Kaffeebohnen, Nylonstrümpfe und Zigarren – Als Schmuggler in der Großregion Hochkonjunktur hatten

Kaffeebohnen, Nylonstrümpfe und Zigarren – Als Schmuggler in der Großregion Hochkonjunktur hatten

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Eine Wanderung über den Perler Hammelsberg eröffnet unvergessliche Perspektiven. Vor allem dann, wenn «Kurben Klees» sie macht. Der Schmuggler weiß viel über das «Business», begehrte Waren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges über die Mosel zu bringen. Gleichzeitig ist es eine Entdeckungsreise in die Geschichte des Dreiländerecks zwischen Luxemburg, Frankreich und Deutschland.

Info

Die Wanderung über den Hammelsberg in Perl mit Kurben Klees kann über die Tourismusinformation Perl unter der Telefonnummer (0049) 6867 660 oder per E-Mail (info@perl-mosel.de) gebucht werden. Das Angebot gilt nur für Gruppen. Die Wanderung dauert etwa anderthalb Stunden und bleibt auf den Hammelsberg beschränkt.

Es ist der Herbst des Jahres 1951. Eine dunkel gekleidete Gestalt bahnt sich im Novembernebel den Weg über den Perler Hammelsberg gegenüber von Schengen. Weit unten blitzt das Wasser der Mosel ab und an zwischen den Ästen der kahlen Bäume durch. Der Weg ist schmal und kurvenreich, die Gestalt gerät immer wieder aus dem Blickfeld. Das ist Absicht. «Kurben Klees» will nicht gesehen werden. Er ist unterwegs ins französische Contz-les-Bains. Dann wird er den Weg durch die Weinberge nach Schengen nehmen, um einzukaufen.

Kaffee, Nylonstrümpfe, warme Damenmieder oder Zigaretten, alles Luxuswaren, die im Saarland damals – so kurz nach dem Krieg – unerschwinglich oder gar nicht zu haben sind. Um Bauch, Oberschenkel und Wade gebunden schmuggelt er die Waren über den gleichen Weg unverzollt zurück nach Hause. Am Körper werden die Zöllner als Letztes suchen, sollten sie ihn erwischen. «Kurben Klees» kennt sein Metier, er schmuggelt schon lange, daher der Name. Den Spitznamen «Kurben», angelehnt an das luxemburgische Wort «Kueben» für Krähen, hat er weg, weil er gut darin ist. Helfen wird ihm niemand, wenn er auffliegt. Beliebt sind die Saarländer zu der Zeit nicht.

«Oh Elend»

«Heckenfranzosen» oder «Rucksackdeutsche» waren noch die geringsten Beleidigungen für das Völkchen an der Saar, das mehr als ein Mal zwischen Deutschland und Frankreich hin und her geschoben wird. Wegen der Kohle- und Stahlindustrie ist das Gebiet ein begehrter «Joker», wenn es um Reparationen geht. Pech für die Bewohner. 1951 gehört es gerade wieder zu Frankreich, dessen Verwaltung dem Neuzugang die Buchstabenkombination «OE» als Kennzeichen zugeteilt hatte. In der Bundesrepublik hieß es deswegen gerne: «Oh Elend, die Saarländer kommen». Auch «Kurben» hat mit seinen 51 Jahren bereits vier Mal die Nationalität gewechselt und ist auf eine andere Währung umgestiegen.

Einen aber sieht man auf der anderen Seite der Mosel gerne: Johannes Hoffmann, Politiker der Christlichen Volkspartei (CVP) und damals Ministerpräsident des Saarlandes. Der passionierte Zigarrenraucher reist oft nach Remich, um sich dort mit dem Genussmittel einzudecken.

Die Luxemburger mögen «Joho». Der Volksmund übernimmt das Kürzel, mit dem der Ex-Journalist seine Artikel zeichnet, in denen er sich als erklärter Nazigegner in seiner Position als Chefredakteur der Saarbrücker Landeszeitung einen Namen macht. Als Politiker verfolgt er gerade das Ziel, für das Saarland ein Ende der französischen Besatzung zu erreichen. Seit 1948 ist es Teil der 6. Militärregion Frankreichs. Er will die Unabhängigkeit für das kleine Land, das seit 1950 einen eigenen Sitz im Europarat hat und Standort der europäischen Institutionen werden soll. Der «Vater Europas», wie Robert Schuman, der Politiker mit den luxemburgischen Wurzeln, genannt wird, würdigt den CVP-Politiker später als einen, der «sich trotz der Schwierigkeiten, trotz der Unpopularität dieser Aufgabe gewidmet» hat.

Schiefgegangen

Männer wie «Kurben Klees» haben andere Sorgen. Frau und Kinder bangen viele Nächte darum, dass er wieder nach Hause kommt. Zurück im Saarland, hat er viel zu erzählen. Von seiner Tante «Gretchen», die am Tag zuvor die in schmale Plastiktüten verpackten, unter dem Rock und am Oberschenkel angebundenen Kaffeebohnen auf dem Weg zurück Bohne um Bohne verliert. Keine Einzige schafft den Weg nach «drüben». «In Luxemburg ist Kaffee viel billiger und immer zu haben», sagt «Kurben» achselzuckend.

