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Freudige Hyperventilation: Trio um Klarinettisten Louis Sclavis tobt sich in der Philharmonie aus

Freudige Hyperventilation: Trio um Klarinettisten Louis Sclavis tobt sich in der Philharmonie aus

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Im Rahmen der «Jazz Club»-Reihe hatte man am Mittwochabend in der Philharmonie zu einem Konzert des bekannten französischen Klarinettisten Louis Sclavis geladen. Dieser war gemeinsam mit seinen Kollegen Dominique Pifarély und Vincent Courtois zu Gast, um die neueste Platte «Asian Fields» vorzustellen.

Nicht selten findet man in der Medienlandschaft Altersangaben, die irrelevanter nicht sein könnten. Nun ist Louis Sclavis aber Mitte 60 – dies tut zumindest auf der Ebene etwas zur Sache, als dass der Klarinetten-Virtuose bereits als Kind mit diesem Instrument in Berührung kam und die beiden somit bereits ein halbes Jahrhundert miteinander verbracht haben. Damit geht übrigens die kleine witzige Pointe einher, dass die Wahl eigenen Aussagen zufolge angeblich nur auf das Holzblasinstrument fiel, da es in seinem Heimatort Lyon nur einen Klarinettenlehrer gab.

Außerdem hatte Sclavis durch die – im musikalischen Sinne – Gnade der frühen Geburt das Glück, die Blütezeit des Free-Jazz Ende der 1960er mitzuerleben, und konnte sich demnach mit einem Sub-Genre vertraut machen, das den Umgang mit dem Instrument revolutionierte. Was für ihn eigentlich in einem lokalen Musikverein begonnen hatte, konnte sich über all die Jahre weiterentwickeln, andere sowie neue Formen annehmen und verfeinert werden.

Louis Sclavis wird häufig in Interviews, und so auch im Vorgespräch auf der Bühne der Philharmonie vor dem Konzert, darauf angesprochen, dass er einen Hang dazu hätte, sich immer wieder neu zu erfinden. Dieser reagiert stets sehr gelassen darauf und erwidert, dass es bei all dem schon in der Musikwelt Existierende quasi unmöglich ist, noch innovativ zu sein. Daher bringe es weitaus mehr, Stücken und Konzerten durch die Konstellation und das Zusammenspiel der Band eine einzigartige Note zu verleihen.

Statt das Musizieren zu verkomplizieren, interessiere er sich mittlerweile mehr dafür, Musik zu vereinfachen, auf einen bestimmten Nenner zu reduzieren, um zum Wesentlichen gelangen zu können, schildert Sclavis am Mittwochabend seine Vorgehensweise und betont, dass dies ihr keineswegs ihre ohnehin vorhandene Komplexität nehme.

Should I stay or should I go?

Gemeinsam mit seinen Musikerkollegen Dominique Pifarély an der Geige und Vincent Courtois am Cello schuf er zumindest zu Anfang noch eine Zugänglichkeit, die durch einen unglaublich sanften, fast zurückhaltenden, aber dennoch heiteren Einstieg gewährleistet wurde. Zusehends nahmen alle drei Fahrt auf, es folgten auch düstere Klänge und doch wurde einem eventuellen Verlangen nach einem harmonischen klanglichen Miteinander Rechnung getragen, da sich das Publikum nur kurzweilig mit gezielt dissonanten Sequenzen konfrontiert sah.

Schon beim Eröffnungslied bewiesen alle drei, dass sie mit großer Aufmerksamkeit aufeinander eingehen können und niemand sich zu brüsk in den Vordergrund katapultiert. Dies wurde beim zweiten Stück «Fifteen Weeks» weiter perfektioniert. Wenn ein Instrument vorging, folgten das zweite und dritte unauffällig, aber hörbar. So, als ob ein Echo nachhalle, dessen Klangfarbe lediglich durch das jeweilige Instrument eine weitere Nuance bekam. Zwar entfernte man sich zeitweilig physisch im Raum voneinander und nahm Abstand, die Spannung sowie die Verbindung blieben aber indes bestehen, so untrennbar schien das Spiel des Trios.

Die zahlreichen Soli schufen intime Momente, bei denen das Zuhören fast schon etwas Voyeuristisches hatte, da die Solisten bei ihren Improvisationen mit geschlossenen Augen spielend, ganz bei sich, eng mit ihrem Instrument verwoben schienen und gewissermaßen kontrolliert freudig hyperventilierten. Gerade diese einzelnen Passagen entsprachen selten klanglichen Konventionen, gingen tief und störten wohl so manchen in seinem Harmoniebedürfnis. Denn je abstrakter die Tonfolge, desto höher die Zahl (vor dem Ende des Konzerts 14 Personen) ebenjener, die sich halbwegs unauffällig (löblicherweise leise) zwischen den Stücken verkrümelten.

Dies wundert ein klein wenig, da das «Asian Fields»-Album, mit dem das Trio derzeit tourt, genau diese unkonventionelle Varianz bereithält. Etikettenschwindel wurde beileibe keiner betrieben. Es kann natürlich auch sein, dass viele Menschen befürchteten, ihren Bus zu verpassen, was ja zumindest bedeuten würde, dass sie den öffentlichen Transport nutzen – und das, obwohl dieser (noch) nicht kostenlos ist. Der sehr versöhnliche, zärtliche Schluss sowie die beiden Zugaben blieben den Flüchtigen dementsprechend vorenthalten, was die Verbliebenen natürlich nicht davon abhielt, den langen musikalischen Abschied zu genießen und sich gebührend mit Applaus bei den Musikern zu bedanken.