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Verloren im Behördendschungel: Luxemburgerin wartet seit 1.400 Tagen auf ihr Diplom

Verloren im Behördendschungel: Luxemburgerin wartet seit 1.400 Tagen auf ihr Diplom

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Ältere Schulabschlüsse, vor allem für technische Berufen, entsprechen nicht mehr den Anforderungen von heute. Bewerber mit einem solchen Diplom müssen sich ihren alten Abschluss neu anerkennen lassen – brauchen aber einen gewissen Grad an Berufserfahrung. Dass Theorie und Praxis dabei sehr weit auseinander liegen, zeigt das folgende Beispiel.

Seit 2010 bietet das Unterrichtsministerium das VAE-Verfahren an. VAE steht für «Validation des acquis de l’expérience» oder, anders ausgedrückt, für die Anerkennung des nicht-formalen und informellen Lernens. «Wer sich dafür interessiert, hat nicht nur die Chance, seine Fähigkeiten zertifizieren zu lassen, er hat auch die Aussicht auf eine bessere berufliche Perspektive», so das Ministerium. Konkret heißt das: Menschen, die beispielsweise in den 1970er-Jahren ihren Schulabschluss gemacht haben, können sich diesen Abschluss in ein aktuelles Diplom umtragen lassen.

Aber: «Der Prozess ist kein Honigschlecken», wie ein Verantwortlicher des «Institut national pour le développement de la formation professionnelle continue» (INFPC) während einer Infoversammlung 2016 eklärte. Und weiter: «Interessenten müssen 5.000 Stunden in dem Beruf gearbeitet haben, für den sie die VAE beantragen. Hat der Bewerber genug Stunden zusammen, stellt er einen Antrag auf Zulassung. Wird dem stattgegeben, stellt er in einem zweiten Schritt den Antrag auf Anerkennung. Die Interessenten müssen viel Zeit und Arbeit in dieses Projekt investieren, um ans Ziel zu kommen.»

Drei Jahre und acht Monate Kampf

Der Mann hatte damals nicht übertrieben. Ganz im Gegenteil. Diese Erfahrung machte auch Rita Mustermann (Name von der Redaktion geändert), die nach drei Jahren und acht Monaten, während derer sie für die oben beschriebene Validierung regelrecht «kämpfen» musste, völlig entmutigt die Segel gestrichen hat.

Ihre Odyssee begann 2013. Nachdem Rita wegen eines Konkursverfahrens ihre Arbeit verlor und bei einer staatlichen Instanz einen neuen Arbeitsplatz fand, wurde sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihr Diplom («Commerce-secrétariat») aus dem Jahre 1979 nur noch als einen 12e-Abschluss anerkannt wird. Sie solle doch eine Validierung in die Wege leiten, um ihr Diplom als 13e (technisches Abitur) anerkannt zu bekommen.

Die Luxemburgerin begab sich gleich zum betreffenden Amt, wo man ihr zu verstehen gab, dass eine Validierung ihres Diploms nicht möglich sei. Die Beamten schlugen ihr das «Diplôme de fin d’études secondaires techniques (DEST), division administrative et commerciale, section communication et organisation (CO)» vor. Sie solle ihren Antrag in diese Richtung stellen.

Ein Spießrutenlauf

Am 29. Dezember 2014 reichte die Frau einen Antrag auf Zulassung ein. Fast drei Monate später, genauer gesagt am 12. März 2015, erhielt sie das «Okay». Sie könne nun ihre «Demande de validation sur le fond» einreichen» – mitsamt einem umfassenden Dossier über ihre Berufserfahrung. «Die VAE-Dienststelle hat mir damals auch administrative Hilfe angeboten», sagt Rita. Das Erstellen des Dossiers sei dermaßen zeitaufwendig und kompliziert gewesen, dass sie am 11. November 2015 die ihr angebotene Hilfe in Anspruch nehmen wollte. Fünf Tage später erhielt die Frau Post: In diesem Schreiben hieß es kurzerhand: «J’attire votre attention sur le fait que la législation actuelle prévoit que le ministère peut proposer une aide au candidat. Il n’y a pas une obligation.»

Funkstille herrschte dann bis zum 14. Dezember 2015. Rita Mustermann erfährt den Namen ihres «accompagnateur». Einen Monat später fand das erste von drei Treffen mit der Frau statt, die Rita fachmännisch zur Seite stehen sollte. «Leider hatte diese Frau nicht mehr Ahnung als ich und als ich ihr vorschlug, sie solle sich bei der zuständigen Stelle im Ministerium oder bei der ’Chambre des salariés‘ informieren, gab sie mir als Antwort, das würde keinen Sinn ergeben, denn sie selbst würde ebenso wenig Informationen von dort erhalten wie ich.» Aufgrund dessen hat Rita Mustermann ihr über 300 Seiten umfassendes Dossier nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Eingereicht wurde es am 28. Juli 2016. Fünf Monate später erhält die Antragstellerin endlich eine Antwort. Ihr Dossier erlaube höchstens eine «validation partielle». Sie müsse ihr Wissen in vier Fächern («économie politique, économie de gestion, connaissance du monde contemporain, allemand et anglais») unter Beweis stellen.

