Sanem flirtet mit Esch: Bürgermeister Georges Engel im Interview über seine wachsende Gemeinde

Sanem flirtet mit Esch: Bürgermeister Georges Engel im Interview über seine wachsende Gemeinde

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Am Freitag wird der Gemeinderat Sanem zum ersten Mal über den neuen Flächennutzungsplan (PAG) abstimmen. Bis 2035 will die Gemeinde von aktuell 17.500 auf 23.000 Einwohner anwachsen, ohne den zum Teil ländlichen Charakter der Gemeinde zu zerstören. Gleichzeitig will «Député-maire» Georges Engel (LSAP) die Zusammenarbeit mit der Stadt Esch intensivieren. Im Januar 2020 wird Engel den Vorsitz der LSAP-Fraktion in der «Chamber» von Alex Bodry übernehmen. Bürgermeister in Sanem will er trotzdem bleiben. Zumindest vorerst.

Tageblatt: Die Bevölkerung der Gemeinde Sanem ist in den vergangenen 20 Jahren um über 30 Prozent gestiegen. Die Gemeinde zählt mittlerweile 17.500 Einwohner. Mit der Erschließung von Belval wird die Zahl noch steigen. Wo soll die Reise hingehen?

Georges Engel: Mit dem neuen Flächennutzungsplan (PAG) haben wir ein Instrument, mit dem wir diese Entwicklung steuern können. Wir wollen ein gesundes Wachstum. Kein zu schnelles und kein überdimensional hohes. Als flächenmäßig große Gemeinde haben wir aber grundsätzlich viele Möglichkeiten, um zu wachsen. Wir verfügen noch über zahlreiche Grundstücke, die im Bauperimeter liegen. Wenn wir diese Grundstücke alle bebauen, können wir in den nächsten 15 Jahren auf bis zu 23.000 Einwohner anwachsen.

In Anbetracht der Gesamtfläche der Gemeinde sind diese Vorhersagen doch eher bescheiden. Würden Sie höher bauen, wäre das Wachstumspotenzial noch viel größer…

Wir haben im PAG festgelegt, dass wir den Charakter der Gemeinde beibehalten wollen. Die Dörfer Ehleringen und Sanem sollen ländlicher bleiben, während Beles und Zolver urbaner werden sollen. In den beiden letztgenannten Ortschaften bauen wir auch in die Höhe, wie es ja schon in Belval passiert. Doch auch dort wollen wir nicht überdimensional hoch bauen, was uns mit Ausnahme der beiden Capelli-Towers bislang auch gelungen ist.
Im neuen PAG haben wir Wert darauf gelegt, dass die Viertel mit Einfamilienhäusern geschützt werden, damit nicht jemand in einer solchen Gegend ein Haus abreißt und ein großes Mehrfamilienhaus dort errichtet. Zurzeit ist das noch möglich. Künftig soll es aber stark eingeschränkt werden.

In welchen anderen Bereichen haben Sie im neuen PAG Prioritäten gesetzt?

Wir haben vor allem versucht, auf die Verkehrsprobleme einzugehen. Wie alle Gemeinden im Süden leiden auch wir unter der Verkehrslage. Wir schreien zwar nicht nach einer Umgehungsstraße, doch wir müssen das Problem in den Griff bekommen. Dazu muss die «Collectrice du Sud» besser an die «Übergangsplätze» angebunden werden. Zurzeit passieren täglich 16.000 Autos den Kreisverkehr vor dem Rathaus in Beles. Das ist enorm.

Wie sieht es im Bereich der sanften Mobilität aus?

In diesem Bereich wollen wir eine Vernetzung unserer Stadtviertel herstellen. Dem Fahrrad haben wir im PAG einen großen Platz eingeräumt. Wir sind gerade dabei, überall Vël’Ok-Stationen zu errichten, wo auch Elektrofahrräder zur Verfügung stehen, was in einer hügeligen Gemeinde wie der unseren durchaus von Vorteil sein kann.

Welchen Stellenwert haben Naherholungsgebiete?

