Ewig lockt das Einhorn: Terrorismus versetzt die Menschen in Angst, doch die Beseitigung aller Gewalt bleibt ein Fabelwesen

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Darf man foltern, um Foltern zu verhindern? Diese Frage stellte auf einer Konferenz über «Menschenrechte und Vorbeugung extremistischer Gewalt» ein philippinischer Offizier, der auf der Insel Mindanao mit seiner Einheit in den Hinterhalt islamistischer Rebellen geraten war. Ein Überblick.

Von Robert Goebbels, ehemaliges Regierungsmitglied und früherer Europaabgeordneter

Nach dem Schusswechsel blieben Tote und Verletzte zurück. Die Rebellen verschleppten sechs Soldaten. Mit deren Handys riefen sie Angehörige an, damit diese «live» anhören konnten, wie die Geiseln brutal gefoltert wurden. Ein verletzter Rebell war ebenfalls gefangen. Sollte der Offizier zur Befreiung der Soldaten seiner «Geisel» Gewalt antun, um zum Versteck der Rebellen zu gelangen?

Die Frage blieb unbeantwortet, illustriert aber das Dilemma aller Gesellschaften im Umgang mit terroristischer Gewaltanwendung.

Die ethische Antwort ist: Auch Terroristen haben Rechte. Die Realität ist oft eine andere. Die Erklärung der Menschenrechte entstand nach den Grauen von Weltkrieg II. Die jungen Vereinten Nationen nahmen die juristisch eigentlich unverbindliche Erklärung vor 70 Jahren nicht einmal einstimmig an. Die damalige Weltgemeinschaft beschränkte sich auf 56 Staaten, viele davon Kolonialmächte. 48 Staaten stimmten für die vom Geist der europäischen «Aufklärung» geprägten Menschenrechte. Acht Länder enthielten sich der Stimme: Südafrika, Saudi-Arabien und sechs ost-europäische Volksdemokratien.

Heute ist die UNO weltumspannend. Mit ihrem Beitritt verpflichteten sich alle Staaten der Wahrung der Menschenrechte. Die überall gefeiert, aber jährlich in Dutzenden von Ländern missbraucht werden.

Die im Rahmen der asiatisch-europäischen ASEM-Konferenz im indonesischen Yogyakarta organisierte Tagung vereinte Regierungsvertreter, Diplomaten, Universitäre sowie NGOs. Ich nahm teil als Vertreter Luxemburgs in der «Asia-Europe Foundation» (ASEF).

Was ist ein «Terrorist»?

Die überaus interessante, aber oft widersprüchliche Diskussion entbrannte schon über die Definition der Konferenz-Themen. Es gibt keine völkerrechtlich gültige Interpretation des Begriffs «Terrorismus».

Während die «Menschenrechte» zumindest auf dem Papier von allen UNO-Staaten akzeptiert werden, hat die UN-Vollversammlung es bislang den einzelnen Staaten überlassen, «Terroristen» und «Terrorismus» in ihrer nationalen Gesetzgebung zu definieren. Was für die einen «Terroristen» sind, sind für andere oft «Freiheitskämpfer»!

Die «Founding Fathers» der angehenden Vereinigten Staaten von Amerika waren für den britischen Kolonialherrscher gewalttätige Rebellen. Es waren gewaltbereite Nationalisten, die viele Kolonien in die Unabhängigkeit führten. Die «Dissidenten» in früheren Ostblock-Staaten wurden verfolgt. Die «Separatisten» der ETA in Spanien, der IRA in Irland inspirierten sich nicht an der «Gewaltlosigkeit» eines Gandhi.

Die Vorreiter der Menschenrechte waren die französischen Revolutionäre von 1789 – deren hehre Prinzipien «liberté, égalité, fraternité» unter der Guillotine endeten und zum blutrünstigen Kaiserreich Napoleons führten.

Es sind die Sieger, welche die Geschichte schreiben. Unter den Gründervätern mancher Staaten, etwa Israel oder der Republik Irland, gab es «Terroristen», die unschuldiges Blut an ihren Händen hatten.

