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Koalitionsvertrag auf dem Seziertisch: Sag, wie hältst du’s mit der Kultur?

Koalitionsvertrag auf dem Seziertisch: Sag, wie hältst du’s mit der Kultur?

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Dass die Lektüre von Koalitionsverträgen nicht unbedingt den höchsten Unterhaltungsfaktor impliziert, scheint aufgrund deren Form verständlich. Jedoch könnte man in derartige Verträge wenigstens den Ansatz eines Spannungsbogens einbauen, damit der Eindruck entsteht, dass auf Worte auch Taten folgen werden. Dass dem in Bezug auf den Kultursektor so sein wird, vermag das druckfrische Schriftstück noch nicht so recht zu vermitteln.

Falls irgendwann jemand dem Wahnwitz anheimfallen sollte, jenen Teil des neuen Koalitionsvertrags, der sich auf Kultur bezieht, verfilmen zu wollen, dann käme dabei definitiv kein Action-Film heraus. Die Schauspieler, deren Rollen über weite Strecken kaum definiert wären, hätten – hielte man sich haargenau an das Drehbuch – nämlich Schwierigkeiten, aktiv in Erscheinung zu treten. Und zwar weil endlos viele Vorhaben so vage formuliert sind, dass man kaum herauslesen kann, was denn nun passieren wird.

Nun könnte man einwerfen, dass Ellipsen und selbst erschriebene, raffinierte Spielräume zur halbwegs hohen Kunst der Koalitions-Literatur gehören, aber das lassen wir hier nicht gelten. Das gewählte Narrativ regt die Fantasie auf derart vielen Ebenen an, dass die praktische Umsetzung des Inhalts des Dokuments nach fünf Jahren ebenso gut in einer schwülstigen romantischen Komödie wie auch in einem postapokalyptischen Horrorstreifen resultieren könnte. Wo wir gerade beim Konjunktiv sind: Die Autorinnen und Autoren des Teil-Vertrags scheinen definitiv eine Vorliebe für diesen Tempus sowie den Futur und das Verb „sollen“ zu haben. Alle drei Beispiele dienen auf ihre eigene Art und Weise dazu, sich nicht allzu schnell und nicht allzu spezifisch auf etwas festnageln zu lassen.

Weder Fisch noch Fleisch

Highlights diesbezüglich sind beispielsweise die sagenumwobene „Promotion“, die zumindest für jene, die das Dokument verfasst haben, den Vorteil hat, dass der Begriff weder Fisch noch Fleisch ist, praktischerweise aber trotzdem Zuspruch vermittelt. Gegen diesen können sich Nörgler und Kritiker zumindest in einer ersten Instanz nicht erheben, denn wer kann sich schon darüber beschweren, dass der Schutz des Kulturerbes, grenzüberschreitende Kooperationen, junge Talente oder die Schaffung von Arbeitsräumen für Künstler gefördert werden sollen?

Wie diese Förderung jedoch genau aussieht, bleibt allzu häufig im Laufe der acht Seiten, die der Kultur gewidmet sind, offen. Demnach kann das Wort von einem nett gemeinten Schulterklopfer bis hin zu einem essenziellen finanziellen Zuschuss (ein Thema, das im neuen Vertrag keinen eigenen Unterpunkt mehr hat) so ziemlich alles (oder nichts) bedeuten.

Des Weiteren ist derart häufig von Analysen die Rede (u.a. in Bezug auf das aktuelle Bibliotheken-Gesetz), dass man sich fragen muss, ob bei dem ganzen Ge-Analysiere überhaupt noch Zeit für Praktisches bleiben wird. Wie bei vielen anderen Ministerien (denn der Begriff wird im gesamten Koalitionsvertrag so inflationär gebraucht, dass wir beim Nachzählen irgendwann kapituliert haben) fühlt man sich kurz dazu verleitet, diese „Recherchen“ mehr als Beschäftigungs- oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Angestellte des Staatsapparats denn als notwendigen Schritt zu interpretieren. Denn eigentlich liegen bereits zahlreiche Recherchen vor. Der rezent überarbeitete, mehr als 200 Seiten umfassende Kulturentwicklungsplan samt Anhängen stellt lediglich das aktuellste Beispiel hierfür dar.

