Von Hoffnung und eigenen Grenzen: Jean Asselborn zieht gespaltene Bilanz nach Besuchen in Äthiopien und Eritrea

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Äthiopien und Eritrea: Jean Asselborn besuchte diese Woche zwei Staaten am Horn von Afrika, die lange verfeindet waren, vergangenes Jahr aber Frieden schlossen. Trotzdem war die Reise heikel. Eritrea gilt als eine der letzten waschechten Diktaturen dieser Welt.

Tageblatt: Sie waren jetzt drei Tage in Äthiopien und Eritrea, wieso überhaupt?

Jean Asselborn: Äthiopien hat vergangenes Jahr, unter seinem neuen Regierungschef Achmed Abyi, Frieden mit seinem Nachbarn Eritrea geschlossen. Nach Jahrzehnten der direkten und indirekten Konfrontation war das ein radikaler Schritt. Als Mitgliedstaat der Europäischen Union begrüßen wir diese Initiative, die weltweit Anerkennung fand, und bringen das mit diesem Besuch zum Ausdruck. Aber ein Handschlag ist die eine Sache. Die andere ist, dass Taten folgen müssen. Ziel sollte eine Kooperation der Länder am Horn von Afrika sein. Das wird am Montag auch Thema beim Außenministertreffen in Brüssel sein.

In Europa wird viel über Migration gesprochen, Äthiopien hat dazu auch etwas zu erzählen. War das Thema?

In Äthiopien gibt es eine Million nicht-äthiopische Flüchtlinge, Somalier, Sudanesen und Eritreer. Hinzu kommen drei Millionen Binnenflüchtlinge. Äthiopien ist zwar mit seinen rund 100 Millionen Einwohnern zweitbevölkerungsreichster Staat Afrikas hinter Nigeria, trotzdem ist die Unterbringung und Verpflegung dieser Menschen eine Herkulesaufgabe. Äthiopien ist nicht reich, hat dazu noch mit einer Trockenzeit zu kämpfen, was die Leistung der Äthiopier in dieser Frage noch bemerkenswerter macht. Als Europäer kann man sich schämen, wie Äthiopien das fertigbringt.

Äthiopien leidet vor allem unter seiner darbenden Wirtschaft, dies bei einer Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von nur 17 Jahren. Wie will Abyi dieses Problem in den Griff bekommen? Welchen sieht sich das Land noch gegenüber?

Äthiopiens Wirtschaft entwickelt sich, aber nicht schnell genug, um die Bedürfnisse der eigenen, sehr jungen Bevölkerung zu erfüllen. Dazu mangelt es dem Land an Devisen, was Importe schwierig macht. Aus Gesprächen mit Botschaftern ging hervor, dass nicht die Korruption ein Problem darstelle, sondern eine übertriebene Bürokratie die Entwicklung hemme. Hinzu kommen die ethnischen Spannungen, die immer wieder in Gewalt umschlagen können. Und trotzdem wird Abyi vertraut, diese Probleme angehen zu können. Äthiopien hat mittlerweile einen Premier, und das sagen alle, die ihn kennengelernt haben, der eine solche Persönlichkeit ausstrahlt, dass er das Ganze zum Guten wenden kann. Abyi strebt auch Wahlen an für das Jahr 2020, wo dann neben der Einheitspartei endlich wieder eine Opposition zugelassen sein soll. Aber trotzdem: Persönlichkeiten reichen nicht aus, auch die Institutionen müssen funktionieren.

Sie waren auch in Eritrea, einer Diktatur. Was waren Ihre Eindrücke?

Nach einem knapp einstündigen Treffen mit dem eritreischen Außenminister Osman Saleh Mohammed bleibt festzuhalten: Es waren schwierige Gespräche. Geht es nach meinem Amtskollegen, gibt es in Eritrea kein Problem mit Flüchtlingen. Dort heißt es, die Menschen würden nicht aus Eritrea flüchten, sie wollten halt nur in Äthiopien leben.

Viele bleiben nicht in Äthiopien, sondern machen sich auf den Weg nach Europa. War das kein Thema?

Eritreische Flüchtlinge in Europa waren nicht der Grund meines Besuches. Trotzdem wurde auch darüber gesprochen. Mohammed sieht die Schuld hier bei der UNHCR, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen. Die UNHCR wäre schlecht, heißt es dort, sie würde Migration beschleunigen, gar provozieren – ohne UNHCR gäbe es keine eritreischen Flüchtlinge in Europa, war eine Antwort. Eine Argumentation, wie ich sie zuvor nur in Libyen gehört hatte. Das Misstrauen in Eritrea gegenüber der UNO ist groß. Da haben die Sanktionen gegen das Land – wegen des Verdachts der Terrorunterstützung, vor allem der Al-Shabab-Miliz –, die bis ins vergangene Jahr reichten, deutliche Spuren hinterlassen. Demnach: Reden war möglich – aber man stößt dabei auch an seine Grenzen.

Eritrea betreibt mit seinem „National Service“ quasi staatliche Sklaverei, Menschen werden für militärische oder zivile Zwecke auf unbestimmte Zeit, oft für mehrere Jahrzehnte eingezogen. Wie lässt sich als Minister eines EU-Staates mit einem solchen Regime verhandeln?

Auch die Eritreer wissen, dass sie Hilfe und Investitionen brauchen. Das hat Mohammed selber auch gesagt. Als ich ihm erwiderte, dass sich die EU als Letzter sträuben würde, dem Land zu helfen, es dafür aber Gegenleistungen bräuchte, wurde es gleich schwierig. Dass der „National Service“ abgeschafft gehörte, quittierte Mohammed mit einer Absage. Würde Eritrea das machen, wäre die Arbeitslosigkeit so hoch, dass das Regime seine Legitimation verlieren könnte. Das gehe also nicht. Auch politische Gefangene freizulassen, scheint eine unmögliche Forderung. Das seien alles Landesverräter, die im Krieg auf Äthiopiens Seite gestanden hätten.

Aber der Krieg ist vorbei …

Eben. Trotzdem gehe das nicht, weil es die Souveränität des Staates gefährde. Auch Amnesty International und Human Rights Watch, die die willkürlichen Verhaftungen und schrecklichen Haftbedingungen regelmäßig anprangern, seien politisch gesteuert. Botschafter sagten mir später, dass mit Druck hier gar kein Vorankommen möglich wäre.

Gibt es andere Wege?

Ich sehe da nur Besserungsmöglichkeiten, wenn die Länder der Region enger zusammenfinden, sich die Menschen näherkommen. Bereits jetzt hört man überall, wie großartig der Friedensschluss ist, dass man wieder Licht am Ende des Tunnels sehe. Vielleicht kommt auf diesem Weg Bewegung in dieses Regime rein. Von europäischer Seite, ich habe es ja auch versucht, gab es ein Entgegenkommen – aber es war offensichtlich, dass es auf eritreischer Seite keine Bereitschaft dazu gibt, sich selber zu bewegen. Ich sehe also entfernt Möglichkeiten zur Verbesserung – was ich allerdings nicht sehe ist, wie man es verantworten könnte, jemanden aus Europa nach Eritrea zurückzuschicken.