„Rosarote Sonnenbrillen sind fehl am Platz“: Diekirchs Député-maire Claude Haagen zur Nordstad-Fusion

„Rosarote Sonnenbrillen sind fehl am Platz“: Diekirchs Député-maire Claude Haagen zur Nordstad-Fusion

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«Es gibt sehr, ja überaus sehr viel zu tun. Packen wir’s an!» So der Diekircher Député-maire Claude Haagen gleich zu Beginn unseres Gesprächs. Fünf Gemeinden in ein Boot zu bekommen, sei an sich schon kein einfaches Unterfangen. Damit dann auch noch alle in die gleiche Richtung rudern, ist viel zusätzliche Arbeit nötig. Er unterstütze die Idee zur Fusion mit allen Mitteln, doch «blind bin ich nicht».

Von Roger Infalt (Texte und Fotos), Tania Feller, Hervé Montaigu, Anne Lommel, Tageblatt-Archiv (Fotos)

Natürlich wären Sondierungsgespräche für eine eventuelle Fusion zwischen drei Gemeinden einfacher gewesen, doch nun habe man eben die Situation, dass gleich fünf Kommunen (Schieren, Ettelbrück, Erpeldingen/Sauer, Diekirch und Bettendorf) an diesen Sondierungsgesprächen teilnehmen wollen. «Ich sage es gleich vorweg: Ich habe natürlich meine Bedenken, was so manche Knackpunkte anbelangt, doch das sollte auf keinen Fall heißen, dass ich gegen die Idee einer Fusion bin. Ganz im Gegenteil! Ich möchte aber auch nicht blindlings in eine Sache hineinschlittern, die nicht von vornherein bis ins kleinste Detail durchdacht ist. Deshalb sollten wir uns eben die Zeit nehmen, die wir dazu brauchen, fünf Gemeinden ans gleiche Ende des Seilstrangs zu bekommen. Die Fusion wird wohl kaum bis zu den nächsten Kommunalwahlen im Jahr 2023 unter Dach und Fach sein. Schön wär’s, aber, wie bereits erwähnt, rosarote Sonnenbrillen sind hier fehl am Platz», so Haagen weiter. «Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen.»

Viele Diskussionspunkte

Auf die Frage, welche großen Knackpunkte es seiner Meinung nach gibt, kommt es wie aus einem Schnellfeuergewehr: «Urbanisierung der gesamten ‹Nordstad›, Umwelt, Organisation des Musikkonservatoriums in Ettelbrück, Eisenbahnlinie, Schul- und Sporteinrichtungen, Bauprojekte, Organisation des CGDIS, Angebot an Kindertagesstätten und ‹Maisons relais›, Anpassung der Gemeindetaxen und der Bebauungspläne, Zusammenschmelzen von Majorz- und Proporzgemeinden, Zusammensetzung eines politischen Führungsgremiums, usw., usf. Die Hauptknackpunkte müssen meines Erachtens gleich zu Beginn der Sondierungsgespräche auf dem Tisch liegen und sind die diesbezüglichen Pakete einmal geschnürt, sollten sie das auch bleiben.

Lesen Sie zum Thema auch unseren Kommentar.

Apropos Führungsgremium: Die fünf genannten Gemeinden haben sich nun für die Teilnahme an Sondierungsgesprächen ausgesprochen. Wie geht es dann jetzt weiter? «Wir werden uns gleich im Januar des neuen Jahres treffen. Und wenn ich sage ‹wir›, dann soll das heißen, dass alle Schöffenräte der fünf Kommunen sich sehen. Das sind dann 15 an der Zahl. Den Initiatoren dieser Sondierungsgespräche schwebt zudem vor, auch die jeweilige Opposition mit an den Tisch zu holen, was die Zahl der Gesprächspartner dann schon auf schätzungsweise 25 Personen erweitert. – Warum ich das sage? Ganz allein um an nur einem Beispiel zu zeigen, wie schwer es werden wird, alles auf einen Nenner zu bekommen.»

