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Ist Krieg tanzbar? Anne-Mareike Hess entwirft ihren eigenen „Warrior“

Ist Krieg tanzbar? Anne-Mareike Hess entwirft ihren eigenen „Warrior“

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Der Kriegstanz als Mittel zur Vorbereitung von Auseinandersetzungen hat beispielsweise beim Urvolk der Māori in Neuseeland eine lange Tradition. Wie sieht es jedoch hier, am mittlerweile kriegsunerprobten, aber nicht gerade konfliktarmen anderen Ende der Welt aus? Diese Frage hat sich die Choreografin und Tänzerin Anne-Mareike Hess gestellt und ist auf spannende Antworten gestoßen.

Als Jean-Claude Juncker 2006 den Karlspreis für sein Engagement für Europa erhielt, sprach er in seiner Rede unter anderem von jener Generation junger Menschen, die seiner Auffassung nach immer «schwerhöriger» werden in Bezug auf den Friedensdiskurs. Es war nicht das erste, aber auch nicht das letzte Mal, dass Juncker zu bedenken gab, dass diejenigen, die noch weitgreifende Kriege in Europa miterlebt haben, langsam, aber sicher verschwinden und ihre Aussagen zu verklingen drohen, wenn man nicht richtig hinhört.

Gerade im wohlbehüteten und scheinbar sicheren Luxemburg stellt Krieg tatsächlich nicht unbedingt das Gesprächsthema Nummer eins bei Kindern und Jugendlichen dar. Auch das Bild des modernen Kriegers hat sich verändert, wie Anne-Mareike Hess bei einem Workshop zu ihrer neusten Kreation «Warrior» feststellen durfte. Sie fragte Schüler des «Lycée technique des arts et métiers», welche Sorte Krieger sie ihrer eigenen Auffassung nach sind. «Viele hatten das Gefühl, zu ‚Alltagskriegern‘ werden zu müssen, da der Umgang mit dem Alltäglichen es ihnen abverlange, zu kämpfen», schildert Hess die Gespräche, in denen es unter anderem um Phänomene wie Body-Shaming und Mobbing ging.

In der Kriegszone

Interessant ist hierbei, dass wir uns in Luxemburg zwar definitiv nicht in einer Kriegszone befinden, dies jedoch nicht bedeutet, dass nicht trotzdem Ängste geschürt werden, die viele belasten und beschäftigen.»

Damit die Choreografin und Tänzerin ihr neues Stück entwickeln konnte, musste sie sich selbst mit den Fragen konfrontieren, die sie den Schülern gestellt hatte. Es musste zum Beispiel geklärt werden, ob Anne-Mareike Hess eine Nation, für die sie eintreten, und eine andere, gegen die sie sich stellen konnte, brauchen würde. In diesem Kontext entschied sie sich indes für eine andere, nicht weniger harte Alternative: «Die Gegnerin bin ich selbst, und zwar auf mehreren Ebenen. Es geht um eine Person, die sich dazu entscheidet, in den Kampf zu ziehen. Zuvor muss sie aber verschiedene Vorbereitungsetappen durchlaufen, welche sie vor größere Herausforderungen stellen.»

Zündstoff

«Ich bin kein wütender Mensch, wie sollte ich dieses Gefühl also generieren?»

Eine der Challenges, vor denen sie stand, war diejenige, Zorn in sich selbst zu mobilisieren: «Ich bin kein wütender Mensch, wie sollte ich dieses Gefühl also generieren? Ich musste herausfinden, wo dieses Gefühl in mir sitzt oder wie ich es produzieren kann. Es war ebenfalls schnell klar, dass ich meine eigene Stimme finden musste, um sie erheben zu können.» Hierfür arbeitete sie über einen längeren Zeitraum intensiv mit einem Vocal-Coach zusammen. Dass beim zeitgenössischen Tanz auch Stimmbänder gedehnt werden, ist nicht neu. Jedoch hat man es nach wie vor mit einem Bereich zu tun, in dem von Künstlerinnen und Künstlern – auch jenseits der Bühne – eher das Gegenteil erwartet wird. «In Bezug auf meine Ausbildung habe ich eine sehr klassische Bahn durchlaufen. Da wurde nicht selten vermittelt, dass man besser den Mund hält. Manche rieten mir gar, lieber nicht zu viel nachzudenken, da dies mich angeblich beim Tanzen behindern könnte», so Anne-Mareike Hess.

