Schwerelos zum Weltrekord: Ein Gespräch mit dem russischen Kosmonauten Gennadi Padalka

Schwerelos zum Weltrekord: Ein Gespräch mit dem russischen Kosmonauten Gennadi Padalka

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Am 12. April war der Internationale Tag der bemannten Raumfahrt. Des ersten Menschen im All wurde am Samstag in Mondorf in Anwesenheit des russischen Kosmonauten Gennadi Padalka gedacht. Sein kritischer Blick auf die Raumfahrt in seinem Land lässt aufhorchen.

Von Lucien Montebrusco

Kein Mensch hat sich bislang so lange im Weltraum aufgehalten wie Gennadi Iwanowitsch Padalka: 878 Tage, 11 Stunden und 29 Minuten, davon insgesamt 38 Stunden bei zehn Außenbordeinsätzen. Zwischen 1998 und 2015 nahm er an fünf Expeditionen teil, immer wieder als Kommandant. Sein erster Flug führte ihn zur sowjetischen Raumstation Mir, die Russland 2001 kontrolliert abstürzen ließ. Viermal flog er zur Internationalen Weltraumstation ISS.

Die Vorbereitungen zu seinem sechsten Flug, um einen neuen Rekord aufzustellen, muss er jedoch unterbrechen, mangels Interesse der russischen Weltraumorganisation Roskosmos, heißt es. Im April 2017 verlässt er die Kosmonautenstaffel. Etwas später kritisiert er in einem offenen Brief den damaligen Leiter des Kosmonauten-Ausbildungszentrums „Juri Gagarin“, seinen Kosmonautenkollegen Juri Lontschakow, und fordert dessen Demission. Letzterer nimmt wenige Monate später seinen Rücktritt. Seitdem ist der 60-jährige Padalka Ruheständler – ein außergewöhnlicher Vorgang, denn Kosmonauten a.D. arbeiteten bisher in der Regel weiter in den Strukturen der russischen Raumfahrt.

Sechster Flug wurde nicht genehmigt

Dass er nicht mehr „gebraucht“ wird, schmerzt den mehrfach ausgezeichneten und den Rang eines Oberst tragenden Padalka. Das wird auch bei unserem Gespräch deutlich. Fragen über seinen Rücktritt und die Weigerung, ihm einen weiteren, sechsten Weltraumflug zu genehmigen, will er nicht beantworten.

Wir trafen Padalka am Samstag am Rande der Blumenniederlegung an der Büste zu Ehren des ersten Weltraumfahrers, Juri Gagarin, in Mondorf. Gagarin umrundete am 12. April 1961 die Erde. Seit 2011 wird dieses Datum als Internationaler Tag der bemannten Raumfahrt gefeiert. Padalka hatte am letzten Freitag in Paris an diesbezüglichen Veranstaltungen teilgenommen. Nach Luxemburg kam er auf Einladung des „Centre culturel et scientifique de Russie“, der Gemeinde Mondorf und des Fliegermuseums.

Gennadi Padalka bei der Blumenniederlegung in Bad Mondorf

Tageblatt: Bei der Vorbereitung unseres Gesprächs habe ich mir u.a. ein Interview angehört, das Sie 2012 dem Moskauer TV-Sender Moskwa24 gaben. Dort haben Sie sich äußerst kritisch über den Zustand der russischen Kosmonautik geäußert. Hat sich in der Zwischenzeit etwas geändert? Damals sagten Sie: Wir haben viele Ideen, aber wenig wird umgesetzt.

Gennadi Padalka: Ich möchte nicht darüber reden. Wenn ich über Probleme reden soll, mache ich das lieber bei mir zuhause, nicht im Ausland.

Dennoch, wie schätzen Sie den allgemeinen Zustand der russischen Kosmonautik ein? Die USA etwa entwickeln neue Raumschiffe …

Urteilen und vergleichen Sie selbst. Ich hoffe, dass wir Ähnliches, fortschrittliches bekommen werden.

Wie steht es um die Entwicklung des neuen Raumschiffs Federazija?

Das Projekt gibt es vorerst bloß auf dem Papier. Wir beschäftigen uns derzeit nur mit der Modernisierung des Sojus-Raumschiffes. Leider gibt es das neue Raumschiff noch nicht. Das ist eines unserer Probleme.

