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Almabzug in der Westschweiz: Gelebte Traditionen

Almabzug in der Westschweiz: Gelebte Traditionen
Prächtig geschmückte Tiere ziehen durch die Straßen von Albeuve im Kanton Fribourg in der Westschweiz (Fotos: Editpress/Daisy Schengen)

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Anfang Oktober beginnt die Saison des Alpabzugs. Gleichzeitig findet ein Familienfest
der besonderen Art statt. In der Westschweiz erlebte Daisy Schengen eine „Désalpe“ und kostete eine echte «Bénichon»-Spezialität.

Am 6. Oktober 2018 ist ganz Albeuve, ein kleiner uriger Ort in den Voralpen Freiburgs, der Heimatregion des berühmten Gruyère- und Vacherin-Käses, auf den Beinen. Der Anlass ist kein geringerer als der traditionelle Alpabzug, die «Désalpe», wie in der französischsprachigen Gemeinde die Überführung der Milchkühe nach vier Monaten auf der Alm in den Bergen hinunter in die Stallungen im Tal bezeichnet wird.

In «Bredzon» und «Dzaquillon» geht es nach Hause

Der Startschuss dafür fällt bei den Sennern und deren Familien mehrere Tage zuvor. Die Alp wird winterfest gemacht, die Kupferkessel für die Käsezubereitung auf Hochglanz poliert, Blumengestecke für den opulenten Kopfschmuck der Kühe und des Pferdewagens vorbereitet, die Tiere für das große Ereignis herausgeputzt.

Mitten in der Nacht vor der «Désalpe» heißt es für alle Beteiligten: Zeit, sich in Schale zu werfen. Einige Tiere werden mit Blumen aufgehübscht, andere tragen riesige Glocken am Hals, die an wichtige Ereignisse in der Familie der Landwirte erinnern. Die Senner ziehen ihren Trachtanzug an, von den Einheimischen auch «Bredzon» genannt, die Frauen ihren «Dzaquillon». Sind gegen drei Uhr in der Nacht Milchkessel und Käseharfe auf dem Pferdewagen verstaut, setzt sich der Zug in Bewegung.

Als Vieh und Senner unten im Tal ankommen, erwartet sie ein Volksfest. Freunde und Familie freuen sich, ihre Angehörigen nach vier Monaten Trennung wiederzusehen, das ganze Dorf – in dem an diesem Tag ein Markt mit lokalen Spezialitäten und traditionellen handwerklichen Erzeugnissen stattfindet – ist in Feierstimmung.

Anreise-Tipp

Wer den Alpabzug live erleben möchte, sollte lieber nicht per Auto anreisen. Man riskiert, das Defilee von Vieh und Sennern im Stau zu verpassen.

Besser in einer der umliegenden Ortschaften (bspw. Gruyère) parken und von dort aus den Zug nach Albeuve nehmen.

Weitere Infos:
www.fribourgregion.ch
www.foiredalbeuve.ch
www.myswitzerland.com

Ein besonderer Gaumenschmaus

Eine Woche später (am 13. und 14. Oktober) findet in den Ortschaften der Region La Gruyère die sogenannte «Bénichon» statt. Die «Bénichon», Lokaldialekt für «Bénédiction», steht für das Erntedankfest, an dem die ganze Familie zusammentrifft. Traditionell beinhaltet das Festmenü zwischen sechs und zwölf Gänge. „Wir essen sechs Stunden und länger“, erzählen die Einheimischen mit einem Lächeln.

Auf der Speisekarte stehen Lammragout, Schinken, Meringue mit Crème double, Gruyère AOP und Vacherin AOP. Ein Highlight der Speisefolge ist der köstliche «Bénichon»-Senf zum Safranbrot (Cuchaule), der aus Senfkörnern, «Vin cuit» (Apfel- und/oder Birnendicksaft), Nelken, Zimtzucker und Sternanis besteht.

Früher, heißt es, habe die Kirche nur an «Bénichon» Feiern und Tanzen erlaubt. Heute findet sie je nach Ort an unterschiedlichen Terminen statt, sodass es beinahe an jedem Wochenende von Mai bis November im Kanton Fribourg einen Grund zum Feiern gibt.