Kein Treffen mit Bildungsminister Meisch

Am 18. Januar 2017 bittet die Frau um ein Treffen mit Unterrichtsminister Claude Meisch. Sie wollte von oberster Stelle Erklärungen dazu haben, warum ihr Examen aus dem Jahr 1979, das in den drei offiziellen Landessprachen ablief, nun nur mehr teilweise anerkannt werden soll. Außerdem wollte sie wissen, nach welchen Kriterien ihr Dossier bewertet wurde.

Ihre Anfrage für ein Treffen mit dem Minister wurde aber an den Vorsitzenden der VAE-Kommission weitergeleitet. Es dauerte dann erneut ganze sechs Monate, bevor Rita Mustermann vor die genannte Kommission gerufen wurde. «Ich stellte während dieser Unterredung sehr schnell fest, dass die Kommissionsmitglieder mein Dossier gar nicht erst gelesen hatten. Ich hätte keine Erfahrung in Sachen ‚économie de gestion‘, so hieß es. Als ich sie auf die 15 Seiten meines Dossiers aufmerksam machte, auf denen es eben um dieses Fach geht, liefen sie alle rot an und verstummten.» Erbost über dieses, wie sie sagt, «absolut unprofessionelle Verhalten» habe sie den Raum verlassen.

«Alles falsch gelaufen»

Nach mehreren Anfragen für ein Treffen mit Minister Meisch erhält Rita Mustermann lediglich die Information aus dem Unterrichtsministerium, sie solle doch bitte eine Weiterbildung in Unternehmensgründung und einen Test in den Sprachen Deutsch und Englisch machen. «Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus», so die Frau heute. Sie musste weitere zwei Monate warten, bis ihr ein Treffen mit dem Ersten Regierungsrat im besagten Ministerium zugesagt wurde – am 11. Oktober 2017.

Am besagten Tag wurde der Frau dann erklärt, in ihrem Fall sei alles von vorn bis hinten falsch gelaufen. Sie würde andere Dokumente erhalten, damit sie ihren Antrag neu stellen könne. Sie solle doch nun bitte auf das «Diplôme de technicien, division administrative et commerciale, technicien en administration et commerce, section administration et commerce» zielen.

300 Seiten starkes Dossier in achtfacher Ausführung 

In den darauffolgenden Wochen schickte Rita Mustermann gleich zweimal ihr über 300 Seiten umfassendes Dossier (jedes Mal, wie gewünscht, in achtfacher Ausführung) an die Kommission, zahlte dabei sogar zweimal die Bearbeitungsgebühr von 25 Euro. Am 11. Dezember 2017 hat Rita Mustermann via Mail die Frage an die Verantwortlichen gestellt, wann ihr Dossier denn nun endlich von einer kompetenten Kommission bewertet werde. Bis heute wartet nicht nur die Frau auf eine Antwort, auch das Tageblatt erhielt keine Rückmeldung auf Fragen zu diesem Fall.

«Nach monatelanger Arbeit für das Zusammenstellen der Dossiers ohne irgendeine Hilfestellung, nach einer komplett falschen Orientierung seitens der zuständigen Beamten, nach einer Wartezeit von sage und schreibe drei Jahren und acht Monaten, nach unzähligen teilweise sehr peinlichen Behördengängen bin ich also nun wieder bei null angelangt?», fragt sich eine komplett entmutigte Rita Mustermann. Ihr Fall ist dann auch kein Einzelfall. Seit der Einführung dieses Verfahrens im Jahr 2010 haben rund 40 Prozent aller Antragsteller frühzeitig das Handtuch geworfen. Von den restlichen 60 Prozent hat lediglich ein Antragsteller von zehn eine Validierung erreicht. Diese Zahlen sprechen eigentlich für sich.

L.Marx
25. Oktober 2018 - 19.00

Dat et esou eppes wéi d'Unerkennung vu Beruffserfarung gläichwäerteg zu engem Diplom iwwerhaapt gëtt hu mer der EU zu verdanken. OP déi Iddi wier fräiwëlleg kee Lëtzebuerger Politiker komm. Dat d'Prozedur hei am Land esou schwéierfälleg ass, huet och a grad domat ze din. "Europa" huet mat der ganzer VAE-Geschicht iwwerhaapt näischt ze dinn.

Nomi
25. Oktober 2018 - 15.34

Den Amtsschimmel wiehert ! Et gei'f een mengen an deenen Verwaltungen wei'sten se net datt mer schon 70 Johr EUROPA hun !

L.Marx
25. Oktober 2018 - 14.26

Das VAE gibt es seit 2010 ...

CESHA
24. Oktober 2018 - 13.12

Diese Probleme werden sich wohl noch vervielfältigen, wenn man das Renteneintrittsalter noch weiter erhöhen wird und immer mehr Ältere in die Situation kommen, sich im Seniorenalter noch einen neuen Job suchen zu müssen. Das Ganze wäre lachhaft, wenn es nicht eher zum Weinen bzw. zum Kopfschütteln wäre. Trotz gegenteiliger Behauptungen scheint das Diplom noch immer mehr zu gelten als berufliche Erfahrung.

Pierre Wollscheid
24. Oktober 2018 - 11.36

Dann ass jo nemmen richtesch dat den H Minister Meisch net mei Bildungsminister geht an hin esou vill Stemmen verluer huet