Von coolen und verbrannten Socken – Die Tageblatt-Klangwelten

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Neue Woche, neuer Klang – dieses Mal in zweifacher Ausführung. Gil Max und Kai Florian Becker haben die neuen Platte von Cass McCombs und Lambchop unter die Lupe genommen. 

Cass McCombs: Tip Of The Sphere

Seit 17 Jahren liefert der Kalifornier Cass McCombs gute bis sehr gute Alben ab, die sich zwischen Neo-Folk, Americana und Garagenrock bewegen und ihm vielleicht aufgrund ihrer unaufgeregten Konsistenz bislang nicht die Aufmerksamkeit einbrachten, die er verdient. „Mangy Love“, sein 2016er-Album, schlug erstmals Wellen über die eingeschworene Fangemeinde hinaus.

Bis nach Luxemburg bäumten sich diese Wellen allerdings nicht auf, denn ich erinnere mich an ein gelungenes Konzert des US-Musikers in den Rotondes, dem ich zu jener Zeit inmitten von vielleicht 40 Gleichgesinnten beiwohnte. Doch der kommerzielle Erfolg scheint McCombs eh schnuppe zu sein, zumindest hat er keinen Bock darauf, nach den Regeln des Showbusiness zu spielen, und gilt daher als schwierig im Umgang.

Dass er ebenso stark von traditionellen Blues-, Country-, und Folk-Veteranen wie Leadbelly, Pete Seeger und Bob Dylan beeinflusst ist wie von den experimentellen oder psychedelischen Rockbands der 60er-Jahre wie The Velvet Underground oder Grateful Dead, hört man beim neuen, bislang stärksten Album „Tip of the Sphere“ wieder heraus. Im Eröffnungsstück „I Followed The River South To What“ sowie dem zehnminütigen „Rounder“ jammt der innovative Gitarrist, unterstützt von seinem Kumpel Frank Locrasto am Fender Rhodes Jerry-Garcia-like minutenlang vor sich hin, sodass man die Augen schließen und sich im sanften Rhythmus wiegen möchte, während die Musik unaufhaltsam vor sich hin mäandert.

In „Sleeping Volcanoes“ beschwört der Mann aus Sacramento die Apokalypse herauf und hört sich an wie Lou Reed in „Dirty Boulevard“, während er im hypnotischen „American Canyon Sutra“ zu den Klängen eines Drumcomputers, den Massive Attack programmiert haben müssen, gebetsartigen Sprechgesang à la Jim Morrison zum Besten gibt. Ansonsten irrt er in bester Folk-Tradition im eigenen Land umher auf der Suche nach dem Sinn des Ganzen und besingt dabei die Mythen amerikanischer Kleinstädte wie den Pixley-Zugraub – Storytelling wie vom großen Bob persönlich, bloß besser gesungen. GM 

WERTUNG: 9/10

ANSPIELTIPPS: The Great Pixley Train Robbery, Sleeping Volcanoes, Rounder

Lambchop: This (Is What I Wanted To Tell You)

Was treibt die Musiker nur immer wieder dazu, mit den Jahren ihren Stil zu hinterfragen und plötzlich ganz neue Wege zu beschreiten? Klar, man will sich selbst nochmal herausfordern. Wie im Sport, wo es angesagt ist, neue Impulse zu setzen. Aber warum geschieht diese musikalische Neujustierung unter dem alten Banner und nicht als Nebenprojekt? Diese Gedanken gehen einem durch den Kopf, wenn man zum x-ten Male das neue Lambchop-Album „This (Is What I Wanted To Tell You)“ hört.

Schon auf dem Vorgänger „Flotus“ aus dem Jahr 2016 hatte Bandkopf Kurt Wagner mit Autotune experimentiert und den ursprünglichen Alternative-Country-Sound seiner Band in die Electro-Ambient-Ecke verlegt. Keine Ahnung, warum er an der Stimmveränderung einen solchen Narren gefressen hat. Liegt es daran, dass der Schlagzeuger von Bon Iver, wo ein Justin Vernon vom Folker zum Elektroniker wurde, an den Songs dieses Albums mitgeschrieben hat und dieser Wagner von seiner Begeisterung an analogen Synthesizern erzählt hatte? Fest steht: Fans von Wagners unverwechselbarer, natürlicher, sonorer Gesangsstimme müssen zwangsläufig da durch. Ob es nur eine Phase ist? Wer weiß …

Nun ist „This (Is What I Wanted To Tell You)“ kein totaler Reinfall und hat seine positiven Überraschungen. Zu diesen ist „Crosswords, Or What This Says About You“, ein funkiges Electro-Stück, das trotz melancholischer Züge etwas Belebendes hat, zu zählen. Oder das jazzige „Everything For You“, das wie ein Avantgarde-Remix eines De-La-Soul-Songs mit gänzlich neuer Gesangsspur wirkt. Das schönste Stück ist das abschließende „Flower“, in dem eine Akustikgitarre und eine Mundharmonika sanfte Klänge produzieren und Wagner dazu singt: „If I gave you a hundred dollars to record just three words / I could make the perfect song.“ Gerne, aber vielleicht beim nächsten Mal ohne so viel Autotune – ginge das? Dieser Effekt ist wirklich keine willkommene technische Errungenschaft. Sorry, Kurt. KFB

RATING: 5/10

ANSPIELTIPPS: Crosswords, Or What This Says About You, Everything For You, Flower