Was ist mit der Entwicklung neuer leistungsstarker Trägerraketen?

Schwere Trägerraketen, die wir für die Flüge zum Mond oder zum Mars einsetzen könnten, haben wir auch noch nicht.

Das heißt, Russland wäre derzeit nicht in der Lage, zum Mond zu fliegen?

Nein. Wir haben weder Raumschiff noch Trägerrakete dafür. Die Amerikaner haben drei neue Raumschiffe und superschwere Trägerraketen, unter anderem die SLS.

Wird denn in Russland daran gearbeitet?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich bin Rentner. Meine Erfahrung braucht niemand mehr in Russland, ich bin nicht gefragt. Das können Sie so schreiben. Ich ging und damit ist Schluss. So ist halt unser System. Erfahrene Kosmonauten werden einfach entsorgt, werden nicht mehr benötigt. Und das, weil wir keine perspektivischen Programme haben.

Hat das vielleicht damit zu tun, dass man eine neue Kosmonautengeneration heranbilden will?

Wer sagt das? Das hat nichts damit zu tun …

Aber vielleicht werden andere Anforderungen an die heutigen Kosmonauten gestellt?

Nein. Die Anforderungen sind dieselben. Insbesondere für die Teilnehmer an internationalen Programmen. Gefordert sind Gesundheit, Wissen und Technikhandhabung.

Ist es nicht seltsam, dass mehrere Länder, ich nenne nur die USA, Russland, China, Japan und Israel, gleichzeitig den Weltraum auf eigene Faust erforschen? Klingt doch alles ziemlich unvernünftig, wenn jedes Land im stillen Kämmerlein sein eigene Technologie entwickelt …

Warum? Alle arbeiten doch zusammen. An der ISS sind 14 Länder beteiligt. Bei Mond- und Mars-Projekten wird zusammengearbeitet. Das Raumschiff Orion (das zum Mond fliegen soll) ist doch ein internationales Projekt. Das europäische Airbus baut ein Modul dafür. Auch Russland wird als Partner betrachtet. Eine andere Frage ist, mit welchen Ideen wir da mitmachen können. Natürlich bestehen da noch getrennte nationale Programme, die den militärischen Bereich oder die Telekommunikation betreffen. Was aber die bemannte Raumfahrt anbelangt, da sind alle bemüht, zusammenzuarbeiten.

Das heißt, die aktuellen internationalen politischen Spannungen wirken sich nicht auf die Raumfahrt aus?

Im Kosmos gibt es keine Sanktionen. Die Regierungen unserer Länder verstehen, dass das sehr wichtig ist.

Befürchten Sie denn nicht, dass die Zusammenarbeit der USA mit Russland spätestens dann zu Ende geht, wenn US-Astronauten nicht mehr auf die russische Sojus angewiesen sind, um zur ISS zu fliegen? Das Raumschiff SpaceX hat ja vor kurzem erfolgreich an der ISS angedockt.

Ich bin kein Roskosmos-Manager. Ich weiß das nicht.

Sie haben sowohl in der sowjetischen Raumstation Mir als auch in der internationalen ISS gearbeitet. Wo war es angenehmer zu arbeiten?

Was ist besser: Ein Pferd oder ein Auto?

Die Station Mir war das Pferd?

Nein. Das sind ganz unterschiedliche technische Niveaus. Mir war eine sowjetische Station, sie war keineswegs das Pferd. Bloß anders. ISS ist eine internationale Station. Es gab zuvor das Programm Mir-Shuttle, bei dem die USA Erfahrungen sammeln konnten. Dann begann man den Aufbau der ISS. Was ist besser? Das eine wie das andere war bzw. ist gut. Erfahrungen wurden mit der Mir gesammelt. Die Arbeiten dort waren wichtig. ISS ist eine andere Etappe. Natürlich werden neue Raumschiffe besser sein als die alten. Mit unserer Technologie haben wir die Grundlage für weitere Entwicklungen geschaffen.

Wenn man Ihnen jetzt eine Rückkehr in die Kosmonautenstaffel anbieten würde, würden Sie zurückgehen?

Niemand wird mich fragen. Das ist eine rein theoretische Frage. Ich bin Rentner.