Um das Reizwort «Terrorismus» zu umschiffen, setzten die Organisatoren auf «Prevention of Violent Extremism». Doch Semantik hat ihre Tücken. Obschon sich alle Teilnehmer irgendwie einig waren, dass die Missachtung der Menschenrechte, die Armut, der Mangel an Bildung, an sozialen Aufstiegsmöglichkeiten und die Unterdrückung von Minderheiten oft Gewalt produzieren, gab es bei jedem Begriff Widerspruch.

Radikalisierung müsse nicht unbedingt schlecht sein, wenn versteinerte Strukturen aufzubrechen seien. «Extremistische» Positionen in Wissenschaft und Gesellschaft hätten sich oft durchgesetzt. Von Galileo über Kopernikus und Darwin bis hin zu Einstein geriet der vermeintliche Extremismus zur Norm.

Die ersten Emanzen landeten im Gefängnis. Die «moralischen» Vorurteile gegen «Ehebruch», «Scheidung», «Abtreibung», «Homosexualität», «Gotteslästerung» und vieles mehr sind selbst in der westlichen Welt nicht ganz überwunden.

Gewalt liegt in der menschlichen Natur. Nicht nur physische Gewalt, auch psychische Gewalt gegen die «anderen». Die Geschichte widerhallt von der Erniedrigung und Verfolgung ganzer Volksgruppen.

Es gab die Kreuzzüge, das Abschlachten der «Ungläubigen» im Namen Gottes oder Allahs. Es gab und es gibt die Pogrome gegen Juden, Armenier, Zigeuner, gegen Kosovaren, zwischen Hutus und Tutsis, nunmehr die Vertreibung der Rohingya in Burma. In der größten Demokratie der Welt duldet Premierminister Modi, dass religiöse Hindi immer wieder Muslime abschlachten, weil sie «heilige» Rinder verspeisten.

In Gottes Namen

Es sind zu oft die Religionen, die hinter Extremismus und Terrorismus stecken. Die heiligen Texte der Juden, der Christen und der Muslime, die eigentlich alle an den «Einzigen Gott» glauben, predigen vielfach die Ausmerzung der Irrgläubigen. Der Alleinvertretungsanspruch aller Religionen und aller Sekten ist die Triebfeder der Gewalt in vielen Teilen der Welt. Es gehört zu den Menschenrechten, dass jeder seinen Glauben leben kann. So wie jeder das Recht auf freie Meinungsäußerung besitzt. Doch wenn die Ausübung dieser verbrieften Rechte dazu führt, dass gegen andere gehetzt und Hass gepredigt wird?

Wo endet die Pressefreiheit? Wie vorgehen gegen die «Anpinkeln»-Orgien im Internet? Wie reagieren auf die «Fake News»? Die gar von Staaten kommen. In Teilen Asiens, nicht nur in China, gehen die Staaten gegen pornografische Angebote im Netz vor. Aber kaum gegen nationalistische Propaganda.

In Pakistan sind es «religiöse» Zeitschriften, die zum Mord an «Gotteslästerern» aufrufen. Die mutigen Richter des Obersten Gerichtshofes in Pakistan, die nach fünf Jahre langen Prozeduren die wegen «Gotteslästerung» zum Tode verurteilte Christin Asia Bibi freisprachen, riskieren nunmehr ihr Leben.

Unter den Konferenz-Teilnehmern stach eine charismatische Frau aus Pakistan hervor, die Mütter organisiert, um Jugendliche aus der zunehmenden Radikalisierung der Gesellschaft zu lösen.

Seit der Bildung des islamischen Landes vor 70 Jahren habe die pakistanische Jugend immer unter schlechten sozialen Verhältnissen und dürftiger Bildung gelitten. Doch die Radikalisierung habe erst nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan eingesetzt. Verstärkt durch Bushs Rachefeldzug gegen Bin Laden. Die Taliban und andere «Kämpfer Allahs» treiben nunmehr ihr Unwesen von Pakistan aus. Zirka 60 radikale islamische Gruppen verursachen Gewalttaten in Pakistan, Indonesien, Malaysia, Burma, Thailand, Indien, den Philippinen. Allein 100 ehemalige ISIS-Kämpfer haben sich aus Syrien nach Mindanao abgesetzt.