Minus

Was im Gegensatz zu 2013 verschwunden ist, ist der Verweis und auch die Verpflichtung, sich an den sogenannten „pacte culturel“ zu halten, der von dem zivilgesellschaftlich organisierten Kollektiv „forum(s) culture(s)“ erstellt wurde. Hierbei handelt es sich um ein unterzeichnetes Abkommen zwischen der Zivilgesellschaft und sechs Parteien, das eine Vereinbarung für eine künftige nachhaltige Kulturpolitik beinhaltet. Man kann nicht behaupten, dass der Kulturentwicklungsplan diesen Pakt nun ersetzt, da es sich bei Letzterem um ein anders geartetes Schriftstück handelt, mit dem zudem keine festgeschriebenen Verpflichtungen einhergehen.

Plus

Die Brandmarkung durch das seit zwei Jahren bestehende, unfreiwillig zum Running Gag mutierte „Nation Branding“ macht auch vor der Kultur nicht halt. Und das, obwohl seit dem Bestehen dieses Konzepts wohl mehr luxemburgische Kulturschaffende es aufs Korn genommen haben, als dass sie sich tatsächlich dafür engagiert hätten, diesem patriotischen, gar nationalistischen Theater eine kulturelle Dimension zu verpassen.
Auch etwas Lokalkolorit (manch einer wird dies wahrscheinlich eher als Euphemismus für „regionale Bevorteilung“ verstehen) ist dem Plan für die nächsten fünf Jahre zu entnehmen. Das Kulturministerium sagt sich: „Ab in den Süden, dem potenziellen Erfolg hinterher“, und sagt der Entourage rund um die künftige Kulturhauptstadt Esch weiterhin Unterstützung zu.

Evergreens für das grüne Ministerium

So sicher wie der alljährliche Sturz des betrunkenen Butlers bei „Dinner for One“ ist auch die Erwähnung der Archive, des Kulturerbes sowie des Denkmalschutzes im Koalitionsvertrag. Nachdem es 2013 im Bezug auf Ersteres geheißen hatte: „La construction du nouveau bâtiment de la Bibliothèque nationale doit être mise en œuvre“, wird das Bauprojekt nun „finalisiert“. Dass die „culture d’archivage“ fortan in allen Ministerien gefördert werde, ist schlicht gelogen, da eine Sonderregelung für das Finanzministerium gilt, was wiederum die zeitnahe historische Aufarbeitung des Luxemburger Finanzplatzes unmöglich macht. Daher sollte wohl eher von „Unkultur“ der Archivierung gesprochen werden.

Bekanntermaßen ist industrielles Kulturerbe oftmals zäh und schwer kaputt zu kriegen. Daher überlebt es auch mehr als einen Koalitionsvertrag und wurde somit jetzt vom alten in das neue Dokument überführt. Zur Halle des „Soufflante“ gesellen sich noch die Differdinger Gaszentrale und das Terres-Rouges-Gelände. Ihnen lasse man eine „attention particulière“ zukommen, heißt es, was auch immer das in der Praxis zu heißen vermag.
Außer vielleicht dem ein oder anderen Gesellen aus der politischen Opposition scheinen sich eigentlich alle seit mehreren Jahren (und Koalitionsverträgen) darüber einig zu sein, dass Kinder durch Kultur in der Schule nicht allzu sehr zu Schaden kommen und kulturelle Aktivitäten den sozialen Zusammenhalt stärken können. Weil’s aber so schön ist und klingt, wird’s im Koalitionsvertrag für 2018-2023 noch einmal betont. Vielleicht auch, um wieder auf wohlwollende Förderung verweisen zu können. In diesem Fall für die „Kulturama“-Plattform, die bereits während der letzten Legislatur ins Leben gerufen wurde. (Im Rahmen dieses Projektes werden unterschiedlichste Künstler und Schulklassen zusammengeführt, damit Schüler mehr über künstlerische Berufe erfahren.)

