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„Vergewaltigungen sind Kriegswaffen“ – Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege im Interview

„Vergewaltigungen sind Kriegswaffen“ – Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege im Interview

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Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege sieht sexuelle Gewalt in Kriegen als ein Mittel der Erniedrigung, Destruktion und Terrorisierung des Gegners. Dieses Kriegsmittel wurde in vielen Konflikten angewandt. Während der vergangenen 20 Jahre hat der Gynäkologe aus dem Kongo zusammen mit seinem Ärzteteam Zehntausende Opfer operiert. Viele davon hatten regelrecht verstümmelte Geschlechtsteile.

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Tageblatt: Glauben Sie, dass die Öffentlichkeit einerseits und die internationalen Organisationen andererseits wissen, wovon man redet, wenn man von Vergewaltigung als Kriegswaffe spricht?

Dr. Denis Mukwege: Ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass sie das wissen. Ich gehe eher davon aus, dass die Öffentlichkeit beim Begriff Vergewaltigung als Kriegswaffe in erster Linie an eine normale Vergewaltigung denkt, deren Antrieb auf sexuellen Gelüsten basiert. Und das ist hier eben nicht der Fall. Vergewaltigung als Kriegswaffe wird eingesetzt, um seine Macht zu zeigen und um das Opfer zu erniedrigen, was wiederum den Gegner schwächen soll, da dies einen starken negativen Einfluss auf die Familie und auf die Gemeinschaft hat, in der sich das Opfer befindet.

Es ist also eine Kriegswaffe, die präzise eingesetzt wird, um den Gegner zu treffen und ihn dadurch zu zerstören.

Sie haben auf der von Ihnen organisierten Konferenz „From words to action“ gemeint, dass Sie früher an viele Türen klopfen mussten, um ernstgenommen zu werden in Bezug auf die Tatsche der Vergewaltigungen als Kriegswaffe. Wieso hat man so große Schwierigkeiten, dies zu verstehen?

Ich glaube, dass das Thema „Vergewaltigung“ ein Tabuthema ist. Wenn etwas tabu ist, dann spricht man nicht darüber. Und wenn doch, dann wird eher das Opfer stigmatisiert und nicht der Vergewaltiger. Die Mehrheit der Männer vergewaltigt nicht, eine Minderheit aber schon. Das Problem dabei ist, dass diese Mehrheit diese Minderheit nicht an den Pranger stellt. Das bringt mit sich, dass eine Vergewaltigung von einer ganzen Reihe von Faktoren umgeben ist. Dazu gehört das Tabu, die Regel des Schweigens, das Nicht-Denunzieren der Minderheit. Wenn man über das Böse schweigt, dann lässt man es sich ausbreiten, wie die Metastasen einer Krebserkrankung.

Was ist Ihre Meinung zu dem Gipfel Ende März in Luxemburg, der von Großherzogin Maria Teresa ins Leben gerufen wurde?

Der Gipfel in Luxemburg ist darauf fokussiert, die Menschen über den Begriff „Vergewaltigung als Kriegswaffe“ zu sensibilisieren, was sehr wichtig ist. Denn wenn die Menschen verstehen, was dies genau bedeutet, dann können wir gemeinsam eine rote Linie ziehen, um diese Kriegswaffe kategorisch abzulehnen, so wie wir es bei den chemischen, biologischen und atomaren Waffen bereits getan haben. Denn die Vergewaltigung ist ebenfalls eine Massenvernichtungswaffe. Man kann sagen, dass die Vergewaltigung als präziser Angriff auf ein ausgewähltes Opfer erst die ganze Familie, dann die ganze Gemeinschaft und schließlich ganze Gesellschaften zerstört. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dieses Verständnis durch Sensibilisierung erreichen können, was unserem Kampf dagegen einen Anschub verleihen wird.

Nachdem Sie den Friedensnobelpreis erhalten haben, sind Sie viel unterwegs. Haben Sie da noch Zeit, die verletzten Frauen in Ihrem Krankenhaus Panzi im Kongo zu operieren?

Ich habe noch vergangene Woche operiert, bevor ich hierher kam. Es ist klar, dass die Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis meinen Zeitplan durcheinandergebracht hat, aber ich versuche die Proportionen beizubehalten, sodass ich mich bei meinen Arztkollegen nützlich machen kann, die meinen Sachverstand brauchen, aber auch bei den Kranken, die meine Pflege benötigen.

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