Learning by experiencing: Wie in Luxemburg politische Bildung kreativ gefördert werden kann

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Klimawandel, weltweite Migration, humanitäre Notlagen – globale Krisen kennzeichnen unsere Gegenwart. Ideologische Grabenkämpfe, die Trägheit der politisch Verantwortlichen und die Einflussmacht der Global Player verhindern oder verzögern dringend notwendige Entscheidungen und gefährden unsere Demokratie. Die Stärkung der Zivilgesellschaft, vor allem der Jugend, steht im Zentrum politischer Bildungsarbeit. Eine Tagung im eduPôle Walferdingen (25.-27. März) diskutierte deren Chancen und zeigte neue Wege auf.

Eines war klar erkennbar: Die Kooperationspartner verfolgen mit großem Engagement ein gemeinsames Ziel und sind sich im Wesentlichen einig: Das „Zentrum fir politesch Bildung“ Luxemburg, die Bundeszentrale für politische Bildung, das Saarländische Filmbüro und die Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung Niedersachsen wollen gemeinsam mit weiteren Partnern das Bewusstsein für Demokratie und politische Partizipation von Kindheit an fördern und setzen dafür auf den kreativen Einsatz filmischer Mittel.

Historische und zeitaktuelle Themen können durch Kurz-, Spiel- oder Dokumentarfilme attraktiv(er) gestaltet werden mit der Chance, „nachhaltige“ Lernerfolge mit Wirksamkeitseffekten zu begünstigen. Es wäre natürlich eine pädagogische Illusion, zu glauben, die bloße Präsentation eines Films zum Unterrichtsthema genüge, um erworbenes Wissen zu festigen. Der Umgang mit Bildbotschaften, die eigenständige Werke mit großem Interpretationsspielraum darstellen, erfordert andere didaktische Mittel als jener mit schriftsprachlichen Texten. Hier – so der einhellige Tenor – fehlt es noch an der Entsendung von Lehrkräften zu entsprechenden Fortbildungen.

Ansätze zu projektorientiertem Unterricht haben zwar Eingang in die Klassenzimmer gefunden, die zur Verfügung stehende Zeit ist jedoch eng begrenzt. Die Referent(inn)en konnten exemplarisch aufzeigen, welches Potenzial im Medium Film steckt. Auf der Basis von unterrichtlich vermitteltem Grundlagenwissen über den Nationalsozialismus kann etwa das Roadmovie „Der letzte Jolly Boy“ (D 2018), das der Regisseur und Produzent Hans-Erich Viet bei der Tagung präsentierte, durch seine Filmsprache und Machart affektiv wirken und emotional berühren, sodass sich neue Zugänge zu diesem schwierigen Thema eröffnen.

Der Nationalsozialismus und die Folgen

Das gilt vor allem, wenn der Protagonist des Films, der 97-jährige Holocaust-Überlebende Leon Schwarzbaum, vor Ort sein und mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen kann. Über seine Erfahrungen in der Bildungsarbeit mit dem internationalen Film- und Fernsehprojekt „Ashcan“ (L, B 2017) berichtete auch der belgische Regisseur Willy Perelsztejn. Sein Ziel ist die Erinnerungsarbeit, verknüpft mit der Frage der Behandlung von Kriegsverbrechern.

Der Film schließt mit Stilmitteln des Theaters eine historische Wissenslücke über das geheime NS-Kriegsgefangenenlager in Mondorf-les-Bains 1945 und fokussiert die Phase zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den Nürnberger Prozessen. Für Lehrkräfte ergeben sich hier zahlreiche Ansatzpunkte, mit ihrer Klasse die verschiedenen Ebenen und Themen des Films zu bearbeiten. „Bildungsturbo mit dem Mobiltelefon“: So lautete der Titel eines anderen Programmpunkts. Denn die Bildungsinstitutionen haben nicht nur professionelle Filmschaffende im Blick, auch Kinder und Jugendliche sollen ihre subjektiven Perspektiven auf gesellschaftspolitische und Umweltthemen filmisch umsetzen können.

Das Projekt „Youth4planet“, das der Filmproduzent und Regisseur Jörg Altekruse 2015 ins Leben gerufen hat, wird mit Unterstützung des Umweltministeriums an Luxemburger Schulen sowie im non-formalen Bildungsbereich etabliert. Im Hinblick auf die Agenda 2030, auf deren 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung sich 193 Staaten, darunter auch Luxemburg, geeinigt haben, entwerfen Kinder und Jugendliche ihre Ideen zu Verkehr, Luft und Boden, Plastikmüll, Bienensterben, fairem Handel. Sie initiieren eigene Projekte, die sie mit der Smartphone-Kamera dokumentieren, wobei sie die wichtigsten Schritte der Filmproduktion – von der Recherche über Storytelling und Drehbuchschreiben bis zur Postproduktion – durchlaufen.

Indem sie in einen Prozess für Veränderung eintreten, beispielsweise auf (Plastik-)Verpackungen verzichten zu wollen und dabei einen Unverpackt-Laden entdecken, erfahren sie ihre Selbstwirksamkeit, entgegen dem weit verbreiteten „Ich allein kann sowieso nichts ändern“.

Grund zur Hoffnung

Gegen diese resignative, gleichzeitig bequeme Haltung wandte sich auch Jean Feyder, ehemaliger Botschafter Luxemburgs, zuletzt bei den in Genf ansässigen internationalen Organisationen, jetzt Mitarbeiter bei verschiedenen NGOs und Buchautor. Die Diskrepanz zwischen erklärten globalen Zielen und dem Handeln der politischen Akteure ist für ihn Anlass genug, sich zu empören und Widerstand zu leisten. Die Bereitschaft der Luxemburger, sich zivilgesellschaftlich zu organisieren und für eine „andere Welt“ zu engagieren, schätzt er hoch ein. Aber auch hier sei noch manches, z.B. die ökologische Landwirtschaft, ausbaufähig.

Das äußerst dichte Programm der Tagung mit Vorträgen, Diskussionen, Filmpräsentationen – auch in der Cinémathèque – und die große Sachkompetenz der Beteiligten spiegelten die Varianz und Vielfalt möglicher Perspektiven auf Film- und politische Bildung im europäischen Kontext wider. Zur Unterstützung von Lehrkräften und anderen in der Bildungsarbeit Tätigen stehen die genannten Institutionen mit ausführlichen Materialien und Beratung zur Verfügung.

 

Von unserer Korrespondentin Martina Kaub