Ungefährlich ist die Sache nie. Schmuggler müssen über den Fluss. Luxemburg ist Hauptumschlagplatz für die Schmuggelware. Da ist es fast schon ein Geschenk, wenn die Mosel Niedrigwasser führt wie im Sommer 1947. «Da sind wir bis zum Hals im Wasser stehend ans andere Ufer gewatet und haben uns die Waren über den Kopf gehalten», erzählt «Kurben». Zwei Jahre später ist sie im Winter zugefroren, auch er nutzt das Eis, um «rüberzumachen». «Das war noch gefährlicher», sagt der Schmuggel-Profi.

Nichts ist selbstverständlich zu dieser Zeit. Sogar ein schickes «Berret», damals der letzte Schrei, konnte, in Remich gekauft, schlaflose Nächte auslösen. Seiner Tante Marie passiert das. Sie verzollt die Mütze nicht (von was auch?), gibt sie nicht an, trägt sie einfach auf dem Kopf. Ein Zöllner fotografiert die junge Frau, lässt sie aber gehen. Tage schrecklicher Angst, sie werde nun bestraft, folgen. «Dabei wollte der Zöllner nur mit ihr ausgehen», lacht «Kurben», das Schlitzohr, «deshalb das Foto». Andere schmuggeln im «Zwiebellook» übereinander gezogene neu erstandene Kleidung über die Grenze.

Die WM steht an

Bei jedem Schritt wiegt der lange schwarze Mantel um seine Beine. «Klees» kennt jede Baumwurzel, jede Biegung, alle Verstecke, geht wachsam und konzentriert Schritt für Schritt. Die fantastischen Ausblicke auf das französische Apach und luxemburgische Schengen lässt er links liegen. Er muss vorsichtig sein.

Hier und da hat das Schmuggeln auch Liebesgeschichten beeinträchtigt. Wie bei dem Luxemburger aus Bech-Kleinmacher, der seiner Liebsten in Nennig, auf der anderen Seite der Mosel, mit Pralinen eine Freude machen will. Die Zöllner verweigern ihm die Einfuhr der Süßigkeiten. «Da hat er voller Wut die Packung auf der Brücke aufgerissen, alle aufgegessen und dann dem Beamten im Weitergehen Richtung Saarland gesagt: ‚Und sie gehen doch rüber.‘» Der Triumph des kleinen Mannes über die große Politik.

1954 erreicht «Joho», dass das Saarland faktisch ein unabhängiger Staat ist. Das «Saarstatut ist in Kraft – eine Idee von Robert Schuman. «Kurben» kümmert das wenig. Er hat andere Interessen. 1954 steht die Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz an und das Saarland hat seit einem Jahr eine eigene Nationalmannschaft. «Die WM hat die deutsche Nationalmannschaft nur gewonnen, weil unsere zweimal verloren hat», behauptet er.

So, wie er das erzählt, klingen die Niederlagen fast schon nach «Gewinnenlassen». «Das war das «Ticket» für das «Wunder von Bern», geht die Version von «Kurben», der sich an einer Schutzhütte einen «Selbstgebrannten» einschenkt, weiter. Die Fruchtschnäpse als Gegenmittel für Aufregungen aller Art gibt es schon immer auf beiden Seiten des Flusses. Auch der «Schmuggel» hat sich bis heute gehalten. Wenn auch in anderer Form.


Fußball und die WM 1954

Das damals autonome Saarland hatte bis 1956 eine eigene Nationalmannschaft und war in dieser Zeit eigenständiges Mitglied des Weltfußballverbandes FIFA. Für die Qualifikation zur Weltmeisterschaft muss die deutsche Nationalmannschaft zweimal gegen das Saarland antreten.

Das erste Spiel geht in Stuttgart mit 0:3 verloren, im Rückspiel unterliegt man im Ludwigsparkstadion in Saarbrücken mit 1:3. Bundeskanzler Adenauer besteht damals darauf, dass das Saarland keine eigene Nationalhymne abspielen darf, erzählt «Klees».


Noch eine Geschichte …

Am 23. Oktober 1955 stimmt die Mehrheit (67 Prozent) der Saarländer für den Anschluss an die Bundesrepublik. Noch in derselben Nacht tritt die Regierung von Johannes Hoffmann geschlossen zurück. In dem am 27. Oktober 1956 geschlossenen Luxemburger Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich stimmt Frankreich der Rückgliederung des Saarlandes zu.

Als Gegenleistung werden Frankreich umfangreiche Kohlelieferungen und der Ausbau der Mosel als Wasserstraße zugesichert. Das war der Startschuss für die Pläne zu ihrer Kanalisierung. Die am 6. Juli 1959 im Saarland eingeführte Deutsche Mark besiegelte den Anschluss als damals zehntes Bundesland. Der erste Grenzstein (Foto) wird erst 1969 auf dem Hammelsberg aufgestellt. Da war man dann wohl sicher, dass sich an der Grenze zwischen Frankreich (links) und Deutschland (rechts) so schnell nichts mehr ändern würde.


„Kurben Klees“ alias …

Im wirklichen Leben heißt der Schmuggler Gerd Schmitt. Er ist so alt wie der Schmuggler und gelernter Krankenpfleger. Er ist Saarländer, wohnt in einem Ortsteil von Merzig und arbeitet Geschichten auf, die die Gemeinde Perl gesammelt hat. Es sind Geschichten, die noch lebende Zeitzeugen über die damalige Zeit dies- und jenseits der Grenze erzählen. Die handelnden Personen, besonders die Tanten, sind wie «Kurben Klees» auch frei erfunden.