Dennoch wird das «Kalifat» sich nirgendwo durchsetzen. Doch so lange in vielen Teilen der Welt nicht bessere wirtschaftliche und damit soziale Grundlagen geschaffen werden, so lange Staatsterrorismus anstelle von Rechtsstaatlichkeit vorherrscht, gibt es immer wieder Nährboden für gewaltbereite Extremisten.

«Extremismus ist wie Liebe, man kann es fühlen», sagte die Pakistani, für die eine Befriedung vornehmlich über die wirtschaftliche Stärkung der Frauen geht, nicht allein durch Mikrokredite.

Die protektionistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen in den USA, aber auch in Europa, sind nicht hilfreich.

Die Angst vor Terrorismus ist ausgerechnet in jenen Weltteilen am größten, die am geringsten unter extremistischer Gewalt zu leiden haben.

2017 gab es in Europa 61 Opfer von Terroristen. Die meisten davon in Großbritannien, das die schärfste Gesetzgebung besitzt und die massivste Überwachung des öffentlichen Raums. Und als Nichtmitglied des Schengen-Raums theoretisch seine Grenzen kontrolliert. Dennoch ist das Risiko, durch ein Terrorattentat zu sterben, verschwindend gering. Ein britischer Professor zeigte folgende Statistik. Von 100.000 Menschen starben 265 an Krebs, 135 an Herzversagen, 11,7 durch Freitod, 5,4 durch Unfälle, 1 durch Lebensmittel-Vergiftung, 0,03 durch Terroranschläge, gleich gefährlich wie Tod durch Blitzschlag.

Die Weltgemeinschaft muss ihre Zusammenarbeit zur Bekämpfung terroristischer Sekten verstärken. Doch die Suche nach absoluter Sicherheit gleicht der Jagd auf das Einhorn. Wegen eines Fabelwesens dürfen wir nicht alle demokratischen Freiheiten opfern und Schritt um Schritt den totalen Polizeistaat akzeptieren. Dann hätten die Terroristen gewonnen.

Jacques Zeyen
10. November 2018 - 10.14

Wenn ein "Sprengstoffexperte" sich in einen Bus mit Schulkindern setzt und die Reißleine zieht,dann ist das sicher kein "Freiheitskämpfer". Wenn die Ethik so einem Feigling ein "Recht" zuspricht,dann muss man seine Ethik vielleicht überdenken. Sie haben die Hauptursache für Terrorismus beim Namen genannt. Die Schimäre " GOTT " die in allen Aggregatzuständen ,also flüssig,fest oder gasförmig, in den Hirnen der Menschheit gehegt und gepflegt wird hat in den letzten 2000 Jahren alles an Unmenschlichkeit übertroffen das man sich vorstellen kann. Und es ist noch lange kein Ende in Sicht. Die Vertreter dieses "Einhorns" dürfen heuer Gedenktafeln für Kriegsopfer segnen,welche sie selbst auf dem Gewissen haben oder zumindest ihre Institution. Die Hofierung eines Adolf Hitler oder die Rattenlinie sind bekannt. Diplomatie ist gegen religiöse Fanatiker,die überzeugt sind nach ihrer feigen Tat mit Jungfrauen(oder jungen Frauen je nach Interpretation der heiligen Texte) belohnt zu werden, unwirksam. Gegen Krebs,Herzinfarkt,Lebensmittelvergiftung usw. helfen keine Überwachungskameras.Aber wenn eine Explosion in einer Schule etc. durch zusätzliche Überwachung vermieden werden kann,dann verzichte ich persönlich auf die Freiheit,beim Nasebohren nicht beobachtet zu werden. Hysterie ist kein guter Berater.