Nachhaltige Bauprojekte auf dem Kirchberg: Ein Stadtviertel erfindet sich neu

Nachhaltige Bauprojekte auf dem Kirchberg: Ein Stadtviertel erfindet sich neu

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Die Prinzipien von Co-Creation, Cradle to Cradle und Kreislaufwirtschaft spielen bei der Verwirklichung der kommenden Bauvorhaben auf Kirchberg eine zentrale Rolle. Um was handelt es sich? Erklärungen.

Der Kirchberg macht derzeit eine rasante Entwicklung durch. Arbeiten zurzeit etwa 40.000 Personen im neuen Viertel, sollen es mittel- bis langfristig weit über 60.000 sein. Zugleich wohnen momentan um die 3.600 Menschen auf Kirchberg. «Nicht genug», so die einhellige Meinung der Politiker und Verantwortlichen des «Fonds Kirchberg». Infrastrukturminister François Bausch kündigte vor kurzem noch einmal an, die Einwohnerzahl auf über 20.000 steigern zu wollen. Die Einwohnerdichte soll sich erhöhen und den urbanen Charakter des Kirchbergs unterstreichen.

In diesem Zusammenhang geht man jedoch neue Wege. Ein großer Stellenwert wird nämlich der Kreislaufwirtschaft eingeräumt. Die Nutzung des Oberflächenwassers, das Recycling, die Straßenführung, die benutzten Baumaterialien, die sogenannte «Mixität», der soziale Zusammenhalt … all das soll zu einem harmonischen Ganzen werden, so der Plan. Experimentelle Projekte, «JFK Sud – Phase 1», «Grünewald» und «Lot 4 PAP Kiem», sollen die neuen Wege der Stadtentwicklung aufzeigen.

Aber wie sieht dieser neue Weg aus? Bei allen Bauvorhaben werden bereits in der Planungsphase alle Etappen des Lebenszyklus des Produktes in Betracht gezogen.
«Bei architektonischen Projekten interessiert man sich von Anfang an zum Beispiel für eine Änderung der Nutzung des Hauses, für eine Umgestaltung, für den Abbau, für die Verwendung der abgebauten Materialien in einem anderen Bauprojekt usw.», erklärt Véronique Bous, Architektin beim «Fonds Kirchberg». Es gehe nichts verloren, es werde nichts weggeworfen.

«Wir wollen weg von der Abfallgesellschaft», unterstreicht Bous. Alle Materialien sollen ohne Wertverlust Teil eines neuen Produktes werden. Das setzt aber eine minutiöse Planung noch vor Baubeginn voraus. Aus diesem Grund organisiert der «Fonds Kirchberg» keinen klassischen Architektenwettbewerb mehr. Nun sollen sich multidisziplinäre Teams, bestehend aus Architekten, Ingenieuren, Landschaftsgärtnern, Verkehrsexperten, Urbanisten usw., zusammensetzen und gemeinsam ein Projekt ausarbeiten.

Nichts geht verloren

Parallel werden die Anrainer des geplanten Bauprojektes in die Prozeduren eingebunden. Sie sollen gemeinsam über die roten Linien befinden, die während des gesamten Bauprozesses und sogar noch darüber hinaus eingehalten werden müssen. Bei der Verwirklichung müsse ganz genau gearbeitet werden, betont Véronique Bous. Die Kosten seien zwar etwas höher als bei klassischen Bauvorhaben, weil alle Eventualitäten und Etappen eingeplant werden müssten. Dafür spare man aber danach, unter anderem was den Energie- und Wasserverbrauch betrifft.

Nach dem Lebensende eines Bauwerks kämen auch weniger Kosten auf die Bauherren zu, weil weniger Abfall entstehe und man quasi das gesamte Gebäude wiederverwerten könne. Eine aufwendige Sanierung sei da nicht mehr nötig. Auch den sozialen Aspekt dürfe man nicht vernachlässigen. Durch eine genau durchdachte Gestaltung, nicht nur des Gebäudes, sondern des gesamten Areals, das sich nahtlos in seine Umgebung einfügt, werde der gesellschaftliche Zusammenhalt gefördert, so die verantwortliche Architektin des Fonds. Vor zwei Jahren begann der «Fonds Kirchberg» damit, die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft systematisch bei der Schaffung von neuen Bauwerken anzuwenden. So kommen sie zum Beispiel bei den neuen Sitzen der Finanzinstitute und der EU-Institutionen (unter anderem des neuen Jean-Monnet-Gebäudes) zum Tragen.