Was bleibt (halbwegs) Konkretes übrig?

Im Koalitionsvertrag von 2013 hieß es, die Regierung plane, „des mécanismes performants pour accentuer la promotion des incitations fiscales“ zu studieren. Jetzt steht – wer hätte es gedacht – eine „étude sur les possibilités juridiques d’optimiser le régime fiscal (….) des artistes et entreprises culturelles“ ins Haus. (Für „Steueroptimierungen“ hat man in Luxemburg ja bekanntlich ein gutes Händchen.)

Vor fünf Jahren versprach die Regierung, wortwörtlich „alles“ in Bewegung zu setzen, „pour trouver des locaux appropriés aux artistes, notamment au niveau local“. Nun wird im neuen Koalitionsvertrag die Schaffung eines nicht näher definierten Ortes erwähnt, an dem Ateliers, ein Dokumentationszentrum, Veranstaltungsmöglichkeiten und Freizeiträume vereint werden sollen. Nicht gerade zurückhaltend wird dieses Luftschloss als potenzielles „Epizentrum der gesellschaftlichen und künstlerischen Entwicklung“ bezeichnet. Im darauffolgenden Abschnitt findet die hauptstädtische Villa Louvigny als Schaffensraum für Künstler Erwähnung. Ob in beiden Punkten dasselbe Gebäude gemeint ist oder doch ein neues Zentrum errichtet werden soll, lässt sich nicht klar herauslesen.

Hieß es 2013 noch: „Le gouvernement étudiera la possibilité de mise en place d’un bureau de promotion nationale et internationale unique“, so wiederholt sich dieser Punkt zwar erneut, erscheint jetzt jedoch bereits unter dem Arbeitstitel „L4C“ (Luxembourg for Culture). Die Form der auf den „assises culturelles“ viel diskutierten Förderstelle, die einer Art Exportbüro gleichkommt, ist indes noch nicht bestimmt, hier listet der Vertrag lediglich die Fragen auf, die man sich innerhalb von fünf Jahren zu beantworten erhofft.

Irgendwie. Irgendwo. Irgendwann.

Der Zugang zu den ersten Jahren des Musikunterrichts, also des sogenannten „Solfège“, wird kostenlos, jedoch wird nicht näher erörtert, was unter den „ersten Jahren“ zu verstehen ist. Ebenso wenig erfährt man im Rahmen der angekündigten Harmonisierung der Unkosten von Musikschulen, welche Aufbringungen damit explizit gemeint sind. Zu guter Letzt verrät die im Koalitionsvertrag verlautbarte „transparentere“ Konzeption von Finanzierungsbedingungen in Bezug auf Musikschulen – unpassend zum Thema – nicht, durch was die vorherige Intransparenz bedingt war und wie man ihr entgegenzutreten plant.

Nicht neu, vor fünf Jahren abgeschafft, aber scheinbar erneut eine Überlegung wert ist der „congé culturel“. Ebenfalls eine Reflektion wert scheint eine Art „kultureller Führerschein“, durch den sich Schüler die Teilnahme an kulturellen Aktivitäten zertifizieren lassen können, um nach ihrer schulischen Laufbahn Belege für ihre diesbezügliche Erfahrung zu haben. Auch das Angebot des „Bicherbus“, einer Bibliothek auf Rädern, die vor allem in jene Regionen des Landes fährt, in denen Dörfer nicht über eine eigene Bücherei verfügen, soll ausgeweitet werden. Irgendwie. Irgendwo. Irgendwann.

Abschließend bleibt noch, auf den geplanten „guichet unique“ zu verweisen, der Kulturschaffenden wie auch Kulturinstitutionen Marathonläufe zwischen unterschiedlichen Behörden ersparen soll, wenn sie Informationen oder administrative Hilfestellungen benötigen. Auch Subventionsgesuche sollen fortan an einem einzigen Ort eingereicht werden können.

