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„Green Book“: Paradebeispiel des „Magical Negro“-Phänomens

„Green Book“: Paradebeispiel des „Magical Negro“-Phänomens

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Er hätte so gut werden können, aber das war definitiv nicht der Fall: Der neue Film „Green Book“ hatte die Möglichkeit, anhand einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1962 hochaktuelle Thematiken wie Rassismus, Machtgefälle und Elitismus anzusprechen. Wer aber einen Regisseur an einen derartigen Stoff ranlässt, der für romantische Komödien und Dumpfbacken-Filme bekannt ist, der hat eigentlich schon verloren, bevor es losgeht.

Eine der Grundlagen für das Drehbuch zu Peter Farrellys neuem Film ist das sogenannte „Negro Motorist Green Book“, eine Art Reiseführer, der zwischen 1936 und 1966 erschien und Afroamerikanern auf Reisen als Stütze dienen konnte in einer Zeit, in der die „Jim Crow“-Gesetze noch Anwendung fanden. Hiermit sind eine ganze Reihe von Vorschriften gemeint, die der strengen Ordnung einer Rassenhierarchie folgten, in der dunkelhäutige Menschen definitiv nicht an erster Stelle standen. Der kleine Band sollte beispielsweise Aufschluss darüber geben, in welchen Restaurants und kleinen Hotels sie willkommen sind und tendenziell keine Anfeindungen befürchten müssen.

Schwarz-Weiß-Denken

Dieses Schriftstück bekommt der im Film betont ungebildete Tony (Viggo Mortensen) von jener Plattenfirma in die Hand gedrückt, die ihn dafür bezahlt, den dunkelhäutigen, intellektuellen, reichen und virtuosen Pianisten Don Shirley (Mahershala Ali) während seiner mehrwöchigen Südstaaten-Tour durch die Gegend zu kutschieren. Womit dann schon mal das perfekte Setting für „Schwarz-Weiß-Denken“ geschaffen wäre. So nimmt eine ziemlich seichte Mischung aus Road- und Buddy-Movie – denn natürlich werden sie Freunde, und das obwohl Tony, ironischerweise selbst italienischer in der Bronx lebender Migrant, zu Anfang noch den verkappten Rassisten mimt – ihren Lauf.

Durch ihre gemeinsam verbrachte Zeit lernen beide sich, ihre jeweiligen Lebensgeschichten und auch die Umstände, unter denen das Gegenüber seine Existenz bestreitet, besser kennen. Viele der bisher erschienenen Kritiken loben den Film mit dem Argument, er halte die Botschaft – manche würden auch sagen: unsägliche Floskel – „Never judge a book by its cover“ hoch. Man kann ein Buch halt auch nur anhand seines Einbands bewerten, wenn es einen überhaupt nicht interessiert, was drin steht.

Flach und flacher

Farrellys bekannteste Streifen (u.a.: „Dumm und Dümmer“, „Verrückt nach Mary“) lockten seinerzeit etliche Zuschauer mithilfe von üblen Schenkelklopfern in die Kinos. Seinen Filmen wohnt letztlich immer eine extrem oberflächliche „Moral von der Geschicht“ inne, hinter der sich aber Chauvinismus, Stereotype und Diskriminierung verstecken. In „Schwer verliebt“ geht es beispielsweise um einen Mann, der viele Frauen als „hübsch“ ansieht, obwohl diese teils stark übergewichtig sind. Die Botschaft besteht darin, dass wahre Schönheit von innen kommt und man diese nur mit dem Herzen sieht. Dass der Film aber bestehende Schönheits- und Frauenbilder zementiert, statt sie zu hinterfragen, interessiert scheinbar wenig, da er ja stets irgendein Element einbaut, das den Anschein erwecken soll, dass es sich nicht ausschließlich um „idiotie pour l’idiotie“ handelt.

In diesem Sinne bleibt sich Peter Farrelly bei „Green Book“ treu. Er bricht den grassierenden Rassismus der damaligen Zeit, der sich zeitweise in puncto Polizeigewalt, sozialer Exklusion und problematischer öffentlicher Diskurse in vielerlei Hinsicht nicht so sehr von der aktuellen Situation unterscheidet, darauf herunter, dass man trotzdem befreundet sein kann, wenn man nur ausreichend oft gemeinsam lachend im Auto „Kentucky Fried Chicken“-Fraß verzehrt.

„Green Book“ stellt außerdem das Inbild des sogenannten „Magical Negro“-Phänomens dar, also einem in populären Streifen häufig verwendeten Motiv, nach dem dunkelhäutige Charaktere in einem Film hauptsächlich die Funktion erfüllen, einen weißen Charakter zu einem besseren Menschen zu machen, während sie selbst aber im Hintergrund bleiben müssen. Über Shirley, einen bekannten Musiker, der wirklich gelebt hat, erfährt man nur sehr wenig, und dieser ist vor allem dann auf der Leinwand zu sehen, wenn Tony ihn mal wieder retten muss, sei es aus Polizeigewahrsam, einer Kneipe, in der er fast verprügelt worden wäre, oder auch wenn Tony ihn zu einem Klo fährt, weil er die Toilette der Besitzer des Hauses, in dem sein Konzert stattfindet, nicht benutzen darf.

Quatsch mit Soße

Bei Tony gestaltet sich das Ganze schon anders: Zu Anfang noch betrügerisch, fremdenfeindlich und machohaft dargestellt verzaubert sich dieser im Laufe des Films in einen Gutmenschen, der auf einmal Klaviermusik mag, mit Shirleys Unterstützung herzzerreißende Briefe an seine Frau schreibt und der mit schätzungsweise Mitte 50 auf einmal merkt, dass er in einem extrem rassistischen Land lebt.

Was er lernt, lernt er durch Shirley, womit dessen Job in the „Green Book“ dann scheinbar auch getan ist. Die Tatsache, dass zuvor genannte Briefe eine weitere Quelle für das Drehbuch darstellten, reicht definitiv nicht aus, um zu rechtfertigen, dass einer der Protagonisten – wenn auch schlecht umgesetzt und stereotyp daherkommend – vielfältiger und intensiver präsentiert wird als der andere. Seinen abstrusen Höhepunkt erfährt der Film in jenem Moment, in dem Tony Shirley vorhält, schwärzer als er zu sein, da er für seine gesamte Familie aufkommen muss und in der Gosse lebt. Dann erwidert Shirley, dass ihn keiner lieb hat und er zwar reich, aber eben allein ist. Da weiß man nicht so recht, ob man aus Verzweiflung weinen oder doch unverhofft lachen soll.

Natürlich ist es nicht verboten, unterhaltsame Filme zu produzieren, aber ab einem gewissen Moment stellt so ein simplizistischer Blödsinn einfach nur noch einen Affront dar. Wer ihn trotzdem sehen möchte, behaupte bitte nachher nicht, man habe ihn nicht gewarnt.