Weitere wichtige Fragen gebe es auch in puncto Taxenanpassungen. Wie weit werde der einzelne Bürger hier mitziehen wollen, den Fall gesetzt, er müsste plötzlich mehr für Wasser oder Strom usw. bezahlen, nur um an das heranzukommen, was in der Noch-Nachbargemeinde verrechnet wird? «Wir sollten nicht vergessen, dass der einzelne Bürger später auch seine Vorteile aus einer Fusion spüren muss, andernfalls winkt er ab, noch bevor es eine Unterschrift unter ein Fusionsabkommen geben wird.»

Gemeinde Nummer 6?

Jetzt sind also fünf der sechs «Nordstad»-Gemeinden startklar für Sondierungsgespräche. Allein Colmar-Berg zeigt die kalte Schulter, obschon sie weiterhin Mitglied des «Nordstad»-Verbunds bleiben möchte. Wie soll das gehen? «Rein theoretisch ist das natürlich durchaus machbar. Colmar-Berg ist Mitglied vieler «Nordstad»-Gremien und wird es auch nach einer eventuellen Fusion der restlichen fünf Gemeinden bleiben. In der Praxis wird es für Colmar-Berg aber wohl schwieriger werden, sich auf gleicher Ebene wie die restlichen fünf Gemeinden innerhalb der ‹Nordstad› zu bewegen», meint Claude Haagen. «Erlauben Sie mir zum Abschluss dazu meine ganz persönliche Meinung: Ich respektiere sehr wohl die Entscheidung des Gemeinderates Colmar-Berg, doch hätte er für Sondierungsgespräche bzw. für eine mögliche Fusion gestimmt, dann hätte in der Regierung auch dringender Handlungsbedarf bestanden, die Frage der Bezirkszugehörigkeit von Colmar-Berg schnellstens zu beantworten (Colmar-Berg liegt als einzige Gemeinde des Verbundes im Kanton Mersch und damit im Zentrumsbezirk, d.Red.). Das hätte meines Erachtens ein großes Problem dieser Gemeinde gelöst.»



Innenministerin Taina Bofferding: «Mit den Bürgern, für die Bürger»

Auf unsere Frage, wie sie und ihr Ministerium zum Thema «Nordstad»-Fusion stehen, antwortete Innenministerin Taina Bofferding zuerst einmal Grundsätzliches: «Die Fusionen müssen auf freiwilliger Basis und im vollen Respekt der Gemeindeautonomie geschehen und das Ministerium wird auf keinen Fall Druck auf die Gemeinden ausüben, die nicht zu einer Fusion bereit sind. Zwangsfusionen werden auch in Zukunft nicht stattfinden. Wir brauchen jedoch unbedingt effiziente und handlungsfähige Kommunen, die ihren Bürgern eine moderne und zeitgemäße Infrastruktur und die entsprechenden Dienstleistungen anbieten können.»

Wie sich am Beispiel einer möglichen Fusion der «Nordstad»-Kommunen zeige, stelle eine Zusammenlegung von Gemeinden über Wahlkreisgrenzen hinweg allerdings mehrere Hürden dar, die zwar juristisch lösbar, aber mit nicht unwesentlichen Komplikationen verbunden seien, so Taina Bofferding weiter.

Begrüßenswert sei, dass bereits fünf von sechs (Diekirch, Bettendorf, Ettelbrück, Erpeldingen/Sauer, Schieren) «Nordstad»-Gemeinden an den Fusionsgesprächen teilnehmen werden. Im Osten hätten ebenfalls erste Fusionsgespräche begonnen.
«Wir werden weiterhin den Prozess der freiwilligen Fusionen fördern und beratend begleiten. Die Abteilung für Rechtsberatung des kommunalen Sektors des Innenministeriums unterstützt die Gemeinden während des gesamten Fusionsprozesses, sowohl bei den Verfahren und Diskussionen im Hinblick auf eine mögliche Fusion als auch bei der Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen und Verträgen im Zusammenhang mit der Fusion.»

Das Wichtigste sei aber, dass vor einer Entscheidung der politischen Vertreter die Bürger per Referendum ihre Zustimmung geben, so die Innenministerin abschließend. «Sogenannte ‹Top-down›-Entscheidungen sind ausgeschlossen; Fusionen sollen mit den Bürgern für die Bürger stattfinden. Es ist die Aufgabe der Gemeindeverantwortlichen und des Innenministeriums, den Bürgern die Vorteile fusionierter Gemeinden deutlich zu machen.»


