Sterben der Popkultur?

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Ende Oktober wurde angekündigt, dass die SPEX – die legendäre, intellektuelle deutsche Zeitung für Popkultur – aufhört. Die Gründe dürfte jeder, der heutzutage im Journalismus tätig ist, sofort erahnt haben: In seinem Leitartikel gibt das Magazin sinkende Auflagen und Werbeeinnahmen an. Damit ist die SPEX nicht die einzige Musikzeitschrift, die in letzter Zeit das Zeitliche segnen musste – der New Musical Express stellte kürzlich seine Print-Ausgaben ein, die Intro verschwand gänzlich.

Gründe dieses Aussterbens findet man so einige. Gedruckte Musikzeitungen sind im Zeitalter von reinen Internetportalen so etwas wie die Wale des Journalismus (Jean Portante verzeihe mir die Anleihen an seine berühmte Metapher): So wie der Wal zwar im Wasser lebt, seiner Lunge wegen aber immer wieder an die Wasseroberfläche zum Atmen muss, so muss eine Printzeitung heutzutage sowohl im Internet als auch in Druckform trumpfen, da, wo beispielsweise ein digitales Magazin wie Pitchfork „nur“ das Internet bedienen muss.

Dass Popkultur wie auch dem Journalismus ein digitaler Paradigmenwechsel nicht nur bevorsteht, sondern Letzterer die meisten Vertreter dieser Branchen vor Jahren geradezu überrumpelt hat, ist keineswegs eine neue Einsicht. Aber wie Daniel Gerhardt in seinem Leitartikel in der SPEX selbst schreibt: Seine Zeitschrift hat sich nie als eine Institution, die von oben herab dem ungebildeten Pöbel vorschreiben wollte, was er hören soll, verstanden, hat sich im Gegensatz darüber gefreut, dass die Musikjournalisten im digitalen Zeitalter ihren Gatekeeper-Titel abgeben mussten und so konkret demokratischer vorgehen konnten. Mit dem Schwinden der SPEX stehen wir – ganz gleich unter welchem sozialphilosophischen Winkel und mit welchen Nuancierungen, Beeinträchtigungen oder wirklichkeitsverneinenden Schönreden man die Sache betrachtet – vor einem sehr konkreten Fallbeispiel vom langsamen Absterben des Qualitätsjournalismus.

Besorgniserregender sind aber fast noch die Reaktionen auf das Verschwinden der SPEX: Während in Frankreich die Magic RPM vor Jahren dank einer Leserinitiative gerettet werden konnte, gibt es hier hauptsächlich lethargische Mitleidsbekundungen in den sozialen Netzwerken, wenn man nicht geradezu die naive, arrogante Schadenfreude einer jungen Generation spürt. Diese Form von Vatermord ist umso dämlicher, da eben diese Kritiker, die der SPEX einen zu großen Intellektualismus und fortwährend eine unüberschreitbare Distanz zur breiten Öffentlichkeit vorwerfen, nicht merken, dass das Schwinden der SPEX, ganz gleich, ob man sie jetzt mochte oder nicht, gelesen hat oder nicht, ein weiterer Schritt hin zu einer sehr breiigen, uniformen, einheitlichen Auffassung dessen, was Journalismus kann und soll, ist – ein Rezept, das in einer Welt, wo jeder anders als der andere sein will, eigentlich gar nicht aufgehen kann.

Dass man sich jetzt, wie in einer rezenten Reportage des Deutschlandfunks, daran belustigt, dass eine Zeitung für Popkultur, die sich traute, Derrida oder Lacan als Referenzquellen zu zitieren, vor dem Ende steht, ist umso bedenklicher, da es eben dieser Anti-Intellektualismus ist, dessen sich auch der rechtspopulistische Diskurs bedient. Denn falls sich Journalismus – ob Print oder digital – dem Appell nach Vereinfachung anpassen muss, um zu überleben, riskieren wir, eine Presse zu schaffen, die den Tiefgang der Wirklichkeit nicht mehr zu spiegeln vermag. Vielleicht aber hat jede Epoche genau den Journalismus, den sie verdient.

Marie-Paule 2
13. November 2018 - 8.57

Guter Artikel! Ob dies aber der Rhetorik des populistischen Rechtsruck im entferntesten dient ist eher unwahrscheinlich. Auch wenn der beschriebene Artikel den Zusammenhang schön hinbekommt. Persönlich finde ich das verschwinden der SPEX nicht unbedingt dramatisch, aber doch sehr schade. Bedenklicher finde ich das gut gemachte Musik abseits des Mainstreams immer weniger Bedeutung zugesprochen wird und in den Luxemburger Medien sowieso nicht vorhanden ist. Entschuldigen Sie bitte das ich gerade Ihnen das schreibe... Gut gemachte Musik, Kunst oder sonstige kreative Inhalte kommen leider immer noch zu kurz. Aber auch hier wird sich sicherlich auch wieder eine rotzfreche Gegenkultur bilden die uns allen erklärt das wir total abgestumpfte langweilige Mainstreammotherfucker sind die die Welt haben den Bach runter gehen lassen. Der Zuständige Brandstifter schreibt vielleicht einen Blog, in Malaysia In dem Sinne: es lebe der junge Querdenker.

Christophe Cherel, Echternach
11. November 2018 - 18.35

schued!