Grotesker Donbass: Rabenschwarze Komödie aus einem Kriegsgebiet

Grotesker Donbass: Rabenschwarze Komödie aus einem Kriegsgebiet

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Im Osten der Ukraine herrscht Krieg. Mit seinem Film „Donbass“ zeigt der ukrainische Regisseur Sergej Loznitsa die Absurdität des Konflikts. In zwölf kleinen Geschichten zeichnet er eine groteske Gesellschaft.

Der Mann kann es nicht fassen: Man hat ihm mitgeteilt, sein gestohlener Wagen sei von der Armee wiedergefunden worden, doch der zuständige Offizier fordert ihn auf, der Armee den Wagen offiziell und schriftlich zu überlassen. „Aber das ist doch Diebstahl“, sagt der Mann. Antworten des Offiziers: „Bist du für uns oder für die Faschisten?“, und „Ja sollen wir uns denn auf Pferden fortbewegen?“ Als der Wagenbesitzer weiter protestiert, wird ihm noch eine zusätzliche „Strafe“ von 100.000 Dollar auferlegt. Er wird in einen Raum gebracht, wo er darauf warten muss, bis Freunde das Geld aufbringen. Dort findet er sich in Gesellschaft von mehreren Geschäftsleuten wieder, die alle in der gleichen Lage sind.

Die Szene steht wie ein Resumee einer absurden Situation: willkürliches Benehmen der Machthaber, Korruption, und mittendrin verständnislose Zivilisten, die nur überleben wollen, „koste es, was es wolle“ oder wie in diesem Fall besser gesagt, „koste es, was es kosten muss“.

Allegorie des Ostukraine-Konflikts

Zuschauer, die Gogol gelesen haben, werden die absurden Bilder aus dem Donbass wiedererkennen: Absurdität, gepaart mit bürokratischer Borniertheit, die der große russische Autor, aber auch andere wie Kafka einprägsam beschrieben haben. Eine Lesart dieses Films mag den Krieg allgemein anprangern, doch Regisseur Sergej Loznitsa gibt Hinweise, die dem Zuschauer zeigen, auf welcher Seite er steht. Gleich zu Beginn des Films gibt eine Ortsangabe den entscheidenden Hinweis: Es heißt nicht einfach nur Donbass oder der Name eines Orts, sondern „Besetztes Territorium“, eine wohlüberlegte Formulierung, da in Besatzung stets eine negative Konnotation mitschwingt.

Bereits in seinem vorigen Film „Die Sanfte“ (2017) glaubten Kritiker eine Allegorie des Ostukraine-Konflikts herauszulesen. Wurde die Kritik in „Die Sanfte“ auf fast poetische Weise vorgetragen, benutzt der Regisseur in „Donbass“ wesentlich direktere Stilmittel. Da sich die meisten Szenen in den prorussischen Gebieten – mit ein paar Ausnahmen an den ukrainischen Grenzposten – abspielen, sind die Protagonisten in den meisten Fällen Russen oder prorussische Ukrainer. Diese werden manchmal karikatural dargestellt wie in einer Hochzeitsszene, deren komische und schräge Figuren an Federico Fellinis Filme erinnern, oder brutal und primitiv wie in einer Szene mit einem ukrainischen Gefangenen.

Galgenhumor

Die Menschen in diesen Gebieten scheinen die Situation nur zu ertragen, indem sie darüber lachen. Ein Hochzeitspaar z.B. scheint selbst überrascht, dass es heiratet, und benimmt sich, als sei es ein Spiel. Auf die Frage eines Journalisten an Soldaten auf einem Panzer, „was denn hier los“ sei, antworten Soldaten lachend: „Na was soll schon hier los sein? Krieg ist hier los.“ Und keiner der Soldaten will sich dem Journalisten als Anführer ausgeben. Es ist eben ein Krieg, in dem niemand verantwortlich ist. Die zwei Seiten beschuldigen sich ja in der Tat gegenseitig, Aggressor zu sein.

„Donbass“ besteht aus zwölf kleinen Geschichten, die nahtlos ineinander übergehen und auf teils realistische, doch meistens absurde Weise zeigen, wie die gesellschaftliche Ordnung in einem Kriegsgebiet vor die Hunde geht. Das Chaos, das in der Gesellschaft durch den Krieg entsteht, steigert sich bei Loznitsa zu einer Groteske.

Der französische Untertitel „Manuel de survie dans le Donbass en 12 leçons“ kann nur sarkastisch gemeint sein, denn hier ist nichts sicher: Auch wenn man alle Lektionen befolgt, ist das Überleben keineswegs garantiert, was ein paar Menschen im Film selbst erfahren müssen.

Krieg als Propagandamittel

Szenen wie die von Menschen, die wegen der Granaten in feuchten, schmutzigen unterirdischen Bunkern vor sich hin vegetieren, oder die öffentliche Demütigung eines ukrainischen Gefangenen (jeder, der den ukrainischen Zentralstaat unterstützt, ist in den Augen der Prorussen ein Faschist) sind schockierende, mit Realismus gezeichnete Bilder. In verschiedenen Momenten bewegt sich der Regisseur auch nah an einem Dokumentarfilm. Da sich der Streifen jedoch ständig zwischen bitterem Realismus und schwarzer Komödie hin und her bewegt, ist der Zuschauer gezwungen, ständig seine Sicht der Dinge zu ändern.

Allerdings zeigt Loznitsa auch, wie der Krieg als Propagandamittel benutzt wird – spätestens seit den Nazis nichts Neues. Mit Schauspielern stellen Journalisten gleich zu Anfang des Films eine Kriegsszene für das Fernsehen dar: Bei den Zeugen eines Granateneinschlags handelt es sich um Schauspieler, die eine Rolle aufsagen. Zu diesen Schauspielern kehrt der Regisseur am Ende des Films mit einem Paukenschlag zurück. Komödie hin, Realismus her: Am Ende stellt sich die Frage, inwiefern auch Loznitsa der Realität treu bleibt. Inwieweit hat er uns für seine Ziele manipuliert? Zu absurd, um wahr zu sein, werden einige sagen. Doch ist der Krieg nicht absurd an sich? Wie dem auch sei, ist Donbass ein kleines Juwel, dass man nicht verpassen sollte.