Klangwelten: Von Doppelalben, Retro-Futurismus und Blumenstraßen

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Flowers by the street

LA DISPUTE – Panorama

La Dispute veröffentlichen mit „Panorama“ nicht nur das Post-Hardcore-Album des Jahres – sie emanzipieren ihr Klangbild via Jazz-Perkussion, Postrock-Ambiente und Bläsern so weit, dass sogar all denen, die eigentlich mit dem Genre nichts anfangen können, diese Platte uneingeschränkt zu empfehlen ist. Mit ihrer zweiten Platte „Wildlife“ (2011) veröffentlichten La Dispute eines dieser frühen Meisterwerke, die eine junge Band oftmals auf Lebzeiten hemmen, weil die Platte – meist ein Glücksgriff aus stürmischer Kreativität und Intuition – bei neuen Aufnahmen wie ein Damoklesschwert über ihr hängt. Denn kommt die Karriere erst mal ins Rollen, hat die Band oftmals nicht mehr die notwendige kreative Energie, um an die Qualität dieses Albums anzuknüpfen. Das folgende „Rooms Of The House“ (2014) wollte sperriger sein, um den Zuhörer nicht zu manipulativ den Emotionen, die „Wildlife“ auslöste, auszusetzen, der Platte fehlte es deswegen aber an Dringlichkeit und zündenden Ideen.

„Panorama“ ist voll mit großen Songs, klingt aber wie aus einem Guss, weswegen man die Platte eigentlich als Gesamtwerk von Anfang bis zum Ende hören sollte. Das atmosphärische „Rose Quartz“ leitet instrumental ein, bevor das Diptychon „Fulton Street I & II“ zeigt, wie meisterhaft La Dispute mittlerweile den Sprechgesang von Jordan Dreyer mit bestechender, grandios gemeisterter Instrumentierung verbinden.

Auf „Fulton Street I“ erzählt Dreyer sanft von Blumensträußen, die Straßenränder säumen, und man stellt sich nach den ersten Tönen auf eine Platte ein, die sich die richtigen Mittel gibt, um die angesprochenen Themen – die Liebe und der Tod, das bequeme Leben im Westen und die Empathie – zu vertonen. Im Chorus kurz ein Aufschrei, dann verstummt Dreyer, die Instrumente bäumen sich langsam wie in einem Song der japanischen Postrock-Band Mono auf, die Gitarrenstakkatos begleiten das Lied in ätherische Höhen, der Bass dröhnt immer unheilvoller, bis sich der Song dann wie ein Gewitter entlädt.

„Rhodonite and Grief“ hat elegante Riffs, Jazz-Instrumentierung, Rhodes-Synthies, todtraurige Texte („We keep her picture on the fridge / I keep a rabbit toy for kids / You gave me strength to fix myself / I gave you tokens / Toys and gifts / To help you grieve / (…) I don’t want to stay alive/ to watch the words go first like hers“), über die sich zittrige Bläser legen und ist vielleicht der beste La-Dispute-Song bisher. „Panorama“ ist eine Platte der Nuancen und des strukturierten Kontrollverlusts: Jeder Ausbruch, jeder Schrei ist sowohl semantisch legitimiert als auch im Song-Aufbau logisch verankert.

Man könnte hier noch ewig über die Nuancen in den Songstrukturen und Stimmungen (das atmosphärische „In Northern Michigan“, das rockige „Footsteps At The Pond“, die beiden wahnsinnig ergreifenden Closer) schreiben oder Dreyers ausgezeichnete Texte, die Bruchstellen in seiner Stimme sezieren. Man kann es aber auch bleiben lassen und dazu einladen, sich dieses zweite Meisterwerk der Band zuzulegen. Ob es nun besser als „Wildlife“ ist, ist eigentlich Nebensache.

Jeff Schinker

Rating: 9/10

Anspieltipps: Rhodonite & Grief, Filton Street I & II


 

Der Fluch des Doppelalbums

FOALS – Everything Not Saved Will Be Lost

Das neue Album der Foals begeistert Presse und Zuhörerschaft gleichermaßen. Dass um das durchwachsene Album ein solcher Hype gestrickt wird, zeugt aber eher vom langsamen Dahinscheiden eines Genres als von den realen Qualitäten einer ordentlichen, aber uninspirierten Scheibe.

Fast jede Band, die sich daran versucht hat, ist kläglich an dem Schreiben eines Doppelalbums gescheitert: „Stadium Arcadium“ von den Red Hot Chili Peppers war bspw. überlang und kann retrospektiv als Anfang vom Ende der kalifornischen Funkrocker gehandhabt werden. Radiohead legten sich cleverer an, veröffentlichten sie doch erst mal „Kid A“, bevor sie mit „Amnesiac“ Material aus den gleichen Studio-Sessions nachlieferten – und punkteten folglich mit zwei prägenden, revolutionären Platten. Die Briten um Thom Yorke dürfen wohl Pate gestanden haben für „Everything Not Saved Will Be Lost“, dessen Songs in diesem Jahr auf zwei Veröffentlichungen verteilt werden sollen – so hofft man wohl, die Zuhörerschaft nicht mit einem Übermaß an Material zu ermüden. Yannis Philippakis und Konsorten scheinen dabei aber nicht begriffen zu haben, dass das Hauptproblem bei Doppelalben ganz einfach die Gegebenheit ist, dass beim kreativen Schaffensprozess einer Band oftmals nicht ausreichend Qualitätsmaterial vorhanden ist, um zwei Scheiben zu füllen.

