Wie wird man in Luxemburg zum Kirchenführer?

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Sie kennen sich mit Architektur, Geschichte, Kunstgeschichte und Religion aus. Viele von ihnen sind bereits ausgebildete Touristenführer, erfuhr Daisy Schengen.

Die Ausbildung zum Kirchenführer ist ihre gemeinsame Idee: Christiane Kremer-Hoffmann, ausgebildete Theologin (Luxembourg School of Religion & Society, LSRS), und Laure Simon, zuständig für die Koordination bei der «Erwuessebildung». Im Interview erzählen sie von den Motiven der Teilnehmer, sich zum Kirchenführer ausbilden zu lassen, berichten über Lerninhalte und klären auf, warum eine Kirche mehr als nur Religion zu bieten hat und auch als Schatzkammer gelten kann.

Tageblatt: Warum, denken Sie, brauchen wir heutzutage Kirchenführer?

Christiane Kremer-Hoffmann: Offenbar gibt es immer mehr Menschen, die Interesse an Kirchenräume haben. Neue Studien zeigen, dass fast jeder Zweite im Urlaub eine Kirche oder ein Kloster besichtigt. In unserem turbulenten Alltag werden Kirchen oft als Orte der Stille, der Spiritualität empfunden, auch von denjenigen, die nicht religiös praktizierend sind. Ein Beispiel dafür ist eine Studie im Trierer Dom, die ergab, dass auch Besucher, die sich selbst als nicht gläubig bezeichneten, eine Kerze für ein Anliegen anzündeten. Sie erklärten, dass der Raum im Dom ihnen Geborgenheit vermittelt. Außerdem wissen wir, dass Kirchen als ein Ort der Geschichte und Kultur wahrgenommen werden, eben anders als funktionale Gebäude aus unserem Alltag. Sodass viele Menschen zwar Kirchen besichtigen, aber trotzdem das Bedürfnis nach weiterführenden Erklärungen haben. Den Schlüssel zu mehr Informationen zu liefern, das ist das Ziel dieser Ausbildung.

Wer nimmt an der Ausbildung teil, die mittlerweile zum dritten Mal angeboten wird?

C.K.-H.: Einige Teilnehmer bezeichnen sich explizit als gläubig und an Fragen der Religion interessiert, andere bringen mehr Distanz mit, sind historisch und kunsthistorisch interessiert. Im Grunde ein Querschnitt der Gesellschaft.

Wie gehen Sie mit Teilnehmern um, die Religion mit Abstand begegnen?

C.K.-H.: Unser Projekt ist für jedermann offen. Allerdings legen wir den Teilnehmern nahe, dass sie sich mit den Kursinhalten auseinandersetzen. Wenn beispielsweise in einer Kirche eine Darstellung von Gott gezeigt wird, der als alter Mann mit Bart auf einer Wolke Platz genommen hat und mit ernstem Blick die Besucher anschaut, heißt das, dass wir mit einer Darstellung aus dem 19. Jahrhundert zu tun haben. Ein Kirchenführer muss diesen Unterschied im Kontext zu den Bildern anderer Epochen setzen und erklären können.
L.S.: Er muss die christlichen Rituale und Symbolik kennen: Eucharistie-Feier und Altar, Tauf- und Weihwasserbecken usw. Ob er oder sie selbst daran glaubt, ist eine andere Frage.

Welche Inhalte wollen Sie den Teilnehmern der Ausbildung zum Kirchenführer vermitteln? Welche Rolle spielt dabei Religion?

C.K.-H.: Wir wollen Inhalte vermitteln, ohne die Menschen religiös zu vereinnahmen.
L.S.: Die angehenden «guides» sollen eine Kirche in ihrer Gesamtheit verstehen: Welchen Hintergrund haben Bauweise und Symbolik beispielsweise, um diese Inhalte Besuchergruppen zu vermitteln? Gleichzeitig sollten sie einen Zugang zu Spiritualität vermitteln, einer zweiten Dimension der Kirchenführung.

Am Anfang des Projekts stand eine Idee …

C.K.-H.: Sie entstand im Rahmen eines Projekts der «Erwuessebildung», der «Kierchentour». Seit 2011 besuchen wir sonntagnachmittags verschiedene Kirchen, wo sie als religiöses und historisches Gebäude erklärt werden. Auch die Musik gehört immer dazu. Um dem wachsenden Interesse Rechnung zu tragen, entstand die Idee, andere Menschen auszubilden, die ihrerseits Kirchenführungen anbieten.

Wie viele «guides» wurden im Rahmen des Projekts bereits ausgebildet?

L.S.: Derzeit läuft gerade die dritte Auflage der Ausbildung. 30 Menschen haben sie bisher mit einem Zertifikat abgeschlossen. In diesem Jahr zählen wir 25 Teilnehmer.

Wer lässt sich zum Kirchenführer aus- und weiterbilden?

L.S.: Einerseits sind das ausgebildete Touristenführer, die in ihren Rundgängen auch Kirchen vorstellen. Durch die Ausbildung wollen sie die Kirchen «verstehen» und ihren Gästen mehr Informationen statt nur der üblichen historischen Daten liefern. Andererseits bilden wir auch Menschen aus, die mehr über eine bestimmte Kirche erfahren und nur diese Kirche bei Führungen vorstellen wollen. Möglicherweise sind sie in der Pfarrei engagiert oder leben in der Nähe und wollten schon immer mehr über das Gebäude und dessen Geschichte erfahren.


