„The Ballad of Buster Scruggs“: ein Coen-Brothers-Film auf Netflix

„The Ballad of Buster Scruggs“: ein Coen-Brothers-Film auf Netflix

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Dass die Coen Brothers eine Vorliebe für den Western haben, erscheint angesichts ihres Weltbildes nur logisch: In ihren Filmen wird der westliche Teil der Menschheit meist als dämlich, brutal und schießwütig dargestellt. In den sechs unabhängigen Episoden dieses Netflix-Films wird ihre pessimistische Menschheitsdarstellung schonungslos in teilweise berührenden, teilweise urkomischen Vignetten weitergesponnen.

Nachdem die Coen-Brüder mit dem Steppenläufer und der Erzählfigur mit Cowboy-Hut im Kultfilm «The Big Lebowski» bereits ihre Vorliebe für den Wilden Westen angedeutet hatten, verdeutlichten sie ihre Begeisterung für Colts, Hüte und Staub durch einen ausgezeichneten postmodernen Western («No Country For Old Man») und ein sehr klassisches, etwas braves Remake von «True Grit».

Mit «The Ballad of Buster Scruggs» beschreiten die Brüder nur Neuland, was den Vertrieb ihres Filmes über die Online-Streaming-Plattform Netflix anbelangt. Dass die sechs Kurzfilme hier weder das Western-Genre noch das Coen-Brothers-Universum neu erfinden, ändert aber nichts an der ausgezeichneten Qualität eines Films, der wie so oft die Dummheit und Gewaltbereitschaft einer Menschheit, die von unbarmherzigen Schicksalsschlägen geplagt wird, in ihrer Vielfalt darstellt. Zwischen den einzelnen Episoden werden die Seiten eines Erzählbandes, der (logischerweise) «The Ballad of Buster Scruggs» betitelt ist, umgeblättert; die ersten und letzten Textzeilen der Kurzgeschichten werden jeweils kurz eingeblendet, die Bilder nehmen aber stets schnell überhand, so dass der Zuschauer kaum die notwendige Zeit hat, um das Geschriebene zu lesen.

Dieses Spiel mit dem Überschneiden von Text und Bild – der am Ende jeder Geschichte eingeblendete Text erzählt oftmals ein bisschen mehr als das im Film gezeigte Geschehen – trägt ganz klar die schelmische Handschrift der Coen-Brothers. Denn durch die im Buch abgebildeten Zeichnungen und das hastige Ausblenden des Textes werden die Lieblingsthemen der zwei Brüder – die Kriminalität, die Gewalt und diese fast schon kantsche Erkenntnis, dass ein Teil der Metaphysik aus Unkenntnis bestehen muss – bereits auf der filmischen Metaebene aufgegriffen.

Ein Mordsspaß

Im Laufe der folgenden Geschichten konkretisieren sich diese Urthemen: In der ersten, namensgebenden Episode treffen wir auf Buster Scruggs (Tim Blake Nelson), einen Songwriter, der anfangs ulkig-singend durch die Steppe zieht, nur um sich wenige Minuten später als versponnene, gesprächigere Version des Serienkillers Anton Chigurh («No Country for Old Men») zu entpuppen. Kurz darauf versucht sich James Franco an einem Banküberfall, sein Widersacher – ein alter, hartnäckiger Bankangestellter – entpuppt sich allerdings als robuster als anfänglich angenommen.

Ein sehr makabrer Running-Gag in dieser zweiten Geschichte bestätigt, dass die Coen-Brüder in morbider Hochform sind, die beiden schnellen Opener, in denen es gefühlt einen Kopfschuss pro Minute gibt, werden aber durch das trostlose und allegorische «Meal Ticket» gebremst. In dieser Episode zieht ein Schausteller (Liam Neeson) mit einem arm- und beinlosen Schauspieler (Harry Melling) durch den verlassenen Westen, um diesen vor einem schwindenden Publikum Poesie-Auszüge und einen Auszug aus Lincolns Gettysburg-Rede deklamieren zu lassen.

Als Liam Neeson bemerkt, dass das Huhn eines anderen Schaustellers deutlich mehr Erfolg als seine Wanderbühne verbuchen kann, sieht er sich zu einer schwerwiegenden Entscheidung gezwungen. Die Allegorie auf das hohle Showbusiness verdichtet in wenigen Minuten eine Thematik, die seit «Barton Fink» die beiden Brüder beschäftigt und wird in fast monotonen, aber berührenden Aufnahmen des deklamierenden Schauspielers berührend dargestellt.

Zwei Sorten von Menschen

Im darauf folgenden «Gold Canyon» (das von einer Jack-London-Geschichte inspiriert wurde) gibt Tom Waits einen einsamen, methodologisch sehr präzise vorgehenden Goldgräber, der eine natürliche Idylle stört, um einen Monolog mit «Mr. Pocket», einer vermeintlichen Goldquelle, einzuleiten. Nach kurzem Gewaltausbruch verschwindet die menschliche Anwesenheit wieder – und die Natur atmet sichtlich auf. In «The Gal Who Got Rattled», der längsten Episode, sehen wir, wie die einsame Alice Longabaugh (Zoe Kazan) langsam dem rauen, aber eigentlich schüchternen Bill Knapp verfällt – wäre da nicht der ständig bellende, nervige «President Pierce», der Hund von Alices verstorbenem Bruder, der gegen Ende der Geschichte zu einer Art Teufel in der Maschine wird.

Manchem werden einige der Geschichten zu allegorisch wirken. Dabei sind (fast) alle Filme der Coen-Brüder Fabeln über die Gleichgültigkeit des Universums, in deren Mitte Job-Figuren wandern. Und diesen stößt stets, manchmal durch eigene Dummheit oder Grausamkeit, manchmal aber auch grundlos, sehr Übles zu. Die Coen-Brüder bleiben auch hier Pessimisten mit großem Herz und einem schrägen Sinn für Humor, inszenieren fast ständig Figuren, die das Talent besitzen, zum falschen Moment am falschen Ort zu sein.

All dies wird von diskret wunderbaren Schauspielern, poetischen Bildern der Einöde – eigentlich müsste man den Film auf einer Leinwand sehen –, Coen-Brother-Sidekick Carter Burwells treffendem Soundtrack, einer perfekt strukturierten Aufgliederung der Episoden und der meisterhaften Inszenierung, die fast jeden ihrer Filme ausmacht, verstärkt. Logisch dann auch, dass ein ungleiches Trio in der letzten Geschichte in einer Kutsche über eine mögliche Zweispaltung der menschlichen Natur diskutiert. Man schlägt zögernd die Unterscheidung zwischen Sündern und Tugendhaften, Starken und Zerbrechlichen, Glückspilzen und Pechvögeln vor – bis die zwei Kopfgeldjäger auf den Sitzen gegenüber urteilen. Für sie gibt es in der Tat zwei Sorten von Menschen: die Lebenden und die Toten. In ihren sechs Balladen inszenieren die Coen-Brüder sehr demokratisch diese universale Zweiteilung – und den Wechsel von einem Zustand zum anderen.