Wir haben darauf geachtet, dass wir genug Grünflächen und vor allem öffentliche Plätze behalten. Der Flächennutzungsplan ist auch ein soziales Instrument, um das gesellschaftliche Zusammenleben zu regeln. Verschiedene Leute, die auch heute noch im Gemeinderat sind, haben mal gefordert, dass jeder auf seinem Grundstück machen kann, was er will. Wenn jemand um sein Grundstück herum eine Mauer bauen will, solle er das auch tun dürfen. Der aktuelle Schöffenrat ist nicht auf diesen Weg gegangen, weil wir der Meinung sind, dass das Zusammenleben nicht dadurch gefördert wird, dass jeder sein Grundstück mit einer Mauer umzäunt. Wir denken, dass das Zusammenleben eher durch öffentliche Plätze und Gebäude, durch Kulturzentren, Sportfelder und andere Freizeitmöglichkeiten gefördert wird.

Welche Maßnahmen sind im Bereich Handel und Industrie im PAG vorgesehen?

Wir verfügen bereits über die Industrie- und Handelszonen ZARE und «um Woeller». Letztere soll noch vergrößert werden. Weitere Möglichkeiten bieten sich auf den Schlackenhalden Differdingen-Sanem und Ehleringen, die aber beide dem Staat gehören.
Den Einzelhandel haben wir in den letzten Jahren stärker gefördert. Mittlerweile haben wir zwei Supermärkte und «Eis Epicerie», die sehr stark unterstützt wird. Vervollständigt wird das Angebot in den nächsten Jahren auf Belval, wo rund um die Sinterbecken eine ganz neue Struktur mit mehreren Geschäften entstehen wird. Daneben wollen wir auch die kleinen Geschäfte in der route d’Esch in Beles behalten, doch das wird schwierig. Wir haben dort aber bereits einige Häuser gekauft, um sie günstig an Ladenbetreiber weiterzuvermieten.

Ihre Nachbargemeinde Esch tut sich schwer mit der Anbindung von Belval an das Stadtzentrum. Wie sieht es in Ihrer Gemeinde aus?

Ich glaube, dass wir die urbanistische Anbindung an Belval besser hinbekommen als Esch, weil es sich eher anbietet. Belval war immer ein Keil, der in Beles reingewachsen war, und den wir jetzt erschließen. Wenn die «Square Mile» erst mal bebaut ist, geht das leicht vonstatten.

Esch hat kaum noch Möglichkeiten, sich räumlich auszudehnen. In Belval wachsen beide Gemeinden quasi zusammen. Gibt es bereits Pläne für eine engere Zusammenarbeit oder gar für eine Fusion?

Die Idee habe ich schon seit längerem. Von Fusionsgesprächen zu reden, wäre in diesem frühen Stadium aber übertrieben. Durch die Erschließung von Belval rücken Esch und die Ortschaft Beles aber viel enger zusammen. In Belval haben wir von Anfang an mit Esch gut zusammengearbeitet und tun das auch weiterhin. Projekte, die man zusammen umsetzen kann, sollte man auch zusammen umsetzen. Deshalb wollen wir die Zusammenarbeit in den nächsten Jahren intensivieren.

Haben Sie ein Beispiel?

Von den 1.000 Schülern im Escher Konservatorium kommt über ein Viertel aus der Gemeinde Sanem. Das wäre eine gute Möglichkeit, um enger zusammenzuarbeiten.

In der Haushaltsvorlage 2019 setzt die Gemeinde Sanem ihre Prioritäten auf die Fertigstellung der neuen Grundschule und den Wohnungsbau. Neue Großprojekte sind nicht zu finden. Fehlt Ihnen das Geld?

Der außerordentliche Haushalt der Gemeinde Sanem ist in den letzten Jahren explodiert. Das hat damit zu tun, dass wir mehrere Großprojekte umgesetzt haben, im Hinblick auf die zusätzlichen Einwohner, die künftig hierher kommen werden. Oft wird es umgekehrt gemacht. Erst kommen die Einwohner und dann muss schnell eine neue Schule, ein Kulturzentrum und eine Sporthalle gebaut werden. Wir haben in den vergangenen Jahren vorgesorgt, indem wir Schulen, Kultur- und Sporteinrichtungen geschaffen haben, bevor die neuen Einwohner kommen. Ein gutes Beispiel ist die Grundschule auf Belval, die 600 Schülern Platz bietet. Diese Schüler wohnen noch nicht hier, doch sie werden bald kommen. Bis dahin sind wir gerüstet. Weitere Beispiele sind das Altenheim oder der Sport- und Kulturkomplex KUSS. Wir hatten dafür die notwendigen finanziellen Mittel zu Verfügung, nicht zuletzt wegen der 20 Millionen Euro, die wir bekommen haben, weil wir das Grundstück für das neue Untersuchungsgefängnis bereitgestellt haben.

