer jetzt frohlockt, eine neue Eisenbahnverbindung zwischen Esch und Luxemburg sei geplant, der wird schon bei der Lektüre des nächsten Abschnitts enttäuscht. Zum Thema Tram heißt es wortwörtlich, „le projet de tram rapide entre Luxembourg et Esch/Alzette sera intégré dans tous les projets routiers concernés par son tracé“. Eine Expresstram also, gebaut und betrieben von einer privaten Firma, die sich in Sachen Lohn- und Arbeitsbedingungen lediglich an Mindeststandards orientieren, somit für die nationale Eisenbahngesellschaft eine unlautere Konkurrenz darstellen und damit wiederum den Druck auf die Sozialbedingungen der statutarischen Eisenbahnbeschäftigten enorm erhöhen wird.

Ob Zufall oder Absicht, das lässt sich aus dem Regierungsprogramm nicht herauslesen. Das, was derzeit allerdings bei Luxtram geschieht, lässt nicht darauf schließen, dass der soziale Zusammenhalt – oder anders ausgedrückt die soziale Gerechtigkeit – gefördert werden soll. Es wird wohl auch in Zukunft munter gegeneinander ausgespielt. Das freut die Investoren, die damit weniger mit ihren Beschäftigten teilen müssen. Ähnliches könnte beim geplanten „Bus à haut niveau de service“ (BHNS) passieren.

Der neue und alte Transportminister plant sozusagen als Rückgrat des öffentlichen Gemeinschaftstransports auf der Straße zwischen Düdelingen und Rodingen ein solches Bussystem. Auf die Frage, wer ein derart komplexes System betreiben wird, blieb das zuständige Ministerium bis dato eine Antwort schuldig. Was auch bedeuten könnte, dass der Minette-BHNS in private Hände kommt. Was das wiederum für das öffentliche Transportsyndikat TICE bedeuten könnte, ist derzeit nicht abzusehen. Dass der Druck auf die Sozialbedingungen der TICE- Beschäftigten mit Gemeindebeamtenstatut erhöht wird, steht aber außer Frage. Absicht oder Zufall?

Dem Verkehrsverbund ist im aktuellen Koalitionsabkommen übrigens auch ein Abschnitt gewidmet. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang eine Formulierung, die eine Reihe von Fragen aufwirft. Es soll geprüft werden, ob der „Verkéiersverbond“ als „Etablissement public“ auch weiterhin seinem Auftrag gerecht werden kann. Oder ob „une approche plus centralisée au sein du département des transports ne soit préférable afin d’augmenter l’efficience et une meilleure cohérence dans l’organisation des transports publics“. Was das auch immer heißen mag. Der Abschnitt „Gratistransport“ ist gerade mal sechs Zeilen lang, hat aber gewaltige Reaktionen bei Betroffenen und weniger Betroffenen hervorgerufen. Eine Menge Tinte ist zu diesem brisanten und auch delikaten Thema bislang geflossen.
Druck von allen Seiten

Deshalb soll an dieser Stelle darauf verzichtet werden, die ganze Pro-Kontra-Gratistransport-Argumentation zu wiederholen. Mann/Frau kann für oder gegen einen gratis öffentlichen Transport sein. Fakt ist, er wird kommen, und zwar im ersten Trimester 2020.

So steht es im Koalitionsabkommen. Und genau das ist das eigentlich Problematische am gratis öffentlichen Transport, das Datum! Es wäre sicherlich intelligenter gewesen, das Ganze ohne konkretes Datum in das Abkommen zu schreiben. Die Frage lautet ja nicht, ob das so kommt oder nicht. Die Frage lautet, wie es kommt beziehungsweise umgesetzt wird. Aus gutem Grund haben die beiden Eisenbahnergewerkschaften mit Entsetzen auf die Ankündigung reagiert. Hätte man dieses heiße Eisen am nichtglühenden Ende angepackt, es wäre wohl mit viel weniger Emotionen verbunden gewesen.

Der Ressortminister hat die gesamte Verantwortung für die Umsetzung bei der Bahn in die Hände der Direktion gelegt. Ohne die Kompetenzen der CFL-Führung infrage stellen zu wollen, sei doch erlaubt, Folgendes zu bemerken.

Es soll sich nach den Worten des Ministers nichts für die Belegschaft, an erster Stelle Zugbegleiter, Schalterpersonal und Lokführer, ändern. Das klingt schön und gut, beruhigt aber nicht wirklich. Für die CFL-Verantwortlichen könnte sich eine Gelegenheit bieten, nach dem Vorbild einiger Nachbareisenbahnen es mal auf bestimmten Strecken ganz ohne Zugbegleiter zu versuchen.

Das Schalterpersonal wird ohnehin seit Jahren zusammengestrichen. Und den Lokführern wird parallel noch einmal mehr Verantwortung aufgebürdet. Inakzeptabel! Also: Es wäre angesichts der Tragweite dieser Maßnahme mehr als angebracht gewesen, zuerst Antworten auf alle sich aufdrängenden Fragen zu geben, um dann den Startschuss für eine Weltpremiere zu geben. Nämlich das erste Land überhaupt zu sein, das den gesamten öffentlichen Transport gratis macht.

Und noch etwas: Die voraussichtlich bis zum 31. Dezember 2024 laufenden Dienstleistungsverträge schreiben zwingend die Begleitung aller Personenzüge mit mindestens einem Zugbegleiter vor. Käme es in Zukunft zur Ausschreibung eines oder mehrerer Dienstleistungsverträge, so könnte dieser Absatz entscheidend werden.
Und noch etwas sollte schnellstmöglich geklärt werden. Im Koalitionsvertrag ist zu lesen, dass es zu keinem Einnahmeausfall zwischen den verschiedenen Transportanbietern kommen darf. Was das genau für die Transportleistungen heißt, die der Staat nicht direkt einkauft, ist momentan völlig unklar.

Es bleibt spannend mit der Weltpremiere.