Fernweh in Trier: „Von schwindelnden Felsenschlüften“ in der Moselmetropole

Fernweh in Trier: „Von schwindelnden Felsenschlüften“ in der Moselmetropole

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In Trier am Ende der Karl-Marx-Straße, direkt an der Römerbrücke, findet sich ein Juwel, neben dem die Auslagen der immer gleichen Warenhausketten förmlich verblassen. Die Rede ist von der Galerie des Kunstvereins Junge Kunst, in der zurzeit eine Fotoausstellung von Magdalena Abele mit dem Titel „Von schwindelnden Felsenschlüften“ gastiert.

Von Tom Haas

Folgt man der nach Triers berühmtestem Sohn benannten Straße Richtung Mosel, fällt sofort auf, dass die gleichförmige Innenstadt hier einem Mikrokosmos an Lokalkolorit Platz macht – neben Bio-, Ethno- und Asialäden findet man hier einladende Bistrots, zwielichtige Kaschemmen und andere Etablissements – ein Kaleidoskop der Widersprüchlichkeit jener Stadt, die sich gerne selbst Moselmetropole nennt. So ist es letztlich ganz passend, dass sich am äußersten Ende dieses Wurmfortsatzes genau das findet, was man eigentlich am wenigsten erwartet, nämlich eine anspruchsvolle Kunstgalerie.

Gegenwärtig beherbergt dieser unwahrscheinliche Ort eine Ausstellung, die für jeden einen Blick wert ist, der gerne mit Reisen und Fernweh kokettiert. „Von schwindelnden Felsenschlüften“, entlehnt dem Gedicht „Sehnsucht“ von Joseph von Eichendorff, richtet das Objektiv auf Naturschauspiele, denen man gerne das Prädikat Postkartenmotiv verleiht, allerdings aus einem etwas anderen Blickwinkel. Denn die Künstlerin Magdalena Abele interessiert nicht so sehr das Motiv an sich, sondern der Versuch des Menschen, sich dieser erhabenen Natur zu nähern. Aus Reisekatalogen kennt man jene Fotos verlassener, unberührter Natur, die suggerieren, das Ende der Welt sei mit dem Last-Minute-Flug mal eben um die Ecke.

Und die Ironie dieses Tourismus liegt ja gerade darin, dass die erhabene Mystik, das Fremde jener Sehnsuchtsorte, in jenem Moment schwindet, da man den Ort erreicht – und feststellt, dass man einer von tausend ist, die zur entrückten Einsamkeit pilgern und dass es um die Ecke einen Souvenirladen gibt, der Bilder jener Einsamkeit als Häppchen zum Mitnehmen anbietet. Abele bringt diesen notwendigerweise scheiternden Versuch des Menschen, sich mit der Natur zu verbinden, auf eindrückliche Weise zu Bilde.

Die Fotografien zeigen Panoramen jener Orte, allerdings nicht entrückt und verlassen, sondern voll von jenem menschelnden Gewusel, welcher der Massentourismus über sie ergießt. Dabei tauchen die einzelnen Personen oft mehrfach auf einem Bild auf: Die Künstlerin nimmt innerhalb einer Minute mehrere Abzüge aus der gleichen Perspektive auf und legt diese in Teilen übereinander.

Mensch als Beiwerk

So lässt sich der Gang eines einzelnen Touristen von seinem Strandtuch bis zu seinem Sprung ins Meer verfolgen oder die Orientierungslosigkeit eines herumirrenden Senioren mit seiner Reisegruppe im Death Valley. Allen Bildern ist gemein, dass die Natur als Kulisse, als Bühne wirkt und wenn auch nicht unberührt, dann doch ungerührt über dem vergänglichen Treiben der Menschen steht. Die Austauschbarkeit und Irrelevanz des Einzelnen im Angesicht der Gleichgültigkeit der Welt findet einen kraftvollen Widerhall in Abeles Kunst, ebenso wie ihre Liebe zur Natur selbst. Denn trotz der vielen Menschen bleibt doch immer sie das Zentrum, die Protagonistin der Kunst, die Personen sind das Beiwerk, mal störend, mal schmückend, doch niemals wirklich zugehörig.

Durch die Außenperspektive bleibt dem Betrachter natürlich die Erfahrung der eigenen Bedeutungslosigkeit zunächst verwehrt – indem er die Welt durch das Objektiv der Kamera erblickt, erfährt er selbst eine Distanzierung von dem Treiben auf dem Bild.
Und in der Ruhe der Galerie ergibt sich so die Gelegenheit, das eigene Bedürfnis nach Konsum von Erfahrungswerten zu reflektieren – wäre man selbst denn gerne eine dieser Personen auf dem Bild? Ist das die Form der Sehnsucht, die man befriedigt wissen möchte?

Ist die Natur nur Schauwert oder gibt es eine Möglichkeit, mit ihr tatsächlich Einklang und Verbindung zu erreichen? Unerheblich, wie der oder die Einzelne diese Fragen beantwortet, wird er oder sie in Zukunft nicht darum herumkommen, gewisse Orte aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Bis zum 23.2. in der Galerie Junge Kunst in Trier