Denn auch wenn die Foals diese erste Hälfte ihres Projekts auf zehn Songs heruntergeschraubt haben, merkt man schnell, dass sich hier Füllmaterial angestaut hat. So ist „Exits“, eine der vorab veröffentlichten Singles, in die der vielversprechende Opener „Moonlight“ mündet, zwar kein schlechter Track – nur gehen diesem die Ideen nach knapp zwei Minuten aus, weswegen man nicht versteht, dass das Lied noch drei weitere Minuten dümpelt.

Das gleiche Problem beeinträchtigt die Qualität von „In Degrees“: Fängt der Song noch mit stampfendem Bass, Elektro-Synthies und mitreißendem Refrain an, wird einem hier auch wegen Überlänge schnell langweilig.

„White Onions“ erinnert an die tolle erste Scheibe „Antidotes“, „On The Luna“ ist mit knackigen Riffs und eleganter Leadgitarre ein ausgezeichneter, aber sehr typischer Foals-Song. Schlecht ist diese Platte eigentlich nie, nur fehlt es an Übersongs wie „Spanish Sahara“, „Cassius“ oder „What Went Down“– und erstmals gibt es auch keine Entwicklung des Bandklangs . Klar, „Syrups“ ist basslastiger als sonst, und hier und da flirren mehr Synthies („In Degrees“) – das war’s dann aber schon. Und das Experiment „Cafe d’Athens“ ist wegen schwammiger Songwritings entbehrlich. Schlimmer noch als die Megalomanie des Projekts ist folglich die Feststellung, dass den Foals gerade für dieses vermeintliche Opus magnum die Ideen ausgegangen sind – und sich die Band zu sehr im Kreis des eigenen Referenzhorizonts dreht.

Jeff Schinker

Rating: 6/10

Anspieltipps: White Onions, On The Luna, Sunday


Lichtdurchfluteter Retro-Futurismus

KAREN O & DANGER MOUSE – Lux Prima

Die Zusammenarbeit zwischen Karen O und Danger Mouse entpuppt sich als wunderbar gelungene Retro-Space-Rock-Scheibe, die zwischen eingängigen Hits und progressiven Klängen pendelt.

Danger Mouse (aka Brian Burton) gilt seit jeher als der Produzent, an den man sich wendet, wenn man in einen kreativen Engpass geraten ist – vor zwei Jahren unterzog Burton beispielsweise die Red Hot Chili Peppers einer Frischzellenkur, die (größtenteils) gelungen war. Dies bezahlt man bei Danger Mouse aber damit, dass der Produzent wie kaum ein anderer dem Klangbild der Band seine stilistischen Vorlieben aufdrückt und er oft in den kreativen Prozess verwickelt ist. Letztens tat er dies bei Portugal. The Man, deren Single „Feel It Still“ so ungemein catchy war, dass sie auf den Radiosendern massives Airplay bekam – und mittlerweile kaum einer mehr das Lied hören kann.

Seine eigenen, persönlicheren Projekte (wie das spacige „Dark Night Of The Soul“ oder das Broken-Bells-Projekt mit James Mercer von The Shins) hatte Danger Mouse in letzter Zeit etwas auf Eis gelegt.

Auch von Karen O – ihrerseits Sängerin der Yeah Yeah Yeahs, die im Gegensatz vieler Indie-Rockbands der 00er Jahre vor dem Fall in die Irrelevanz aufgehört haben – hörte man in den letzten Jahren eher wenig. Die Zusammenarbeit mit Danger Mouse reiht sich nahtlos in die Schaffenslogik von Burton ein – man erkennt seine Handschrift in den Synthies, den funkigen Bassläufen und dem Gespür für Songs, die sofort zünden, deren Produktion und Arrangements aber tiefgründig genug sind, um auf nach mehreren Durchläufen noch mit schöner Detailverliebtheit zu punkten („Turn The Light“, „Redeemer“).

Eingerahmt werden diese knackigen Pop-Songs, die mal an die Broken Bells, mal an die schwelgerisch-schönen Scifi-Platten von Air erinnern, vom ausufernden „Lux Prima“ und dem Closer „Nox Lumina“. Auf „Reveries“ fühlt man sich sogar kurz an Nancy Sinatras „Bang Bang“ – und folglich an Tarantinos Kill Bill – erinnert. Karen Os Gesang ist dabei, abgesehen von der Yeah-Yeah-Yeahs-Reminiszenz „Woman“, weniger rauborstig, die Amerikanerin legt dafür aber jede Menge Soul und Eleganz in diese Sammlung von neun Songs, die nur ganz selten („Drown“ säuft etwas ab) an Fahrt verliert.

Jeff Schinker

Rating: 8/10

Anspieltipps: Turn The Light, Redeemer, Leopard’s Tongue