Nun doch wieder vor Gericht: Flüchtlings-Bürgermeister „Mimmo“ Lucano erneut angeklagt

Nun doch wieder vor Gericht: Flüchtlings-Bürgermeister „Mimmo“ Lucano erneut angeklagt

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Italiens oberste Rechtsinstanz hatte die Vorwürfe gegen Mimmo Lucano  entkräftet. Nun will ein untergeordnetes Gericht den Bürgermeister von Riace dennoch wegen Begünstigung illegaler Einwanderung verklagen. Für seine Flüchtlingshilfe war Lucano 2017 mit dem Dresdner Friedenspreis ausgezeichnet worden.

Von unserem Korrespondenten Wolf H. Wagner

Die Staatsanwaltschaft von Locri hat Anklage gegen den suspendierten Bürgermeister von Riace, Domenico «Mimmo» Lucano, erhoben. Ihm und weiteren 26 Funktionären des Ortes wird vorgeworfen, im Zusammenhang mit der Aufnahme nordafrikanischer Bootsflüchtlinge Amtsmissbrauch und Begünstigung illegaler Einwanderung betrieben zu haben. Italien reibt sich verwundert die Augen: Erst am 3. April hatte das Kassationsgericht in Rom alle Vorwürfe gegen den Bürgermeister des kalabresischen Ortes verworfen. Es gebe keine Anzeichen dafür, dass Lucano sich rechtswidrig verhalten hätte, so die oberste italienische Rechtsinstanz.

Dass dies die Staatsanwaltschaft von Locri anders sieht und nun erneut Klage erhebt, lässt an politisches Kalkül denken. Gegen Mimmo Lucano soll ein Exempel statuiert werden, um nicht andere Gemeindevorsteher auf den Gedanken zu bringen, man könnte Migranten nach dem «Riace-Modell» beherbergen. An erster Stelle ist der rechtspopulistische Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini (Lega) an einem Verfahren gegen den Bürgermeister interessiert.

Neue Vorwürfe konstruiert

Nach einem siebenstündigen Kolloquium verkündete die Richterin des Vorverfahrens, Amelia Monteleone, man werde ein neues Verfahren gegen die Beschuldigten eröffnen. Erster Prozesstermin sei der 11. Juni. Hauptvorwurf: Hinter der Flüchtlingsaufnahme verberge sich ein Netz krimineller Machenschaften. Dem suspendierten Bürgermeister sowie der Chefin der Kooperative «Girasole» (Sonnenblume), Maria Taverniti, wird vorgeworfen, Immobilien an die Flüchtlingskampagne vermietet zu haben, die weder ein Zertifikat «bewohnbar» noch legale Bauunterlagen besitzen. Damit sollen der Status dieser Bauwerke legalisiert sowie illegal Mieteinnahmen kassiert worden sein. Per Gesetz müssen nicht genehmigte Bauten in Italien abgerissen werden.

Bürgermeister Lucano zeigte sich angesichts der Vorwürfe sprachlos, zumal keine Gutachten zu den Anschuldigungen vorliegen. «Im Gegensatz zu Minister Salvini, der sich vor einer gerichtlichen Untersuchung im Flüchtlingsfall Diciotti drückt, habe ich keine Angst vor einem Prozess», erklärte er nach Bekanntwerden der neuerlichen Klage. Er sei überzeugt, dass das Verfahren die Wahrheit ans Licht bringen werde und die Vorwürfe – wie jene, die das Kassationsgericht jetzt aufgehoben hatte – aus der Welt zu schaffen seien.

Lucano war im Jahre 2004 zum Bürgermeister der kleinen Gemeinde gewählt worden. Zum damaligen Zeitpunkt schien der Ort vom Niedergang bedroht. Aufgrund von Überalterung und Landflucht war die Bevölkerung von 3.000 auf nur noch 800 Einwohner geschrumpft. Lucano erklärte, eine Hoffnung für die Gemeinde könnte der Zuzug von Migranten sein. Gegenwärtig leben wieder 2.400 Menschen am Ort, Flüchtlinge kamen aus Eritrea, Senegal, Syrien und Tunesien an die süditalienische Küste. Der Gemeinderat stellte ihnen kostenlose Unterkunft zur Verfügung, zuzüglich erhalten die «Neubürger» ein monatliches Taschengeld von 250 Euro.

Dafür arbeiten sie in den umliegenden Olivenhainen sowie in kommunalen Einrichtungen Riaces wie der Stadtreinigung. Lucano nannte sein Projekt zur Wiederbelebung des Küstenortes «Citta del Futuro» – Stadt der Zukunft. Zwischenzeitlich haben auch etliche Flüchtlinge in die Gemeinde eingeheiratet – von der Justiz wird dies nun als die Anbahnung von Scheinehen vorgeworfen. Im Dezember 2017 erhielt Domenico Lucano den mit 10.000 Euro dotierten Friedenspreis der Stadt Dresden. Die US-amerikanische Zeitschrift Fortune zählte ihn zu den 50 wichtigsten Persönlichkeiten der Welt.