Claude Gleis: «Eine große Challenge»

Erpeldingen/Sauer: 2.339 Einwohner / 18 km² (Bezirk Norden)

«Ich bin froh, dass wir jetzt doch zu mehr als zu dritt sind», so der Bürgermeister von Erpeldingen an der Sauer, Claude Gleis, der noch im Juli dieses Jahres dem Tageblatt gegenüber Folgendes anmerkte: «In unserer Schöffenratserklärung hatten wir bereits unseren Willen kundgetan, mit Nachbargemeinden zu fusionieren. Wir könnten dies natürlich auch mit allen sechs ‹Nordstad›-Gemeinden tun, doch wir sind der Meinung, dass dies für eine Fusion des Guten etwas zu viel wäre. Wir bräuchten mehrere Jahre, bis wir eine solche Fusion auf die Beine stellen könnten, und das ist nicht im Sinne der Sache.»
Heute hört sich Gleis anders an. «Schade, dass Colmar-Berg nicht dabei ist. Ich respektiere die Entscheidung dieses Gemeinderates natürlich, verstehen tue ich sie aber nicht.»

Schieren, Erpeldingen/Sauer und Ettelbrück hatten bekanntlich den Stein ins Rollen gebracht, als Mitte des Jahres von Sondierungsgesprächen zwischen den drei Gemeinden zwecks einer Fusion die Rede ging (das Tageblatt berichtete exklusiv in seiner Ausgabe vom 25. Juli 2018). «Wir wollten ein Fusionsabkommen bis zu den kommenden Gemeindewahlen im Jahr 2023 auf dem Tisch haben, doch da nun fünf Gemeinden an den Sondierungsgeprächen teilnehmen werden, wird es wohl etwas länger dauern. Wir sollten alles daran setzen, dass es trotzdem bis zu dem genannten Datum klappt. Doch ein bisschen Skepsis sei auch mir erlaubt.»


Pascale Hansen: «Schade, dass es nur fünf sind»

Bettendorf: 2.821 Einwohner / 23,2 km² (Bezirk Norden)
Die Bürgermeisterin von Bettendorf macht gleich zu Beginn des Gesprächs mit dem Tageblatt keinen Hehl daraus, dass sie über die Absage der Gemeinde Colmar-Berg enttäuscht ist. «Sondierungsgespräche sind Sondierungsgespräche. Zu was sie später einmal führen werden, ist noch völlig unklar. Kommt es zu einer Fusion oder vielleicht doch zu einer anderen Art der Zusammenarbeit … wer weiß das heute schon?»

Pascale Hansen ist sich bewusst, dass es viele harte Nüsse zu knacken gibt und dass aktuell in der Bevölkerung längst nicht jeder einer Fusion zustimmen würde. «Wenn zwei Gemeinden fusionieren, ist das bereits ein starkes Stück Arbeit. Wir sollen nun vielleicht zu fünft eine ‹Verlobung› bzw. eine ‹Ehe› eingehen. Man kann sich leicht vorstellen, dass das nicht einfach wird. Ich bin aber persönlich sehr froh darüber, dass wir uns nun zusammen und im Interesse einer ganzen Region an einen Tisch setzen wollen.»


Christian Miny: «Wir bleiben dabei»

Colmar-Berg: 2.218 Einwohner / 12,3 km² (Bezirk Zentrum)

Mitte des Jahres sagte der Bürgermeister von Colmar-Berg, Christian Miny, dass man sich bereits Gedanken über eine engere Zusammenarbeit mit Nachbargemeinden gemacht habe, die aber eher im Rahmen interkommunaler Syndikate funktionieren soll. «Bereits heute arbeiten wir in mancher Hinsicht auf der Ebene von Konventionen mit der Nachbargemeinde Schieren zusammen. Für uns ist eine Fusion – im Moment jedenfalls – absolut kein Thema.»
Und so stimmte der Gemeinderat Colmar-Berg auch mehrheitlich gegen eine Teilnahme an den Sondierungsgesprächen.

