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Von wegen Bierbauchmannschaft: Sportkeglen erfordert viel Training und echte Leidenschaft

Von wegen Bierbauchmannschaft: Sportkeglen erfordert viel Training und echte Leidenschaft

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Es gibt diese Vorurteile, die man einfach nicht mehr loswird. Der nationalen Sportkegler-Elite eilt ein Ruf voraus, gegen den sie eigentlich nicht viel unternehmen kann. Die Randsportart, aus der auch immer wieder Luxemburger Weltmeister hervorgehen, leidet an Klischees, die meist alle etwas gemeinsam haben: leere Biergläser und gröhlende Hobbysportler. Während die Lizenzzahlen der FLQ («Fédération luxembourgeoise des quilleurs») seit ein paar Jahren stagnieren, nimmt das Interesse am Sportkegeln zu – vom Aussterben bedroht ist dagegen die Luxemburger Eigenart «Quilles national».

Das Luxemburger Sportkegler-Aushängeschild heißt Gilles Mores, ist 27 Jahre alt, Weltmeister in der Tandem-Mixte-Kategorie (an der Seite von Mandy Parracho gewann er 2017 in Oberthal/D Gold) und Schichtarbeiter bei der Firma Goodyear. Seine drei verschiedenen Arbeitszeiten seien ein großer Nachteil beim Ausüben einer Sportart auf hohem Niveau, wie auch Steve Blasen, selbst dreifacher Einzel-Weltmeister (2003, 2007, 2011) und bei der CFL angestellt, bestätigte: «Es war damals manchmal schon hart, wenn man morgens nach der Nachtschicht in den Bus stieg und mit der Mannschaft über 500 Kilometer zum Auswärtsspiel fahren musste.»

Von wegen «Humpen héich»

Blasen war mit seinem Team, dem KF Oberthal, stets im Meisterrennen der deutschen Bundesliga vertreten. Mittlerweile hat Mores seine Nachfolge dort angetreten. Den Titel 2018 gewann übrigens der KSV Riol – mit in den Reihen einem Blasen, der zwar nicht mehr trainiert, dennoch weiterhin durch sein Talent zu den Besten seiner Sportart gehört. Rückenprobleme machten ihm allerdings bereits vor Jahren einen Strich durch die Rechnung, eine Teilnahme an einer Weltmeisterschaft mit sechs Tagen intensiver sportlicher Betätigung sind undenkbar geworden.

«Uns eilt dieser ‹Humpen héich›-Ruf voraus, dabei hat Sportkegeln damit gar nichts zu tun», wettert Blasen. «Am Spieltag oder bei Turnieren herrscht absolutes Zigaretten- und Alkoholverbot. Ich habe zu meinen Zeiten sogar die Erfahrung machen dürfen, wie es sich anfühlt, wenn um 6.00 Uhr morgens die Dopingkontrolleure klingeln. Da kannst du ja nicht mit zwei Promille die Tür öffnen … Sportkegeln hat nichts mit ‹Sport-loisirs› zu tun. Einmal hat man mir sogar vorgeworfen, dass sich die Doping-Frage nicht stelle, da man beim Kegeln ja mit Bier dopen würde …»

Neben den zwei wöchentlichen Trainingseinheiten auf der Bahn hielt sich Blasen nebenher mit Radfahren und Schwimmen fit. Die Meisterschaftsbegegnungen fanden meist am Samstagnachmittag statt. «Man braucht zusätzliches Bewegungstraining, ansonsten ist man während einer Weltmeisterschaft nicht auf der Höhe.» Zu Spitzenzeiten sind dies gerne 800 bis 1.000 2,8-kg-Kugeln pro Woche.

Auf Rekordjagd

In der Tat geht es bei der WM über mehrere Tage darum, gegen die Konkurrenz aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Brasilien und Argentinien zu bestehen. Jeder Spieler kegelt pro Partie 120 Mal, dies dauert rund 50 Minuten. Maximal wären also 1.080 Punkte möglich – der aktuelle Weltrekord liegt bei 1.027. Aufgestellt hat ihn Holger Mayer, Teamkollege von Gilles Mores in Oberthal. Die Bestleistung des Luxemburgers liegt bei 990 Punkten. «Dazwischen liegen Welten», gibt er zu. Von den 120 Kugeln räumte er rund 90 Mal ab (der sogenannte Neuner). Vom deutschen Rekordhalter gibt es übrigens auch öfters Tipps. Bei den Spielen hat man jedes Mal einen Mitspieler im Rücken, der bei Stellungs- oder Wurffehlern eingreifen darf. Aus Luxemburger Herren-Sicht spielen noch zwei weitere Akteure in der obersten Liga Deutschlands: Chris Fuchs und Tom Hoffmann.

