Ehrlich und authentisch: Radio Ara macht Sex-Podcast auf Luxemburgisch

Ehrlich und authentisch: Radio Ara macht Sex-Podcast auf Luxemburgisch

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Es geht um Analsex. Menschen lachen. Und das live im Radio! Wenn das Lachen erklingt, weil die Pointe des Witzes homophob war, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass gerade ein luxemburgischer Privatsender eingeschaltet ist. Wenn aber andere Gründe, beispielsweise ein gesunder humorvoller Umgang mit der eigenen Sexualität, vorliegen, dann könnte es sich um die neue luxemburgische Sendung «Méi wéi Sex» auf Radio Ara handeln.

«Ich empfinde diese Momente als sehr schön.» So beschreibt die junge luxemburgische Sexualpädagogin Kelly jene Situationen, in denen sie und ihre Kolleginnen Tessie (Journalistin) sowie Anne (Stand-up-Comedian und Schauspielerin) ab und an gemeinsam lachen, während sie on air über unterschiedlichste Aspekte von Sex und Sexualität diskutieren. «Das Zeigen dieser positiven Emotion trägt auf natürliche Art und Weise zur Ehrlichkeit und Authentizität bei», findet Kelly.

Unter anderem diese wolle man mithilfe der neuen halbstündigen Radiosendung vermitteln, in der es zwar definitiv um Inhalte, allem voran aber um eine respektvolle Kommunikation in Bezug auf den genannten Themenkomplex geht. Das gesetzte Ziel kommt nicht von ungefähr, da derartigen Gesprächen auch heutzutage noch allzu oft entweder eine extreme Scham oder überzogene Angeberei innewohnt, die beide nicht selten in Verbindung mit Desinformation stehen.

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Dass «Méi wéi Sex» in ihrer Muttersprache gesendet wird, stellt für Kelly und ihre Co-Moderatorinnen eine Herausforderung dar, die es sich aber anzunehmen lohne, meint die ausgebildete Pädagogin. «In Bezug auf das Verbalisieren von sexuellen Thematiken sieht man sich häufig einerseits kindlichen, wahlweise auch sehr vulgären oder eben fachmedizinischen Begrifflichkeiten gegenüber» erklärt Kelly. Der Mittelweg liegt aber zwischen all diesen Alternativen, da sind sich die Personen hinter den Mikros einig. Wie andere Menschen, die sich in Freundschaften oder Beziehungen befinden, mussten auch sie ihre gemeinsame Sprache finden.

Durch den teils sehr persönlichen, anekdotischen Charakter der Sendung, der sich mit allgemeineren Informationen paart, soll ein anderer Zugang für Jugendliche geschaffen werden, die zwar im Schulkontext für gewöhnlich mit biologischen Aspekten ihrer Sexualität konfrontiert und vor negativen Konsequenzen (beispielsweise Infektionsgefahren bei ungeschütztem Verkehr) gewarnt werden, jedoch eher selten lernen, dass und wie sie eigene Bedürfnisse, Grenzen oder gar Ängste in Worte fassen können und dürfen.

Was «sexuelle Gesundheit» bedeuten kann

Auch im progressiven Luxemburg wird «sexuelle Gesundheit» noch häufig auf eine Art gesundheitliche «Unversehrtheit» reduziert, indes spielen ein gesundes Selbstwertgefühl und ein Sich-Wohl-Fühlen im eigenen Körper ebenfalls eine essenzielle Rolle. Dies wird aber oft erst dann thematisiert, wenn es bereits zu negativen Erlebnissen kam und im Rahmen einer Therapie Bestimmtes aufgearbeitet wird. In «Méi wéi Sex» stellen Selbstwert sowie der Respekt vor sich selbst sowie dem oder der anderen das Fundament dar. Jugendliche sollen bei der Entwicklung ihrer sexuellen Persönlichkeit unterstützt und begleitet werden, statt dass man sie erst nach Zusammenbrüchen mit wertvollen «Gesprächswerkzeugen» ausstattet.

Lesen Sie zum Thema auch unseren Kommentar.

Das jüngst geschaffene Cesas («Centre national de référence pour la promotion de la santé affective et sexuelle») arbeitet im Rahmen des Projektes, das von der „Œuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte“ finanziert wird, mit Radio Ara zusammen. Die Leiterin des neuen Zentrums, Isabel Scott, erinnert daran, dass auch wenn man heutzutage von allen Seiten mit den Themen Sex und Sexualität konfrontiert wird, dies auch 2019 nicht bedeutet, dass jeder oder jede sich traue, über alltägliche Belange in diesen Bereichen zu sprechen, eventuell Rat zu suchen oder sich jemandem anzuvertrauen. «Statt von oben herab zu predigen, erscheint uns das für die Sendung gewählte Bottom-up-Prinzip und die Augenhöhe, auf der kommuniziert wird, sehr passend für die junge Zielgruppe», erläutert Scott.

