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Nach „Get Out“ ist Jordan Peeles „Us“ ein politisch (etwas) überladener Horrorfilm

Nach „Get Out“ ist Jordan Peeles „Us“ ein politisch (etwas) überladener Horrorfilm

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Auf seinen erfolgreichen Horrorfilm über Rassismus lässt Jordan Peele eine bedrohliche Verneigung vor Hanekes «Funny Games», dem Slasher-Movie, und Kazuo Ishiguros «Never Let Me Go» folgen. Angeprangert wird diesmal ein von Klassenkampf und Unterdrückung durchzogenes Amerika.

In «Funny Games» gibt es diese eine bedrohliche Schlüsselszene, in der eine friedliche Ausgangssituation – die Hauptfigur hilft dem Nachbarn aus einer kulinarischen Notsituation (dem jungen Mann fehlen vier Eier) – in ein Horrorszenario umschwingt und zwei Nachbarn eine Familie grundlos während rund 100 Minuten psychisch und physisch foltern. Im Kern von «Us» findet man genau dieses Grundszenario wieder – vor der Ferienwohnung einer amerikanischen Familie steht auf einmal eine zweite Familie, die anfangs stumm das Grundstück anstarrt, bevor ein brutaler Hausfriedensbruch beginnt.

Im Gegensatz aber zu Hanekes «huis clos» wird diese Ausgangssituation nicht auf Spielfilmlänge gezogen. Die allegorische Situation, die bei «Funny Games» durch die Abwesenheit jeglicher semantischen Legitimierung des Gewaltausbruchs entstand, bekommt hier auf erzählerischer Ebene einen surrealen Hintergrund und wird zudem gesellschaftspolitisch aufgezogen, da sie als Rachefeldzug einer unterdrückten Bevölkerung dargestellt wird.

Als kleines Mädchen verliert sich Abigail auf einem Jahrmarkt in einem Spiegelkabinett und stößt dabei auf ihre Doppelgängerin – eine traumatische Erfahrung, die eine klischeehafte Psychoanalystin dazu verleitet, ihr das Tanzen oder das kreative Schreiben zu empfehlen –, als wäre der Kunst einziger Nutzen die therapeutische Form. Gut 30 Jahre später kehrt Abigail mit ihrem Ehemann an den traumatischen Tatort zurück (wieso sich die Figuren in Horrorfilmen meist die Ausgangssituation für den zukünftigen Gewaltausbruch selbst verschulden, bleibt zu erörtern).

Und in der Tat dauert es keine 20 Minuten, bis Abigails erwachsene Doppelgängerin vor der Tür steht – nur hat sie drei weitere Faksimiles dabei, die Abigails Kindern und Ehemann verblüffend ähnlich sind. Schnell stellt sich heraus, dass diese schiefen Ebenbilder überall auftauchen und für Blutvergießen sorgen. Der Film entwickelt sich von da ab vom Kammerspiel à la Haneke zu einem manchmal schreiend komischen, manchmal klaustrophobischen Slasher-Movie, bevor er im Finale, in dem Kazuo Ishiguros «Never Let Me Go» auf die exzentrischen Bilder von Richard Kelly («Donnie Darko», The Box») trifft, der zeitgenössischen Science-Fiction huldigt.

Hirntote Unterschicht?

Wo «Get Out» noch sehr explizit das Genre des Horrorfilms nutzte, um Rassismus in den Vereinigten Staaten zu thematisieren, betreiben die bedrohlichen Doppelgänger keinerlei Diskriminierung und haben es auf die gesamte US-amerikanische Bevölkerung abgesehen: Die aggressiven, hirntoten Doppelgänger soll man als Aufstand der Unterschicht interpretieren. Zentral wird hier, legt man den Film gesellschaftspolitisch aus, eine Gleichstellung aller möglicher Unterdrückungsformen – im Film leben die Doppelgänger in einer Art Unterwelt, die, Lewis Carroll sei Dank, auch von einer Vielzahl (hauptsächlich) weißer Hasen bevölkert ist.

Hier zeigt sich eine Unzulänglichkeit von Peeles Film: Wieso müssen die Rebellen, die die unterdrückte Unterschicht symbolisieren und auf aktuell politischer Ebene an die Gelbwesten erinnern sollen, ausgerechnet als hirntote Brutalo-Zombies dargestellt werden?

Peeles Liebe zu Referenzen (ein guter Horrorstreifen benötigt dämliche Zombies) reibt sich so leider an der plakativen Politisierung des Films. Peele legitimiert zwar später die Abgestumpftheit der Doppelgänger in einer der (vielen, gelungenen) Handlungswendungen – dies wirkt aber zu aufgesetzt, um auch auf soziokritischer Perspektive zu funktionieren. Wem Hanekes «Funny Games» zu ernst und zu abstrakt war und wer sich in Horrorfilmen meist nur an der zu dämlichen Handlung, nicht jedoch an den Blutströmen stört, der bekommt mit «Us» einen durchaus intelligent aufgebauten, vor schwarzem Humor nur so strotzenden Film angeboten, (die «Home Alone»-Referenz, der makabre Einsatz der Beach Boys), dessen einzige Schwäche darin liegt, dass er die Genre-Zutaten manchmal etwas zu offensichtlich verdichtet und die politische Botschaft zu simpel verpackt.