Revolution auf dem Laufsteg

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Der Produzent Ryan Murphy („American Horror Story“) führt mittels der Serie „Pose“ die schillernde Revolution fort, deren Anfänge sich bereits 2009 bei „RuPaul’s Drag Race“ bemerkbar machten. Hierbei handelt es sich um eine US-amerikanische Realityshow im Topmodel-Format, in der Drag Queens gegeneinander antreten. Bereits dort werden Männer innerhalb von 15 Staffeln zu den schönsten und exaltiertesten Frauen. Eins ist klar: Drag, Travestie und schwule Kultur haben es in den Mainstream geschafft.

Von Elisa Leclerc

„Strike a pose“ – als Madonna 1990 ihre Hitsingle „Vogue“ mit diesen Worten eröffnete und einen Lobgesang auf die homo- und transsexuelle Ballroom-Szene schuf, konnte sie nicht ahnen, dass die Subkultur, die sie damals bereits zelebrierte, 30 Jahre später Eingang in die Wohnzimmer einer bürgerlichen Mittelschicht finden würde.

Fernab von Milliardärssöhnen, Anzugträgern und all jenen, die ebenso sinnbildlich für die New Yorker High Society standen, trafen sich Schwule, Lesben und Transsexuelle in der Ballroom- und Vogueing-Szene der 80er-Jahre, um dort zu tanzen, in Drag aufzutreten und ihre Sexualität und Geschlechtsidentität ohne die Vorbehalte einer prüden Norm auszuleben.

In seiner Serie „Pose“ zollt Ryan Murphy den damaligen Wegbereitern der heutigen Drag-Versessenheit Tribut. Dabei bricht er die Untergrundszene jedoch nicht auf eine reine Ansammlung von schrillen Persönlichkeiten, Schwulenklischees und Drag als bloßem Verkleiden herunter, sondern zeigt vielmehr, wie wichtig Zusammenhalt und Verbundenheit in Außenseiterkreisen sind.

Von Beginn an setzt „Pose“ daher beim Begriff Familie an. Sogenannte „Houses“ werden zur Antwort auf eine ständige gesellschaftliche Ausgrenzung – wer von der leiblichen Familie wegen seiner Homo- oder Transsexualität verstoßen wird, dem bleibt die Ballroom-Szene mit ihren „Houses“ als Ort der Zuflucht und Akzeptanz. Im Mittelpunkt steht Blanca Rodriguez (Mj Rodriguez), eine Transfrau, die nach ihrer HIV-Diagnose das „House of Abundance“ verlässt, um sich ihren Traum eines eigenen „House of Evangelista“ zu erfüllen. Ein „House“, wie Blanca später ihrem ersten Schützling Damon (Ryan Jamaal Swain) erklären wird, sei die Familie, die man sich selber auswählen dürfe: Zusammen trete man in der Ballroom-Szene auf, um dort die Laufstege zu erobern und Trophäen für Mode und Tanz zu gewinnen.

Neben Damon, einem aufstrebenden, schwulen Tänzer, treten auch Angel (Indya Moore), eine Transfrau und Sexarbeiterin, und Lil Papi (Angel Bismark Curiel) dem „House of Evangelista“ bei, die nun mit dem „House of Abundance“, geführt von Elektra Abundance (Dominique Jackson), konkurrieren.

Tanzen unter Trump

Was Murphys Protagonisten gemeinsam haben, ist, dass sie alle mit Ungleichheit und Diskriminierung kämpfen und Außenseiterfiguren sind, die ihre Zugehörigkeit nur in der Solidarität der Verstoßenen in den Ballrooms New Yorks finden.

Ryan Murphy zeigt dabei die Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Ausgrenzung: Als schwarze Transfrauen sind Blanca und Angel am unteren Ende der sozialen Leiter, müssen in Nagelstudios, auf der Straße oder in Peepshows arbeiten und werden in ihrer Existenz weder von Männern oder Frauen noch von Hetero- oder Homosexuellen anerkannt.

In den Ballrooms darf die queere Subkultur einen Lebenstil zur Schau stellen, den sie eigentlich sonst nicht für sich vereinnahmen darf – zumindest der Auffassung des Rest der Gesellschaft zufolge. Es werden Abendkleider, Netzpelze und Anzüge getragen, Geschlecht wird zu einer überspitzten Performance, in der Normen gleichzeitig aufgegriffen und neu konstruiert werden.

„Pose“ greift dabei Extreme auf: Als Gegenüberstellung gewährt Murphy ebenso Einblick in die Yuppie-Kultur unter dem Einfluss und Aufstieg Donald Trumps, der in der Serie jedoch nicht namentlich erwähnt wird. Unter ihm arbeiten Stan Bowes (Evan Peters) und Matt Bromley (James Van Der Beek), wobei insbesondere Letzterer die Personifikation von Alphatier-Gehabe, patriarchalen Strukturen und hegemonialer Männlichkeit ist und somit auch sehr deutlich für alles steht, was die Ballroom-Kultur in ihren Fesseln hält.

AIDS, Prostitution und Genderfragen

Die Themenvielfalt in „Pose“ ist beachtlich: Nur oberflächlich und richtungsweisend als roter Faden geht es um Mode, Opulenz und Tanz. Auf einer tieferen Ebene hingegen befasst sich die Serie mit AIDS, Gender, Prostitution, geschlechtsangleichenden Operationen, Sexualität und Verhütung. „Pose“ gelingt es, eine Welt in ihrer Komplexität zu visualisieren, die lange verborgen, verpönt und ignoriert geblieben ist.

Waren im Vorjahr, angeregt durch Scarlett Johanssons Casting als Transmann, noch heftige Debatten darüber geführt worden, ob Schauspieler transsexuelle Charaktere verkörpern dürften, so zeigt sich Ryan Murphy hier als Vorbild, indem Transgenderfiguren auch ausschließlich von transsexuellen Schauspielern porträtiert werden und diesen somit eine Schaubühne und Sichtbarkeit gewährt wird.

Aus einer sozialkritischen Perspektive verdient „Pose“ somit durchaus Applaus, aus einer cinephilen Betrachtung kommt jedoch auch Kritik zum Vorschein: Wie gewohnt ist es Ryan Murphy, der bereits mit „American Horror Story“, „Glee“ und „American Crime Story“ Erfolge feiern konnte, zwar gelungen, eine gute, solide Serie auf die Beine zu stellen, an der Genialität großer Namen schrammt er jedoch vorbei.

Fehlende Aha-Momente und Mehrdimensionalität

In mancher Hinsicht wirken die Dialoge uninspiriert, das Geschehen vorhersehbar und die Charaktere unglaubwürdig, was sich insbesondere in Elektra Abundance manifestiert, die wie die Karikatur einer Disney-Bösewichtin auftritt.

Alles in allem ist die Serie durch ein Schwarz-Weiß-Denken gekennzeichnet, es kämpfen Gut gegen Böse, Unterdrückte gegen Unterdrücker, und trotz Schicksalsschlägen und Streitereien endet „Pose“ damit, dass sich zum Schluss alle selbstbestimmt, glücklich und als große Gemeinschaft wiederfinden.

In einem heutigen Trump-Amerika, welches von einem Rückschritt in den nächsten schlittert, mag das eine in ihrem Optimismus mutige, sogar subversive Aussage sein, das Publikum wird nichtsdestotrotz Aha-Momente, Überraschungen und Mehrdimensionalität vermissen.