Kleine Frau – was nun?

Was klar ist, ist, dass noch vieles unklar ist. Beispielsweise ist von einer „approche interministerielle“ die Rede, jedoch findet außer dem Bildungsministerium kein weiteres Ministerium Erwähnung.

Auch ist (noch) kein straighter Kurswechsel nach der Kulturpolitik des Trio infernal Nagel/Bettel/Arendt ersichtlich. Sieht man einmal davon ab, dass sich die neue Kulturministerin Sam Tanson gegenüber dem Luxemburger Wort kritisch zur Nationalgalerie, einem Projekt ihres Vorgängers, das kurz vor den Wahlen zumindest konzeptuelle Form annahm, geäußert hat. Sie erkennt zwar die Wichtigkeit des Dokumentationszentrums an, das hier eingerichtet werden soll, stellt jedoch passend zu ihrem Doppelmandat (Kultur/Wohnungsbau) die Schaffung von Wohnungen in der obersten Etage des Galerie-Gebäudes (ehemalige Nationalbibliothek) infrage.

Das Einzige, was definitiv als gesichert gelten darf, ist, dass Sie an dieser Stelle noch mehr als einmal Antworten auf die nun aufgeworfenen Fragen lesen können werden, den Fall gesetzt, Frau Tanson ist fähig und bereit, sie zu beantworten.

 

Lesen Sie zu diesem Thema auch den Kommentar von Anne Schaaf

ObiWan
21. Dezember 2018 - 19.15

Ich wohne hier in einem Dorf im Süden, dass bei Esch 2022 mitmachen will. Die neue csv/dei greng Regierung hat als erste Maßnahme das Aufstellen eines Masterplans mit der Bevölkerung ins Leben gerufen. Da gab es auch einen Projektbereich Kultur. Schöne Vorschläge wurden gemacht; von Probenräumen für junge Bands, über ein Sprachencafé bis hin zu der Idee allen lokalen Vereinen einen gemeinsamen zentralen Ort zu geben, an dem sie sich den Bewohnern präsentieren können. Und jetzt raten Sie was passiert ist? In der finalen Beratung zum Masterplan kam das Wort Kultur nicht mal mehr vor. Wahrscheinlich wird dann zu Esch 2022 auf dem Dorfplatz der Cirque de soleil gastieren oder Christo den Schöffenrat verhüllen. Ah Christo ist schon tot - schade.

roger wohlfart
20. Dezember 2018 - 17.24

Laut dem Sprachbrockhaus ist Kultur die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäusserungen der menschlichen Gesellschaft. Demnach ein weitgefächertes Gebiet. Wo beginnt sie und wo hört sie auf. Kulturminister Robert Krieps meinte seinerzeit, zur Kultur zähle das Dorftheater, die lokale Blaskapelle oder Gesangverein genau so gut wie die Stadtbühne, die Oper oder das Landesmuseum. Und rech hatte er. Bloss das heute die Kultur als eine Domäne in den höheren, abgehobenen Sphären der Kunst betrachtet wird.

Bananana
20. Dezember 2018 - 12.18

Danke für den Artikel aber die Kulturschaffenden haben eh die Schnauze voll. Alles wird subventioniert, nichts kommt von unten. (Bottom up? Bullshit! Das ist nicht gewollt!! Alle guten Arbeiten finden wenig Gehör und solange die Luxemburger Bevölkerung die Kultur als ein Kropf am Hals empfindet - was wohl durch dem sehr wenigen gesellschaftlichen Interesse zuzuschreiben ist - wird sich auch nichts ändern. Die Künstler können sich solange dem Empfinden nicht entledigen das sie der Pickel am Arsch der Gesellschaft sind.

Grober J-P.
20. Dezember 2018 - 10.42

Kultur, was ist das? War noch immer ein Stiefkind im Ländle.