Das Cesas war in die lange Vorbereitung von «Méi wéi Sex» eingebunden und befindet sich auch jetzt noch im Austausch mit den Moderatorinnen. Diese entscheiden zwar selbst über die Handhabung der anzusprechenden Themen, jedoch herrscht Einigkeit über bestimmte Botschaften. Dazu gehört unter anderem die Notwendigkeit von Konsens, also der Einvernehmlichkeit im Fall von sexuellem Kontakt (mit der Grundbedingung, dass dieser sich in einem legalen Rahmen abspielt).

Ein offenes Ohr

Ein wesentlicher Partner bei diesem Projekt ist der luxemburgische Gemeinschaftssender Radio Ara, auf dessen Initiative das gesamte Projekt zurückgeht. «Obschon Formate wie das aus der Bravo bekannte ‚Dr. Sommer‘ ihre Berechtigung haben, entschieden wir uns bewusst gegen eine Art Expert(inn)en-Sendung, in der man einen oder eine Professionelle(n) befragt und eine fachgerechte Antwort erhält. Durch die ebenbürtige Gesprächsebene entsteht vielmehr die Möglichkeit, sich gegenseitig und auch sich selbst Fragen zu stellen, da dies in der persönlichen Entwicklung überaus wichtig ist», erklärt die Sozialpädagogin Sandra Laborier, die zuständig für die Jugendsendungen «Graffiti» bei Radio Ara ist.

An diesem Punkt knüpft der Projektkoordinator von Radio Ara, Lars Schmitz, an: «Auch wenn die Diskussion um Sex und Sexualität keineswegs neu ist, so stellt aber die Verknüpfung mit der eigenen Identität ein hochaktuelles Thema dar. Im Gegensatz zu vergangenen Debatten findet mittlerweile eine breite Auseinandersetzung statt, die beispielsweise kritischer mit Rollenbildern umgeht. Auch darüber sprechen zu können, ohne Diskriminierung befürchten zu müssen, wird stärker eingefordert.»

Dieser berechtigten Forderung entsprechend sind die bisher 19 veröffentlichten Folgen frei von vorschnellen Wertungen und Ausgrenzung, was sich zuallererst schon am Untertitel «Fir all Mënsch mat engem Kierper» ablesen lässt. Der Vielfalt in Bezug auf sexuelle Identitäten wird damit Rechnung getragen. Ebenso werden die gewählten Themen so besprochen, dass ein besseres Verständnis dafür entsteht, dass man nicht mit dem ein oder anderen Geschlechtsorgan ausgestattet sein muss, damit es einen etwas angeht. So stellen zum Beispiel Rasur, Verhütung, Sex-Spielzeuge keine rein «weiblichen» oder «männlichen» Themen dar. Selbstbefriedigung, sexuelle Fantasien, Orgasmen, Beziehungsformen oder auch physische Grenzüberschreitungen ebenso wenig.

Unsäglich?

Kelly zufolge gibt es nichts, das man nicht aus- oder ansprechen dürfte. «Natürlich existieren Themen, bei denen besonderes Fingerspitzengefühl vorausgesetzt ist. Dazu gehört zum Beispiel sexualisierte Gewalt. Diskussionen hierüber können bei betroffenen Personen einen Trigger (negative Reize) auslösen. Uns scheint dabei ein sensibler Umgang unabdinglich.» Neben positiv konnotierten Gesprächinhalten sei es gerade auch wichtig, über derartige Themen zu sprechen, um gegen Desinformation vorzugehen, mit Mythen aufzuräumen und Stereotypen sowie Tabus zu brechen. Denn letztendlich seien oft Letztere ein Grund dafür, dass vor allem Jugendliche sich nicht wohl in ihrer Haut fühlen.

Wer diesen Artikel bis zum Schluss gelesen hat und nun überlegt, ob man seinen Schülerinnen und Schülern, Kindern oder Enkelkindern «Méi wéi Sex» ohne Vorbehalte empfehlen kann, dem sei an dieser Stelle verraten, dass auch wenn sich die Sendung hauptsächlich an Jugendliche richtet, man nicht dümmer wird, wenn man selbst als Erwachsener einmal reinhört (vielleicht im Auto, wenn die Sendung dienstags um 18.00 oder freitags um 15.00 gesendet wird). Am Schluss einer jeden Folge gibt es einen meist fünfminütigen Beitrag, der sich entweder mit einem aktuellen Thema (Bodyshaming oder juristische Prozesse im Falle von Vergewaltigungsvorwürfen usw.) oder ausgiebigen, aber leicht verständlichen Erläuterungen (zum Beispiel zu Konsens oder der Zusammensetzung der Vulva) befasst.

Die Zielgruppe kann, wie Lars Schmitz hervorhebt, das Ganze erst mal allein, in Ruhe mit den Kopfhörern auf den Ohren auf sich wirken zu lassen, wenn sie sich auf die Internet-Seite www.sexpodcast.ara.lu begibt und die einzelnen Folgen durchforstet. Wer Nachfragen oder Feedback hat, kann die drei Moderatorinnen im Anschluss an die jeweilige Episode anschreiben und braucht keine falsche Scheu zu haben. Wie am Ende jeder «Méi wéi Sex»-Folge versprochen, ist Diskretion eines der wichtigsten Gebote.