Die Auswahl der (Lehr-)Kirchen

Der Kurs ist nach dem «Lernen vor Ort»-Prinzip aufgebaut, erklärt Christiane Kremer-Hoffmann. Er umfasst insgesamt sechs Kirchen, die exemplarisch für eine Epoche, einen Baustil oder auch eine Einrichtung stehen. Die Benediktiner-Abtei in Klerf beispielsweise ist die einzige in Luxemburg, in der noch eine Gemeinschaft von Mönchen lebt, und wurde 1910 erbaut. «Die Vorstellungen von Harmonie und Proportionen ihrer Vorgänger prägten maßgeblich den Bau der Abtei», berichtet Laure Simon. Neben Klerf stehen Besuche in Echternach, Luxemburg-Stadt, Grevenmacher und Junglinster an: In Echternach begegnet man Romanik, in der Kathedrale der Hauptstadt Gotik bzw. Spätgotik und in Junglinster trifft man auf den Barockstil. Diese drei Objekte sind fest im Programm der Ausbildung, zu Übungszwecken besuchen die Teilnehmer jedes Jahrgangs abwechselnd auch neue Kirchen.


Die Methodik

Mehrere Referenten werden zu den jeweiligen Kurseinheiten eingeladen. «Ein lokaler Vertreter (zum Beispiel ein Kulturschöffe) übernimmt die Führung durch die Kirche. Gleichzeitig referieren externe Fachleute (Kunsthistoriker, Professoren für Kirchengeschichte) über ein bestimmtes Sachgebiet. Außerdem unterrichten wir beide Methodik und Didaktik einer Kirchenführung, die sich auch an der Museumspädagogik anlehnt», erklärt Christiane Kremer-Hoffmann.


Drei Fragen an Laurent Boquet: «Kirchen als Kulturerbe in Szene setzen»

Laurent Boquet ist einer der 25 Teilnehmer, die in diesem Jahr eine Ausbildung zum Kirchenführer absolvieren. Daisy Schengen hat mit dem angehenden «Guide» aus Esch gesprochen.

Tageblatt: Warum haben Sie sich für die Ausbildung entschieden?

Laurent Boquet: Ich engagiere mich im «Syndicat d’initiative et de tourisme» in Esch. Dort möchten wir die Sehenswürdigkeiten in unserer Stadt in den Vordergrund rücken. In Zusammenarbeit mit der Pfarrei haben wir beschlossen, dem Netzwerk «Oppe Kierchen» beizutreten und geführte Besichtigungen anzubieten. Die Entscheidung, dass jemand von uns die entsprechende Ausbildung macht, lag nahe. Ich befinde mich nun in der Ausbildung zum Kirchen-Guide.

Ist Ihre Teilnahme an dem Kurs überwiegend religiös motiviert oder war der touristische Aspekt ausschlaggebend?

Bei mir spielten beide Bereiche eine Rolle. Ich bin gläubig, im Escher Pfarrrat aktiv und demnach in der Kirche engagiert. Wer an der von der «ErwuesseBildung» und der «Luxembourg School of Religion & Society» angebotenen Ausbildung teilnimmt, wird sich auch mit Kirchenpädagogik auseinandersetzen. Hintergrundwissen in Bibelgeschichte ist hier übrigens hilfreich. Ein Beispiel: Ein Kirchen-Guide erklärt Bilder, die in der Kirche zu sehen sind. Er sollte wissen, warum es dort ausgestellt ist – also etwa, weil es im Zusammenhang mit der Bibel steht oder aus der Tradition heraus, weil es so von Generation zu Generation überliefert wurde.

In der Ausbildung zum Kirchenführer wird auch die Kirche als Ort des kulturellen Erbes thematisiert. Wie sehen Sie das?

Ich möchte ihre Rolle als «Patrimoine» hervorheben. Mir ist es wichtig zu betonen, dass Kirchen nicht nur religiöse Gebäude sind, sondern auch ein «Patrimoine» – und somit zu einer Stadt dazugehören. Wir sollten uns dessen bewusst sein und dementsprechend darauf achten, diese Einrichtungen, die Teil unserer Kultur sind, in Szene zu setzen.


Projekt «Offene Kirchen»

«Viele Kirchen sind heute aus Sorge vor Diebstahl oder Mangel an Personal für Besucher geschlossen», erklärt Laure Simon. Dieses Projekt ist Teil eines Netzwerks, das seinen Ursprung in Belgien hat. Luxemburg hat sich ihm jetzt angeschlossen. Ziel ist es, dass sich teilnehmende Kirchen unter anderem zu verbindlichen Öffnungszeiten verpflichten und ein Informationsangebot – wie im Museum – über sechs Sehenswürdigkeiten im jeweiligen Gebäude bereitstellen. An einem besonderen Logo an der Außenwand erkennt man teilnehmende Kirchen. Zurzeit beteiligen sich elf Häuser am Projekt, ab April folgen drei weitere, darunter Insenborn und Esch/Alzette.