Wie viel Geld investiert die Gemeinde Sanem 2019 in den Wohnungsbau?

In der Haushaltsvorlage 2019 sind 5,8 Millionen Euro für den Wohnungsbau vorgesehen. Dazu gehören Investitionen in Immobilien, in erschwinglichen Wohnraum und in Bauland. Wir wollen auch die Bauherrn künftig dazu bewegen, den bei Neubauprojekten vorgeschriebenen Anteil an Sozialwohnungen unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Preis anzubieten. Ferner will die Gemeinde selbst Wohnungen erwerben, um sie zu erschwinglichen Preisen zu vermieten. Darüber hinaus bauen wir im «Fenkelbierg» mit der «Société nationale des habitations à bon marché» (SNHBM) insgesamt 183 Wohneinheiten, wovon die Hälfte Einfamilienhäuser sein werden. In der rue d’Esch wird die SNHBM Mietwohnungen bauen und in Sanem sollen ebenfalls mit der SNHBM zwölf Einfamilienhäuser entstehen.

Wieso baut die Gemeinde nicht selbst, anstatt auf die SNHBM zurückzugreifen?

Die SNHBM hat viel Erfahrung in diesem Bereich, was die Dinge natürlich vereinfacht. Im neuen PAG haben wir aber auch die Förderung neuer Wohnformen vorgesehen.

Was verstehen Sie unter neuen Wohnformen?

Es geht hauptsächlich um Wohngemeinschaften und generationenübergreifende Projekte. Im PAG schaffen wir die Möglichkeit, dass bis zu sieben Personen in einem Haus oder einer Wohnung zusammenleben können und jeder seinen eigenen Haushalt führen kann. Zurzeit werden Personen, die zusammenleben, als gemeinsamer Haushalt betrachtet, wodurch manche ihre Sozialleistungen verlieren können. Durch die Änderung im PAG wird es künftig möglich sein, dass mehrere Haushalte unter einem Dach zusammenwohnen. Zum anderen wollen wir es ermöglichen, Einliegerwohnungen in Einfamilienhäusern zu schaffen, wodurch das generationenübergreifende Wohnen erleichtert wird.

Die Umsetzungsrate («réalisé») im Haushalt 2018 lag nur bei rund 51 Prozent. Wieso wurde nur die Hälfte des veranschlagten Betrags tatsächlich ausgegeben?

Die Hauptursache liegt bei der geplanten Sanierung der rue Grande-Duchesse Charlotte in Beles, für die 2,7 Millionen Euro vorgesehen waren. Wir haben aber noch keine Genehmigung von der Straßenbauverwaltung erhalten. Wir wollen eine verkehrsberuhigende Maßnahme dort einführen, doch die Straße gehört dem Staat und solche Maßnahmen sind in den staatlichen Normen nicht vorgesehen. Die Gemeinde soll die Straße aber mittelfristig übernehmen, deshalb hoffe ich, dass das Problem bald gelöst sein wird.

In einem Jahr sollen Sie Alex Bodry als Vorsitzenden der LSAP-Fraktion in der Chamber beerben. Als Bodry Fraktionschef wurde, gab er ein Jahr später sein Bürgermeisteramt in Düdelingen auf. Werden Sie auch auf Ihr kommunales Amt verzichten?

In einer ersten Phase möchte ich Bürgermeister bleiben. Ich möchte erst einmal sehen, wie viel zusätzliche Arbeit als Fraktionschef auf mich zukommt. Ich bin der Meinung, dass es machbar ist, «Député-maire» zu sein. Vieles hängt von der Organisation ab. Andererseits stand im Wahlprogramm der LSAP, dass wir gegen das «Ämter-Kumul» sind. Deshalb schließe ich weder das eine noch das andere aus.