Rechts, links, Schublade: ADR-Spitzenkandidat Michel Lemaire hält nichts von einfachen Zuschreibungen

Rechts, links, Schublade: ADR-Spitzenkandidat Michel Lemaire hält nichts von einfachen Zuschreibungen

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Weder «rechts» noch «links» – mit politischen Zuschreibungen kann Michel Lemaire nichts anfangen. Wir haben mit dem 30-jährigen ADR-Spitzenkandidaten im Bezirk Norden über seine Partei, soziale Medien, die Kirche und den Wählerwillen gesprochen.

Tageblatt: Was ist für Sie und die ADR das größte Problem in Luxemburg?

Michel Lemaire: Das größte Problem ist das Wachstum. Unser ganzes Wahlprogramm baut darauf auf. Sei es nun Finanzpolitik, Renten, Wohnen, Mobilität oder das gesellschaftliche Zusammenleben. All diese Unterpunkte sind mit dem Wachstum verstrickt.

Insbesondere in puncto Mobilität und Wohnen sollten wir keine Politik machen, die nur die Symptome bekämpft. Keine Partei wird in Sachen Maßnahmen in der Wohnungspolitik das Rad neu erfinden. Wir sehen eine Gefahr, dass Probleme isoliert angegangen werden.

Fairerweise muss man sagen, dass unsere Regierung im Bereich Mobilität eine Reihe von Maßnahmen getroffen hat – was wir begrüßen. Das Problem wird aber weiter bestehen, solange das Wachstum auf dem Niveau bleibt, das wir derzeit haben. D.h. alle sieben Jahre kommen rund 100.000 neue Einwohner hinzu.

Wenn Sie von Wachstum sprechen, meinen Sie also demografisches Wachstum?

Das Bevölkerungswachstum und das Wachstum allgemein. Die Bevölkerung wächst pro Jahr um rund 13.000 Einwohner. Gleichzeitig entstehen zwischen 10.000 und 15.000 Arbeitsplätze. Das ist als Ganzes zu betrachten. Deshalb haben wir die Probleme im Wohnungsbereich. Laut dem «Observatoire de l’habitat» sind die Wohnungspreise seit 2005 um 69 Prozent gestiegen. Das ist eine gewaltige Entwicklung. Nicht nur Geringverdiener haben Probleme, auch Menschen aus der Mittelschicht drohen in die Prekarität abzurutschen.

Im Wahlkampf setzen Sie auf die luxemburgische Sprache. In welcher Verbindung steht diese zum Wachstum? Gibt es eine solche Verbindung?

Auf jeden Fall. Heute sehen wir diese Verbindung. In Luxemburg leben Menschen mit vielen verschiedenen Nationalitäten und vielen Kulturen – und das ist gut so. Wenn wir die luxemburgische Sprache nicht als Integrationssprache Nummer eins fördern, werden wir bei dem demografischen Wachstum, das wir derzeit haben, in Zukunft aneinander vorbei anstatt miteinander leben.

Uns wird oft vorgeworfen, dass wir mit unserer Sprachenpolitik die Menschen ausgrenzen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen Menschen einbinden. Der DP-Generalsekretär hat bei einem Rundtischgespräch zu mir gesagt: «Bei euch hört es beim Luxemburgischen auf.» Das stimmt nicht. Die Mehrsprachigkeit ist ein Vorteil von Luxemburg, auf den andere Länder fast schon eifersüchtig sind. Wir stehen hundertprozentig für eine Mehrsprachigkeit auf einem hohen Niveau.

Genauso klar sagen wir aber auch, dass die Integrationssprache für die Leute, die hier leben wollen, Luxemburgisch sein muss. Damit tun wir diesen Menschen auch einen Gefallen. Wenn sie Luxemburgisch beherrschen, finden sie viel einfacher Zugang zu unserer Gesellschaft, z.B. in Sport- oder Musikvereinen.

Wenn Menschen die gleiche Sprache sprechen, dann bringen sie sich stärker in die Gesellschaft ein, und wenn Menschen miteinander die gleiche Sprache sprechen, fragt auch keiner mehr, woher jemand stammt, sei es Marokko, Litauen oder Portugal. Die luxemburgische Sprache ist etwas, das unheimlich stark verbindet.

Sie haben gerade von Vorwürfen gesprochen. Die ADR wird oft mit Adjektiven wie «rechts», «konservativ» oder «nationalistisch» belegt. Mit welchen Adjektiven können Sie sich anfreunden?

Ich persönlich kann mit all diesen Begriffen – rechts, links, konservativ – relativ wenig anfangen, weil man damit sofort in eine Schublade gesteckt wird. Ich habe mich z.B. nie mit den großen Theoretikern des Konservativismus wie Edmund Burke beschäftigt. Oft ist auch unklar, was Begriffe wie «links» und «rechts» überhaupt heißen.

Ich versuche, Politik nach Gefühl und mit gesundem Menschenverstand zu machen. Ich würde mich nie als rechts oder konservativ bezeichnen. Ich habe Ideen, die man als konservativ bezeichnen könnte – in dem Sinne, dass man etwas, was erhaltenswert ist, erhalten sollte. Nicht aus einem Selbstzweck heraus, sondern weil ich an der einen oder anderen Idee festhalte.

Hilft es da, dass einige Kandidaten der ADR in den sozialen Medien als Provokateure bzw. politisch unkorrekt auftreten?