Die Bereitschaft, sich auf den Weg der Kreislaufwirtschaft zu begeben, sei groß, sagt Véronique Bous. Viele Partner hätten nämlich gemerkt, dass sich Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz durchaus ergänzen können. Die Anwendung der Kreislaufwirtschaft stecke aber noch in den Kinderschuhen. Eine allgemeingültige Richtung oder klare Regeln gebe es nicht. Die praktische Umsetzung hänge zudem von der Topografie, dem Klima usw. ab. So könne man sich lediglich an den Projekten im Ausland inspirieren, müsse aber bei den Bauvorhaben hierzulande seinen eigenen Weg finden, erklärt Véronique Bous.

Die Regierung unterstützt auf jeden Fall alle Bemühungen, die in Richtung Kreislaufwirtschaft gehen. Im Koalitionsabkommen wird unter anderem die Schaffung von Kompetenzzentren für nachhaltiges Bauen angekündigt. Auch ist die Gründung eines nationalen Rates für nachhaltiges Bauen vorgesehen. Kleine und mittlere Unternehmen erhalten finanzielle Hilfen bei der Entwicklung von neuen innovativen Techniken und Technologien.


Definitionen

  • Bei der Co-Creation werden sämtliche Akteure, inklusive Endkunde, in die Produktgestaltung bzw. -erstellung mit einbezogen. Es handelt sich um einen offenen Prozess. Co-Creation geht vom Prinzip aus, dass es kein allgemeingültiges Modell gibt bei der Lösung der Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialprobleme.
  • Cradle to Cradle bedeutet übersetzt von der Wiege in die Wiege. Es ist die Vision einer abfallfreien Wirtschaft, in der die Unternehmen auf gesundheits- und umweltschädliche Materialien verzichten. Sämtliche Stoffe sollen entweder in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt werden oder ohne Wertverlust wiederverwendet werden.
    Das Cradle-to-Cradle-Prinzip oder C2C wurde Ende der 1990er Jahre vom deutschen Chemiker Michael Braungart und vom US-amerikanischen Architekten William McDonough entwickelt.
  • Cradle to Cradle ist ein Teil der Kreislaufwirtschaft. Letztere beschreibt im Allgemeinen ein System, in dem der Einsatz von Ressourcen, die Abfallproduktion, Emissionen und Energieverschwendung minimiert werden, sei es durch langlebige Konstruktionen, Instandhaltung, Reparatur, Wiederverwendung oder Recycling.

Fonds Kirchberg

Der Kirchberg liegt nordöstlich gegenüber der Altstadt von Luxemburg und stellt mit 365 Hektar ein riesiges Gebiet dar. 1961 wurde der «Fonds d’urbanisation et d’aménagement du Plateau de Kirchberg» gegründet, nachdem der Luxemburger Staat das Gelände erworben hatte. Die öffentliche Einrichtung erhielt die Aufgabe, den neuen Stadtteil zu entwickeln. Seitdem haben sich zahlreiche Banken, Versicherungsgesellschaften, EU-Institutionen, Kultureinrichtungen usw. auf Kirchberg niedergelassen. Neben der Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandortes liegt der Fokus des «Fonds» seit kurzem auch auf der Förderung des Wohnungsbaus.


JFK Sud

Das schmale Gelände, auf dem dieses Projekt realisiert werden soll, befindet sich in einem Hang zwischen der avenue John F. Kennedy und der rue du Fort Thüngen. Wegen der Form, die an einen Reißverschluss erinnert, gab sich das dafür zuständige Kollektiv den Namen «Zippers». Wie bei den anderen Projekten wird in der urbanistischen Gestaltung der Geselligkeit und dem Zusammenleben eine große Bedeutung zugemessen. Aufgrund der sonnigen Südwestlage ist die Schaffung von Terrassen auf den Dächern vorgesehen, die von allen Bewohnern genutzt werden können. In den neun Gebäuden sollen des Weiteren Büros, Geschäfte sowie kleine und mittlere Dienstleistungsbetriebe unterkommen. So sei die Niederlassung von Bistros, Reparaturwerkstätten, kleinen Startup-Betrieben und Kultureinrichtungen wünschenswert, sagt Architektin Véronique Bous. Und genauso wie beim Kiem-Projekt ist auch hier die Schaffung von Gemeinschaftseinrichtungen (Gemüsegärten, Waschküchen, Festsälen, Sporteinrichtungen, Gästezimmern usw.) vorgesehen.


