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Luxemburger eröffnet Kunstgalerie in Trier: „Noch zu jung, um nichts zu tun“

Luxemburger eröffnet Kunstgalerie in Trier: „Noch zu jung, um nichts zu tun“

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Im November 2017 fand in der Trierer Neustraße ein kleines Ereignis statt: Die Galerie Netzwerk feierte mit einer Ausstellung der Malerin und Grafikerin Martina Diederich ihre Eröffnung. Seitdem hat sich einiges getan – das Leitungsteam ist gewachsen, der professionelle Anspruch gestiegen. Das Tageblatt hat sich mit den beiden Galeristen Marc Kalbusch und Bettina Ghasempoor über Kunst, den Standort Trier und die Zukunft unterhalten.

Von Tom Haas

Tageblatt: Wie kommt man auf die Idee, als Luxemburger in Trier eine Galerie zu eröffnen?

Marc Kalbusch: Früher hatten wir in Luxemburg einen Fotoverein und stets existierte der Wunsch, eine Fotogalerie zu eröffnen – aber dazu brauchte es die passenden Räumlichkeiten. Dieser Gedanke ließ mich nicht los. Außerdem liebe ich es, alte Häuser zu renovieren. Die Idee einer Galerie, obwohl schon seit 30 Jahren vorhanden, war beim Kauf des Hauses, in dem wir nun leben, gar nicht die unmittelbare Absicht. Es hat sich einfach ergeben, die Ladenfläche war anfangs vermietet. Vor einem Jahr waren hier in der Neustraße dann plötzlich fast 20 Läden nicht belegt. Da kam schließlich die Frage auf, ob ich das Ladenlokal nun unter Wert an eine Person, die ich vielleicht gar nicht mag, vermiete oder selbst versuche, etwas eigenes zu machen.

Die Standortwahl verlief also eher zufällig?

M.K.: Nicht ganz – ich habe das Haus ja auch nicht aus Zufall gekauft. Die Idee war immer, sich eine Vielfalt von Möglichkeiten offen zu halten. Die Zeit sollte zeigen, was sich ergibt. Letztlich wollte ich auch herausfinden, was hier überhaupt funktioniert und dazu noch Spaß macht.
Bettina Ghasempoor: Marc hat aber auch das Bedürfnis gehabt, etwas zurückzugeben.

Was meinen Sie genau damit?

M.K.: Ich bin ja jetzt 60 Jahre alt und stehe kurz vor der Rente. Und mit 60 ist man einfach noch zu jung, um zu sagen, «jetzt mach ich nichts mehr» oder «ich reise nur noch». Viel eher ist es der Moment, in dem man sich fragt: «Was kann ich der Gesellschaft zurückgeben?»

Welche Rolle spielt Trier bei dieser Frage?

M.K.: Das Schöne an Trier ist, dass man sich einerseits wunderbar über die Stadt aufregen kann, man aber hier vielleicht auch mit weniger Aufwand etwas mehr bewegen kann. In Luxemburg wäre dieses Projekt alleine von den Mietpreisen her nicht möglich gewesen. Das ist auch ein Standortvorteil.

Wie wird die Galerie in Trier angenommen? Erreicht sie ihr Publikum?

M.K.: Es geht uns wie allen Galerien weltweit – auf eine tolle Vernissage mit 70, 80 Leuten folgt die Flaute. Wir haben jetzt noch das Glück, dass wir die Türen weit aufmachen können und auch Laufkundschaft haben, aber ein Stammpublikum in dem Sinne haben wir noch nicht.
B.G.: Oft existiert eine Hemmschwelle, weil die Menschen denken, sie müssten etwas kaufen. Wenn ich Zeit habe, bin ich auch im Vorraum der Galerie und spreche sie an. So entwickeln sich tolle Gespräche.
M.K.: Bettina sagt immer, man solle nicht negativ sein. (lacht) Aber für die Lage der Galerie haben wir nicht genug Besucher. Ich bin der Meinung, solche Räume müssen belebt sein, da reichen keine vier Leute an einem Tag. Wir üben in der Hinsicht Selbstkritik und überlegen auch, ob wir vielleicht im Sommer ein kleines Kulturcafé eröffnen.

Welche Form der Kunst fördern Sie als Galerie?

M.K.: Ich finde, dass unsere Gesellschaft sich in vielen Bereichen irgendwie zurückbewegt – zum Beispiel in Bezug auf Freiheit, Aufgeklärtheit und Modernität. Das sieht man zum Beispiel hier am Theater, man kehrt zurück zu altbekannten Schemata.
Das hat sehr viel mit einer verunsicherten Gesellschaft zu tun. Gerade die Jugendlichen, die 25- bis 30-Jährigen wollen wieder ihr Häuschen im Grünen mit Familie und Hund. Das Stichwort lautet Abschottung, «Cocooning».
Aber das geht nicht mehr, wir brauchen komplett neue, radikal andere Konzepte und Vorgehensweisen. Wir brauchen eine aufgeklärte, tolerante, flexible Gesellschaft, die bereit ist, sich auf Neues einzulassen – gerade in Zeiten, wie wir sie jetzt haben. Und die Kunst muss sich auf den wackeligen Grund wagen und fragen: «Was passiert hier? Ist das, was heute gilt, auch morgen noch gültig?»
Das sind die wichtigen Fragen für uns und deshalb zeigen wir auch Kunst in unserer Galerie, die nicht jedem gefällt. Die übrigens auch uns nicht immer zu hundert Prozent «gefällt».
Jede Ausstellung hier sollte für den Künstler eine Herausforderung sein. Wir arbeiten eng mit ihnen zusammen und agieren unterstützend bei der Entwicklung.

Der Name Netzwerk beinhaltet nicht nur einen Raum für Ausstellungen, sondern auch soziale Interaktion, also ein Miteinander. Wie äußert sich das?

M.K.: Für mich ist alles, was für eine Gemeinschaft von Interesse ist, also Urbanität, Soziales und Ähnliches, auch würdig, hier behandelt zu werden – natürlich unter einem künstlerischen Gesichtspunkt. Aber wir reduzieren uns nicht auf bildende Kunst. Wir sind offen und gehen auch auf die Jugend zu.
B.G.: Wir arbeiten beispielsweise mit Studenten zusammen, die Räume für die Präsentation ihrer Projekte, etwa ihre Bachelor-Arbeit, suchen. Für uns ist es spannend, wie die Leute die Räume hier nutzen – und auch, welche Gruppen sich dadurch mobilisieren lassen. Wir bewegen uns zwischen alledem und helfen, wo wir können – und haben natürlich ebenfalls sehr viel Spaß dabei.