Sterne-Basis stimmt über Salvini ab: Wieso dem italienischem Innenminister eine Klage wegen Menschenraubs droht

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Am Montag soll die Basis der Fünf-Sterne-Bewegung online darüber abstimmen, ob gegen den Innenminister Matteo Salvini (Lega) Anklage wegen Menschenraubs im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsschiff „U.Diciotti“ erhoben werden soll. Die Staatsanwaltschaft von Catania prüft indes, ob die Klageschrift auf die gesamte Regierungsspitze erweitert wird.

Von unserem Korrespondenten Wolf H. Wagner, Florenz

Von 10 Uhr morgens bis 19 Uhr haben die Anhänger der „Bewegung 5 Sterne“ am heutigen Montag Gelegenheit, über eine mögliche Anklage gegen den Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini abzustimmen. Laut der Staatsanwaltschaft von Catania wird dem Lega-Chef vorgeworfen, im Fall der verzögerten Anlandung des Küstenwachschiffes „U.Diciotti“ mit 177 Flüchtlingen an Bord „Menschenraub“, „Amtsmissbrauch“ sowie „Erpressung mittels Geiselnahme“ begangen zu haben. Salvini hatte im August 2018 untersagt, dass die Flüchtlinge in Catania (Sizilien) von Bord gehen durften. Erst nach langen und zähen Verhandlungen mit der EU konnten die 177 zum Teil erkrankten Menschen anlanden.

Zugleich nahm der Staatsanwalt von Agrigento die Ermittlungen auf und erklärte, Anklage gegen den Innenminister vor dem Ministergericht (Tribunal dei Ministri), der einzigen rechtlichen Instanz, vor der sich Regierungsmitglieder juristisch verantworten müssen, erheben zu wollen. Im Verlauf der Ermittlungen zog die Staatsanwaltschaft von Catania das Verfahren an sich.

Verklausulierte Fragen an die M5S-Basis

Die Frage, die die Sterne-Basis zu beantworten hat, ist reichlich verklausuliert vorgetragen und könnte bei den M5S-Wählern Verwirrung hervorrufen:

„War die verspätete Anlandung der Flüchtlinge, um sie in verschiedene Staaten der EU zu verteilen, ein Akt zur Wahrung der Staatsinteressen?
– Im Falle ja, versagen Sie die Autorisierung eines Prozesses.
– Im Falle nein, stimmen Sie der Autorisierung eines Prozesses zu.“

Zudem wurde im vorangehenden Text die Zahl der Flüchtlinge falsch mit 137 statt der sich an Bord befindenden 177 Menschen angegeben. Ungeachtet dieser Fehler könnte die Abstimmung von erheblicher politischer Bedeutung für Italien sein. Die Spannungen zwischen den römischen Koalitionspartnern M5S und Lega sind beträchtlich. In nahezu keinem der gegenwärtig zu lösenden politischen und wirtschaftlichen Probleme des Landes können sie übereinkommen.

Weder wird eine gemeinsame Haltung in der Flüchtlingspolitik gefunden noch übereinstimmende Entscheidungen in Fragen der Hochgeschwindigkeitstrasse Turin-Lyon, der Offshore-Bohrungen vor der apulischen Küste, der Rekonstruktion der eingestürzten Brücke von Genua. Dabei setzt vor allem Matteo Salvini zunehmend auf Konfrontation.
Gleich nach den ersten Ankündigungen des Staatsanwalts von Agrigento, Ermittlungen im Fall der „Diciotti“ aufzunehmen, hatte Innenminister Salvini vollmundig erklärt, man solle ihn ruhig verklagen, er habe in höherem, nämlich im Staatsinteresse gehandelt. Allerdings zog sich der Lega-Chef schon bald von dieser Position zurück. Und auch Regierungsmitglieder, wie Premier Giuseppe Conte und Vizepremier Luigi Di Maio (M5S), erklärten, die Entscheidung sei damals vom gesamten Kabinett gefällt worden.
Dies könnte nun einen Bumerangeffekt haben. Denn inzwischen sieht dies auch die Staatsanwaltschaft von Catania so und erklärte, die Anklage auf die genannten Regierungsmitglieder einschließlich des Transportministers Danilo Toninelli zu erweitern.

Plan B für die Zeit nach der Europawahl

Inwieweit die staatsanwaltliche Ankündigung die Abstimmung der M5S-Basis beeinflussen könnte, wird sich in den heutigen Abendstunden zeigen. Beobachter halten ein deutliches Votum für einen Prozess gegen die Verantwortlichen für möglich. Parteiinitiator Beppe Grillo wollte sich hierzu nicht äußern. Er sei kein Führer einer politischen Partei mehr, erklärte der Kabarettist in anderem Zusammenhang.

Sollte das Votum gegen Salvini ausfallen, dürfte sich die Spannungen zwischen Lega und M5S derart verstärken, dass man mit einem baldigen Ende der Koalition rechnen kann.
Für diesen Fall hat der Lega-Chef bereits einen Plan B in der Tasche: Spätestens nach den Europawahlen am 26. Mai – für die Salvini mit einem ähnlich schlechten Abschneiden der Sternebewegung wie jüngst bei den Abruzzenwahlen rechnet – könnte er sich eine neue Rechtsregierung unter Beteiligung der Fratelli d’Italia unter Giorgia Meloni sowie des rechten Flügels von Forza Italia mit Giovanni Toti vorstellen. Dabei würden sowohl M5S als auch die Kräfte um Silvio Berlusconi kaltgestellt. Die Demokratische Partei – mit inneren Streitigkeiten beschäftigt – befindet sich ohnehin in der Opposition.