Auf die Frage, ob der Rat heute nicht doch noch einmal diese Entscheidung überdenken wolle, antwortet der Bürgermeister aus Colmar-Berg mit einem klaren «Nein». «Wir haben im Vorfeld unserer Abstimmung viel und lange darüber diskutiert. Wir haben im Moment kein Interesse an einer Fusion, wollen aber nach wie vor Mitglied des «Nordstad»-Verbunds bleiben. Seit Jahren arbeiten wir auf manchen Ebenen sehr gut mit den restlichen Projektgemeinden zusammen, sei dies in politischen Komitees oder interkommenalen Syndikaten. Auf dieser Basis sind wir, wie bereits mehrmals gesagt, auch in Zukunft an einer engen Zusammenarbeit interessiert und wollen uns, wie bis jetzt auch, aktiv einbringen.»


André Schmit: «An einem Strang ziehen»

Schieren: 2.036 Einwohner, 10,4 km²
(Bezirk Norden)

«Es wird die mit Sicherheit komplizierteste Fusion sein, die jemals in Luxemburg vollzogen wurde. Es wird sehr schwer, doch wenn jeder an einem Strang zieht, wird es machbar sein. Auch bis 2023, da bin ich mir sicher», so ein optimistischer Bürgermeister aus Schieren. «Jeder Bürger, jede Gemeinde sollte später auf der Gewinnerseite sein. Hoffentlich schaffen wir das, sonst erhalten wir bei den späteren obligatorischen Bürgerbefragungen die Quittung.» Und im gleichen Atemzug stellt sich André Schmit die Frage, wie es denn überhaupt weitergehen wird, sollte in einer der fünf Gemeinden das Referendum negativ ausfallen. «Ist dann die komplette Fusion im Eimer oder werden bzw. können oder dürfen die restlichen Gemeinden dann trotzdem fusionieren?»
Es gebe noch zahlreiche offene Fragen, die nicht nur auf lokaler oder regionaler Ebene zu beantworten sind. Es brauche auch die Hilfe der Politik, sprich des Innenministeriums, um Nägel mit Köpfen machen zu können. «Es wird ein langer Weg, doch es lohnt sich, ihn zu gehen.»


Jean-Paul Schaaf: «Schwerer heißt  nicht unmachbar»

Ettelbrück: 8.735 Einwohner / 15,2 km² (Bez. Norden)

Der Ettelbrücker Bürgermeister Jean-Paul Schaaf gab im Juli 2018 dem Tageblatt zu verstehen, dass seiner Meinung nach eine Fusion aller sechs «Nordstad»-Gemeinden in vielerlei Hinsicht schwierig, um nicht zu sagen undenkbar sei, schon allein wegen der unterschiedlichen Wahlbezirke (Colmar-Berg liegt im Zentrum/Kanton Mersch, die restlichen Gemeinden zählen zum Nordbezirk/Kanton Diekirch).

«Zu dritt wäre es wohl überschaubarer gewesen, jetzt sind wir zu fünft, was die Arbeit in Richtung Fusion sicherlich schwieriger macht. Das heißt aber nicht, dass es unmachbar ist», so die vorsichtige Aussage des Ettelbrücker Bürgermeisters Jean-Paul Schaaf heute. Auch er bezeichnet das, was jetzt an Arbeit vor ihnen steht, als eine «große Challenge»: «Jede Gemeinde muss nun erst mal eine Bestandsaufnahme für sich machen und sich die Frage stellen ‹Wer sind wir und wohin wollen wir?›.

Welche Engagements ist jede Gemeinde in den letzten Jahren eingegangen? Welche Projekte stehen an? Wie sieht es mit dem Gemeindepersonal aus? Welche Visionen gibt es? Welche zusätzlichen Dienste werden angestrebt? Was fehlt in puncto Infrastruktur? Ich könnte noch weiterfahren … Es gibt hundert Fragen, die sich nun stellen. ‹Il y a du pain sur la planche.'»

Er freue sich aber auf die Zeit, die nun kommt. «Es ist meines Erachtens für unsere Region die Gelegenheit schlechthin, endlich einen großen Schritt voranzukommen.»