Sie haben überlebt. Im Krieg vergewaltigte „Survivors“ berichten

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Vergewaltigung ist ein beliebtes und äußerst brutales Mittel der Kriegsführung.
In vielen Ländern. Auch in Europa. Zuletzt im Jugoslawien-Krieg. Mit der Auszeichnung des kongolesischen Gynäkologen Dr. Denis Mukwege mit dem Friedensnobelpreis hat die Jury in Stockholm dem Kampf gegen Vergewaltigungen als Kriegswaffe eine neue Plattform gegeben.

Von unserem Redakteur Eric Rings, Den Haag

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Es sind grausame Geschichten. Und eigentlich gelten sie als tabu. Doch heute haben gleich mehrere Frauen darüber geredet. Sie gehören verschiedenen Generationen an und stammen aus komplett unterschiedlichen Regionen auf der Welt.

Aber sie haben alle das Gleiche erlebt. Ihre Körper, ihre Geschlechtsteile wurden von den Kriegsgegnern verletzt, verstümmelt. Sie wurden erniedrigt und entwürdigt und misshandelt. Viele von ihnen haben bis heute weder eine Entschädigung noch eine Anerkennung seitens der Justiz oder der Regierung bekommen, um das Erlebte irgendwie hinter sich zu lassen. Sie werden „survivors“ genannt – Überlebende. Das sind sie. Sie haben überlebt. Punkt.

Es ist ein besonderer Abend. Es ist Mittwoch. In Den Haag. Schauplatz ist eine große Kirche. Prall gefüllt mit 300 Menschen. Mittendrin sitzen Großherzogin Maria Teresa, der niederländische König Willem Alexander und Dr. Denis Mukwege, der diesjährige Friedensnobelpreisträger. Sie alle hören zu, wenn die „survivors“ reden.

Sie wurde vergewaltigt, ihr Sohn ermordet

Semka Agic aus Bosnien-Herzegowina ist Muslimin und trägt ein rosafarbenes Kopftuch. Sie wurde im Jugoslawien-Krieg zehn Monate in einem Lager festgehalten und immer wieder vergewaltigt. Ihr Sohn war auch im Camp und wurde dort ermordet. „Es hat mich sehr viel Mut gekostet, das Schweigen zu brechen“, sagt Agic. Damit gehört sie einer Minderheit an. Die Mehrheit schweigt weiter. Vor Scham gegenüber ihrer Familie. Gegenüber der Gemeinschaft. „Aber ich habe es geschafft, die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.“

Acht Jahre lang dauerte der Kampf vor den Justizbehörden, bis die Verantwortlichen verurteilt wurden. Agic nennt es einen „großen Sieg“. Heute ist sie Mitglied des „Global Survivor Networks“, eines Zusammenschlusses von „survivors“, die die Stimme erheben und sich als Verteidiger anderer Betroffener einsetzen. „Es ist wichtig für die Opfer, das Schweigen zu brechen und auf diese Weise sich selbst zu helfen“, so Agic. „Damit stärken wir jene Frauen, die noch zögern. Das gibt uns Stärke und steigert unser Selbstbewusstsein. Entschädigungen werden nicht den Schmerz lindern und uns auch nicht die Würde zurückgeben, aber sie tragen dazu bei, das Gefühl von Frieden und Sieg zu stärken. Ich weiß, dass ich nicht alleine bin.“ In ihren strengen und bleichen Gesichtszügen kann man nur erahnen, was Agic tatsächlich widerfahren ist.

Ernste Worte von Sylvia Acan

Ähnliches hat Sylvia Acan in Uganda erlebt. Acan hat einen schokoladefarbenen Teint und natürliche Rastas. Vom Alter her könnte sie Agics Tochter sein. Ihre Stimme klingt sehr musikalisch und aufmunternd. Doch die Worte, die sie an diesem Abend erzählt, sind sehr ernst. „Wir senden eine klare Botschaft: Wir wollen die Verantwortung auf die Verbrecher übertragen. Wir wollen deren Macht brechen, welche die Opfer zum Stillschweigen bringt. Denn das Schweigen ist nur zugunsten der Verbrecher.“

In Uganda werden „survivors“ systematisch nicht entschädigt. „Gäbe es eine Entschädigung, dann würde dies Hoffnung für uns bedeuten“, so Acan. „Es gibt entsprechende Programme der Regierung, doch die Korruption bei vielen führenden Politikern verhindert deren Anwendung.“ Acan fordert, dass „survivors“ und lokale NGOs die Aufgabe übernehmen, andere „survivors“ als solche auszumachen. Nur so könne man entsprechende Entschädigungen gewährleisten, um dadurch den Frauen das zurückzugeben, was sie während des Krieges verloren haben. „Es wird auch jene stärken, die ein neues Leben anfangen wollen. Entschädigungen sind ein Menschenrecht, das den survivors eingestanden werden sollte.“

Ehrlicher Einsatz der Großherzogin

Die Europäische Union hat am vergangenen Montag fünf Millionen Euro für die beiden Friedensnobelpreisträger freigegeben. Die irakische Jesidin Nadia Murad erhielt eine Million, die restlichen vier Millionen gingen an die Stiftung von Dr. Mukwege, zu der auch das Panzi-Krankenhaus im Kongo gehört. Dort werden Frauen behandelt, deren Körper als Kriegswaffe eingesetzt wurde.

Das Thema der Konferenz „From words to action“, die von der Dr.-Mukwege-Stiftung organisiert wurde, haben die politischen Vertreter von UN, EU und anderen allerdings klar verfehlt. Es bleibt größtenteils bei den „words“.

Großherzogin Maria Teresa lässt sich dadurch nicht demotivieren. Nach den Vorträgen zeigt sie sich gegenüber dem Tageblatt sichtlich berührt. Vor allem aber sei sie nun voller Elan, zur Tat zu schreiten. Die Großherzogin setzt sich bereits seit Jahren für die Rechte der Frauen ein. 2016 traf sie Dr. Mukwege zum ersten Mal auf einer Konferenz in Luxemburg. Sie wollte sich unbedingt einbringen. Mukwege hatte gerade eine Gruppe von „surviviors“ gegründet und gab der Großherzogin den Auftrag, für sie eine Plattform zu gründen. Im März 2019 organisiert die Großherzogin eine internationale Konferenz zu dem Thema in Luxemburg. Auch Dr. Mukwege wird dabei sein.

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