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Der impulsive Warmblüter: Antti Rinne sucht Partner

Der impulsive Warmblüter: Antti Rinne sucht Partner

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Mit dem zum linken Parteiflügel gehörenden Antti Rinne ist Finnlands Sozialdemokraten am Sonntag der erste Parlamentswahlsieg seit 20 Jahren gelungen. Nun muss der Ex-Gewerkschaftschef Partner finden.

Von unserem Korrespondenten André Anwar

„Das erste Mal seit 1999 sind wir Finnlands größte Partei!“, rief Antti Rinne den jubelnden Genossen auf der Wahlparty in Helsinki zu und erklärte sich zum Gewinner der Parlamentswahlen. Knapper als mit 17,7 Prozent und 40 der insgesamt 200 Sitze hätte er kaum siegen können. Um ein Haar verfehlten sowohl die rechtspopulistischen „Wahren Finnen“, auch „Basisfinnen“ genannt, mit 17,5 als auch die rechtsliberale Sammlungspartei (17 Prozent) den Spitzenplatz.

Hauchdünne Siege sind in Finnlands Geschichte allerdings keine Seltenheit, weiß auch Rinne, der versprach, binnen eines Monats, also vor den EU-Wahlen, eine über vier Jahre tragfähige Regierung zusammenzuzimmern. In Finnland regieren traditionell zwei der drei großen Parteien Sozialdemokraten (SDP), Zentrum und Sammlungspartei, während die dritte Partei, in diesem Fall das abgewählte Zentrum vom marktliberalen Ex-Premier Juha Sipilä, in die Opposition geht.

Rinne ist 56 Jahre alt, sein Juraexamen legte er in Rekordzeit ab. Er ist bereits zum dritten Mal verheiratet und hat zwei Kinder und Enkelkinder. Als Chef mehrerer großer Gewerkschaften griff er gern zum Streik als Verhandlungsmethode. Ein bisschen ist er Finnlands etwas burschikosere Version eines Bernie Sanders. „Die Sozialdemokraten müssen wieder eine Linkspartei sein, eine Partei, die gesellschaftliche Veränderungen vorantreibt“, sagte er im Wahlkampf.

Als Arbeitnehmervertreter hat er sich bei Arbeitgebern den Ruf eines „gangsterhaft“ harten Verhandlungsgegners eingebracht. Letztere stöhnten, als der zum linken Flügel der Sozialdemokraten gehörende Rinne 2014 seine verkappt rechtsliberal orientierte Vorgängerin, Ex-Finanzministerin Jutta Urpilainen, ausstach und als Minister für Finanzen walten durfte.

Den Wohlfahrtsstaat stärken

Rinne stehe der wirtschaftlichen Erholung des jahrelang kriselnden Landes entgegen, befürchteten marktliberale Kräfte. Doch in der Regierung fiel er nicht großartig auf.
In der Tat ist der in Helsinki aufgewachsene Spitzengenosse, der privat Klavier und Klarinette spielt, eigentlich ein Gegner von strenger angebotsorientierter Sparpolitik und Arbeitsmarktflexibilisierungen, die der seit 2015 amtierende, nun ausscheidende Premier Juha Sipilä seinem Land zur Überwindung der Wirtschaftskrise verordnet hatte.

Mehr als andere Länder litt Finnland an den Nachwirkungen der Finanzkrise 2008. Der weltgrößte Mobiltelefonhersteller Nokia ging unter, weil Topmanager den rechtzeitigen Anschluss an die Smartphone-Generation verschlafen hatten.

Die Holz- und Papierindustrie galt lange als Rückgrat Finnlands. Doch Digitalisierung und zunehmende Konkurrenz aus Asien haben die Papierindustrie auf ein Drittel zusammenschrumpfen lassen. Auch die dritte wichtige Säule Finnlands, die Metall- und Maschinenbauindustrie, kränkelte. Zudem hatten Sanktionen gegen Russland, das nach Deutschland und Schweden Finnlands drittwichtigster Handelspartner ist, der Exportindustrie schwer zu schaffen gemacht. Heute ist Finnland aus der Krise heraus, auch dank dem Sparkurs Sipiläs, der Staatsschulden abbauen konnte. Auf Kosten der einfachen Leute, behauptete Rinne im Wahlkampf.

Rinne steht für das Gegenteil, für nachfrageorientierte Politik, mehr Staat, Privatisierungs- und Kürzungsstopp im sozial- und Gesundheitswesen. Er kündigte höhere Steuern an, etwa für Kapitalgewinne, aber auch Endverbraucher. „Wir müssen unseren Wohlfahrtsstaat wieder stärken und dafür brauchen wir Geld“, sagte er kürzlich. Allerdings ergänzte er auch: „Es ist schwer, in der heutigen, veränderlichen Welt noch in links und rechts zu denken.“

Elite mit Titanic verglichen

Rinne tritt immer wieder mal mit Äußerungen ins Fettnäpfchen. Er ist ein impulsiver, improvisierender Warmblüter mit Temperament, Direktheit und dem integrativem – manche würden sagen opportunistischen – Verlangen von mehreren Seiten gleichzeitig gemocht zu werden. Als Gewerkschaftschef beschimpfte er in der Wirtschaftskrise Finnlands Elite, die das sinkende Schiff Finnland, das er mit der Titanic verglich, nicht retten wolle. Denn dort werde nur an die eigene Haut gedacht: Niemand sei bereit, einen Teil seines Einkommens abzugeben, während die normalen Leute es tun. „Es ist genauso wie auf der Titanic. Die Rettungsboote sind vor allem für die feinen Leute da. Die gewöhnlichen Menschen werden ihrem Schicksal im kalten Wasser überlassen“, sagte er vor ein paar Jahren.

Auch hat er eine flüchtlingsfreundlichere Einwanderungspolitik angekündigt und ließ sich da nicht von den guten Umfragewerten der „Basisfinnen“ verunsichern, als sexuelle Übergriffe auf Finninnen durch Flüchtlinge zum Thema wurden. Rinne will, dass der Zuzug von Angehörigen erleichtert wird, die Maximalgrenze für humanitäre Flüchtlinge soll weg.

„Wir helfen Menschen, die Schutz brauchen»

Finnland leidet mehr als andere EU-Länder an der Überalterung der Gesellschaft und einer niedrigen Geburtenrate. „Wir helfen Menschen, die Schutz brauchen. Für eine solche Sache gibt es kein Dach. Es ist ein Kennzeichen für ein zivilisiertes Land, wenn wir uns um Menschen kümmern, die zu den schwächsten weltweit gehören“, erklärte Rinne im Wahlkampf. Entsprechend dürfte es schwer für ihn werden, nun die Unterstützung der einwanderungskritischen „Basisfinnen“ in Betracht zu ziehen. Die haben bereits in der Wahlnacht Kooperationsbereitschaft signalisiert.

Im konsensorientierten Finnland kann grundsätzlich jeder mit jedem. Vor der Wahl hatte Rinne, der ebenfalls mehr Geld in das Bildungswesen investieren, sowie für Arbeitslose und arme Rentner bereitstellen will, vor allem über ein Koalition mit den Grünen, der Linkspartei, aber auch dem bürgerlichen Sammlungspartei, die Rinnes Visionen deutlich abbremsen dürfte, geredet. Das könnte funktionieren.

Eine Regierungsbeteiligung mit attraktiven Ämtern liege den meisten finnische Parteien mehr am Herzen als ihr Parteibuch, meint der emeritierte Politikprofessor Göran Djupsund. Dafür täten sie „so ziemlich alles“, sagte er dem öffentlich-rechtlichen Sender Yle.