Das Internet und Facebook sind Medien, die für Politiker nicht ungefährlich sind. Jede Aussage wird genauestens unter die Lupe genommen. Ich persönlich habe eine private Facebook-Seite, auf der ich keine politischen Inhalte teile, und eine Politiker-Seite, auf der ich politische Statements poste. Ich lasse mich nie auf Diskussionen ein, bei denen man in Teufels Küche kommt.

Ich bedauere, dass politische Diskussionen auf dem «Schlachtfeld» der Facebook-Kommentare ausgetragen werden. Dieses Medium lädt zu Streitereien und Provokationen ein, die nicht dem Auftreten entsprechen, das ein Kandidat für die Kammerwahlen an den Tag legen sollte. Das gilt nicht nur für die ADR, sondern für alle Parteien. Das Medium Facebook gilt es richtig zu nutzen.

Die ADR hat bei den Europawahlen für «weniger Europa, mehr Luxemburg» geworben. Im Parlament vertritt die Partei allerdings manchmal die Position, es sei besser, eine europäische Lösung zu finden, bevor man etwas national regelt. Ist das nicht ein Widerspruch?

Ich würde es nicht als Widerspruch bezeichnen, sondern als Differenzierung. Generell stehen wir für ein starkes Europa. Wir stehen für ein Europa der Nationen, die derzeit Mitglied sind. Das hat uns eine Phase der Stabilität und des Friedens gebracht. Wir stehen 100 Prozent hinter dem Euro, von dem Luxemburg profitiert. Wir stehen hinter der Währungsunion. Wir wollen aber kein föderales Europa, in dem immer mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagert werden. Wir stehen für ein Europa der Nationen.

In einzelnen Bereichen finden wir, dass wir zusammenarbeiten müssen – sogar verstärkt zusammenarbeiten müssen. Zum Beispiel, was die Mobilität und den Arbeitsmarkt angeht. Aber auch bei der Bekämpfung von Kriminalität, sei es Cyberkriminalität oder politisch und religiös motivierter Terrorismus. Wir sollen dort zusammenarbeiten, wo es sinnvoll und notwendig ist. Wir sollen nicht an dem Prinzip rütteln, dass jedes Land seine Eigenständigkeit behält und wir sollen keine föderale Regierung erhalten, die den Ländern Vorschriften macht, was ihre eigentlich nationalen Kompetenzen angeht.

Welches Verhältnis hat die ADR zur Kirche? Die ADR fordert zum Beispiel die Wiedereinführung eines Religionsunterrichtes.

Die Politik hat niemandem vorzuschreiben, ob er gläubig sein soll oder nicht. Das ist klar. Dass wir die Kirche nicht mehr als staatliche Instanz in unsere Gesellschaft einbinden, ist auch klar. Die Art und Weise, wie wir in den vergangenen Jahren mit der Kirche verfahren sind, kritisieren wir aber. Bei der Trennung von Kirche und Staat hat sich Innenminister Dan Kersch geweigert, mit den Vertretern der Kirchenfabriken zu sprechen.

Kirchenfabriken bestehen schon lange und die Kirchen – selbst wenn wir nur von den Gebäuden reden – sind Teil unserer Identität. Als ADR stehen wir aber ganz klar für eine Trennung von Kirche und Staat.

Seitdem der Religionsunterricht nicht mehr in den Schulen angeboten wird, gehen weniger Schüler zum (außerschulischen) Religionsunterricht. 30 Prozent im Vergleich zu vorher. In einer zweiten Generation sind es vielleicht nur noch 10 Prozent. Langfristig kommt diese Politik einem Dolchstoß für die Kirche gleich.

Wo sieht sich die ADR in der nächsten Legislaturperiode? Opposition oder Königsmacher einer neuen Regierung?

Ich würde diese Frage gerne beantworten. Letztendlich wäre das aber Spekulation. Wenn man spekuliert, dann hört man nicht mehr auf, Fragen zu stellen: Wie viele Sitze gewinnen wir? Gewinnen wir überhaupt Sitze? Unser bescheidenes Ziel ist es, wieder Fraktionsstärke zu bekommen. Persönlich habe ich nie über mögliche Wahlausgänge nachgedacht. Da gerät man in eine Denkspirale, die kein Ende findet.

Wir sagen allerdings: Wenn wir aus den Wahlen gestärkt hervorgehen, ist das ein Zeichen an die Politik, das man mit Respekt vor dem Wählerwillen nicht ignorieren darf. Beim letzten Mal hat sich die CSV unheimlich darüber aufgeregt, «Gambia» hätte den Wählerwillen nicht respektiert. Andererseits sagt sie heute schon: Mit dieser und jener Partei wollen wir uns nicht zusammentun. Besonders die CSV sollte als Allererstes schauen, was der Wählerwille ist, und versuchen, dem gerecht zu werden.

Ist die Zusammenarbeit mit «Wee2050» eine Strategie, um Fraktionsstärke zu gewinnen, oder ist es etwas, das natürlich zusammengewachsen ist?

Das ist ganz natürlich zusammengewachsen. Die Sprachen- und die Wachstumsdebatte, die wir geführt haben, waren so verbindende Punkte, dass es auf der Hand lag, unsere Kräfte zu bündeln. Dort ist zusammengewachsen, was zusammengehört.

Le républicain
11. Oktober 2018 - 18.25

Der Souverän also der Wähler wird am 14. Oktober schon sagen wo es lang geht...allerdings können die Parteien immer noch mache was sie wollen und entscheiden mit wem sie ins Bett gehen wollen...es müssen nur mindestens 32 Stimmen dafür sein...so ist das in einer Demokratie eben...