«Zu Hause in Oberthal ist ein Resultat zwischen 940 und 960 Punkten bei Gilles die Norm», meint Daniel Neiertz. Der ehemalige Luxemburger Nationalspieler nahm aus beruflichen Gründen eine Auszeit und beschränkt sich auf den Sport in der nationalen Meisterschaft bei den «Kueben um Dill». Die beiden haben das Kegeln gleichzeitig erlernt und kennen sich seit rund 20 Jahren. Meist läuft der erste Kontakt mit der Kegelbahn über ein Familienmitglied. Das war auch bei Mores und Neiertz nicht anders. «Für die Wachablösung ist gesorgt, allerdings ist es schade, dass nicht mehr Nachwuchs vorhanden ist», resümiert Altmeister Blasen die Lage.

Das liegt einerseits am schlechten Ruf, mangelnder medialer Präsenz sowie schlicht und ergreifend an der Tatsache, dass mit Sportkegeln kein Geld zu verdienen ist: «Ich weiß, dass in Luxemburg das Gerücht kursiert, ich hätte mir damals nach der Saison ein Auto gegönnt. Ich kann versichern, dass es dafür allerdings nicht gereicht hat … Man bekommt Benzingeld und eine kleine Entschädigung, aber nicht einmal für eine Reise würde es reichten», schmunzelt Blasen auch noch acht Jahre nach seinem letzten Weltmeistertitel. FLQ-Präsident Berto Bargagna bestätigt, dass sich seit etwa fünf Jahren nichts an den Mitgliederzahlen des Verbands getan hat. «Vor rund zehn Jahren waren es wohl 3.000 Lizenzen, also rund 1.000 mehr als heute. Das liegt daran, dass viele Stammlokale schließen oder aus der Kegelbahn ein Restaurant wird. Die Klubs, die in der nationalen Meisterschaft antreten, sterben aus, wenn sie kein neues Lokal finden. Dagegen steigt das Interesse am Sportkegeln, auch nach der Eröffnung der nationalen Halle in Petingen hat man das gemerkt. Das Sportministerium unterstützt uns, weshalb Sportkegeln wohl die Zukunft ist. Die Vorurteile beziehen sich wohl eher auf den nationalen Wettbewerb.»

Luxemburger Unikat

Mores hat (wie die anderen «Auslandsprofis») neben der deutschen Lizenz nie den Kontakt zu seinem Heimatverein verloren. «Béischt», wie er in Insiderkreisen genannt wird, kombiniert die «Quilles national»-Meisterschaft in Böwingen mit der Sportkeglerei im Ausland.

Die besagte nationale Version ist übrigens ein Unikat, das in dieser Form nur in Luxemburg ausgetragen wird. Die Bahnen in den Cafés sind nämlich 15 Zentimeter breiter als beispielsweise überall in Deutschland, wo ausschließlich auf Bahnen mit einer Breite von einem Meter gespielt wird. Auch der Modus ist anders. Genau wie die Sportkegler mögen es auch die Kegler nicht, wenn man sie mit bierkonsumierenden Partylöwen über einen Kamm schert: «Wir bevorzugen die Bezeichnung ‹Quilles national›, und nicht Kneipenkegeln oder ähnliches.» Neiertz zeigt auf die Kaffeetassen und Wasserflaschen, die auf dem Tisch stehen. «Wir haben derzeit drei Teams in den verschiedenen Ligen eingeschrieben, mit rund 30 Lizenzierten.»

Im «Café beim Kueb» in Steinbrücken tragen gleich acht Teams ihre Meisterschaftsspiele aus, da immer mehr Bahnen und Stammlokale verschwinden. «Kueb» senior steuert dem Trend entgegen und wird in den kommenden Monaten seine dritte Kegelbahn in Betrieb nehmen. Wie in anderen Sportarten gibt es auch bestimmte Transferperioden und Klubwechsel, meist stehe aber der familiäre Aspekt im Vordergrund, fügt Neiertz hinzu. «Es ist eine Tatsache, dass es Jugendliche nicht mehr unbedingt in Kneipen zieht. Deshalb sinkt auch das Interesse», schlussfolgert Verbandspräsident Bargagna. Rosig sehe es demnach nur bei den Sportkeglern aus, die sich in den nächsten Monaten auf die Weltmeisterschaft im Juni vorbereiten. Die Ausscheidungen beginnen kommende Woche – mit, als großem Favoriten, Gilles Mores.