Grünewald

Im Grünewald soll auf zwei Bauarealen von insgesamt 9.800 m2, zwischen der rue Edward Steichen und der rue Charles Bernhoeft, ein Gebäudekomplex entstehen, der zu 100 Prozent nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip erbaut wird und wo die sogenannte Co-Creation im Mittelpunkt steht. Vorgesehen ist unter anderem ein Hotel mit 180 bis 230 Zimmern. Der «Fonds Kirchberg» sucht derzeit nach Partnern für das ehrgeizige Vorhaben. In dem Komplex sollen neben dem Hotel (12.200 m2) auch Cafés, Restaurants, Büros, Ateliers, Läden, ein Repair-Café, Pop-up-Stores und Wohnungen entstehen. Das soll Touristen die Möglichkeit geben, in den Alltag der Lokalbevölkerung einzutauchen. Ein Teil des Erdgeschosses ist öffentlich zugänglich. Der 9.200 m2 große Platz vor dem Hotel soll die Fortsetzung dieses «urbanen Marktplatzes» sein. Das Hotel wurde von einem Team konzipiert, das sich den Namen «Ideasfarmers» gab. Auch Cradle-to-Cradle-Mitbegründer William McDonough beteiligte sich daran. Die Anrainer wurden ebenfalls dazu aufgefordert, bei der Gestaltung des Areals mitzumachen.


Domaine du Kiem

Auf dem «Domaine du Kiem» soll ebenfalls ein Pilotprojekt der Kreislaufwirtschaft verwirklicht werden. Die Architekten, Urbanisten und Ingenieure, die für die Gestaltung des Areals verantwortlich zeichnen, nennen sich «Kiem 2050». Das Gelände befindet sich am Rande des Kirchbergs. Verschiedene Wohnformen sollen dort, von üppigen Grünanlagen umrahmt, Platz finden. Teilen ist das Motto. So ist die Schaffung von Gemeinschaftsgärten auf dem Dach, gemeinschaftlichen Ateliers, Waschküchen, Spiel- und Gästezimmern vorgesehen. Geräte oder Räumlichkeiten, die eher selten oder zu teuer für einen einzelnen Haushalt sind, sollen sämtlichen Bewohnern zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Weise steige die Fläche des verfügbaren Lebensraums. Das spare Kosten und fördere die sozialen Kontakte. Zudem wurde auch hier ein Konzept ausgearbeitet, welches das Wasser- und Energiesparen und die Wiederverwertung der Ressourcen als Ziel hat.

roger wohlfart
7. Februar 2019 - 14.24

Auf Anordnung des zustädigen Ministers, muss die Einwohnerzahl von derzeit 3.600 in absehbarer Zukunft auf 20.000 steigen. Kreislaufwirtschaft und Kompetenzzentren, Gemeinschaftsgärten auf dem Dach, gemeinsame Spiel-und Gästezimmer , hört sich gut an, das Papier ist geduldig, träumen darf man. Wenn das nur nicht in einem Alptraum endet. Der Kirchberg ist jetzt schon ein Stadtteil, einem Irrgarten gleich. Ein Dekret per Mufti macht Angebote, ob die Nachfrage stimmt oder nicht. Hauptsache es geschieht etwas, nach dem Prinzip es muss etwas geschehen. Kann durchaus sein, dass es in ferner Zukunft in Luxemburg mehr leerstehende Wohnungen resp. Häuser gibt als vorstellbar.

Astrolix
5. Februar 2019 - 8.49

"Luuten sin ëmmer rout."-"An ëmmer bei mir!" Dat ass e psychologeschen Effekt. 20000 Awunner!? Dat gëtt jo richteg gemittlech do uewen.

Nomi
4. Februar 2019 - 15.08

Sinn e Samsteg aus der Philharmonie komm an bis den R-P Sierra war all Luut ro'ud eng no der Aaner. Hun mer do keng Greng Well.