Wer die bisherigen Arbeiten der luxemburgischen Künstlerin kennt, weiß, dass sie diesem Rat nicht gefolgt ist. Ihren intensiven Recherchen vor neuen Kreationen gehen häufig außergewöhnliche und innovative Fragestellungen voraus, welche auch das Publikum nicht unberührt zurücklassen. Bei den Reflexionen über Kriege und Krieger stellte sich zügig heraus, dass diese nicht verschwinden, sondern sich ihre Form lediglich verändert: «Ich habe mich gefragt, was das für eine Entwicklung ist und ob wir das wirklich als Gesellschaft verantworten können. Rasch stand fest, dass ich irgendwie Hoffnung in die aktuellen Diskussionen mit einbringen möchte. Dem Hinterfragen sollte es außerdem nicht an einer Prise Humor und Ironie fehlen.»

Der Entstehungsprozess vollzog sich über zwei Jahre und implizierte Künstlerresidenzen in Schweden, Portugal sowie Australien, also Orte mit einer eigenen kriegerischen Geschichte. «Auf der Suche nach meinem inneren Krieger kamen immer mehr Elemente zusammen, die in anderen Kulturen schon über lange Zeiträume benutzt werden. Die Frage war stets, wie ich meinen ‚Kriegertanz‘ definieren möchte. Natürlich ist dieser nicht frei von Referenzen. Mir war wichtig, überall hinzuschauen, um später herausfiltern zu können, was davon zu mir gehört.»

Geschlecht des Krieges

Der preußische Militärethiker Carl von Clausewitz sprach einst davon, dass Krieg nur «eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln» sei. So wundert es nicht, dass die Choreografin bei der Suche nach einer für sie geeigneten (Körper-)Sprache auf menschgewordene Stereotype wie Trump oder Putin stieß: «Die Politik ist voll von kriegerischer Rhetorik und Selbstdarstellung. Man denke nur an das Bild von Putin, wie er oben ohne auf dem Pferd posiert. Bei Trump haben wir es eher mit einer Art ’business warrior‘ zu tun.»

Dass hier nun lediglich Männer genannt werden, bedeutet keinesfalls, dass Hess Krieg ausschließlich mit dem männlichen Geschlecht in Verbindung bringt: «Ich bin froh, dass wir mit ’Warrior‘ einen englischen Titel gewählt haben, durch den es zweideutiger bleibt, ob der kämpfende Mensch nun männlich oder weiblich ist. In Gesprächen über das Projekt fällt mir trotzdem auf, dass ich oft von einer Kriegerin spreche, da ich selbst nun mal eine Frau bin.»

Auf ihr Frausein, sei sie aufgrund der politischen Aktualität zu Beginn des Projekts nochmals anders gestoßen worden, fährt Anne-Mareike Hess fort: «Der Start fiel fast genau auf den Zeitpunkt von Trumps Wahlsieg sowie des ‹Women’s March› (Anm. der Red.: Protestmarsch von Frauen gegen den offen misogynen Präsidenten). Ich stand vor der Frage, wie ich als Mensch und als Frau Position dazu beziehen wollte und könnte.»

Kampf gegen sich selbst

Diese bezog sie nicht nur geistig, sondern auch physisch und bedient sich nun einer Körpersprache, die ebenso verschiedenen Kulturen wie letztlich auch Sportarten entlehnt ist. «Es scheint fast so, als gäben Fitnessstudios und Kampfsportarten dem modernen Menschen eine Möglichkeit, seinen Kampf gegen sich selbst zu führen», erklärt die luxemburgische Choreografin. Zum anderen tauchen Bewegungen auf, die manche heutzutage eher mit einem männlichen Habitus in Verbindung bringen würden, die aber, wie Hess erklärt, nicht am Geschlecht festzumachen sind: «Vor dem Kampf muss beispielsweise die Bodenhaftung gewährleistet sein. Dass man tief und breitbeinig in die Knie geht, macht Sinn, da man dann schlicht und ergreifend stabiler steht.»

Die von der luxemburgischen Kostümbildnerin entworfene Kriegsbekleidung stellt eine bemerkenswerte Antithese zu schweren, panzerartigen Rüstungen dar. Sie erlaubt der Tänzerin einen großen Bewegungsspielraum. Des Weiteren wirkt es durch die weichen Materialien so, als würde nicht nur eine Person tanzen, sondern jedes Element des Kostüms wird zu einem weiteren Tanzpartner.

Ob Anne-Mareike Hess’ Krieger(in) nun zum Schluss im Kampf sterben wird, lässt sie offen: «Es stellt sich eher die Frage, ob der ,warrior‘ überhaupt in den Krieg ziehen wird oder vielleicht doch schon über dieses Stadium hinaus ist.»