In 100 Tagen ist die Europawahl – deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf

In 100 Tagen ist die Europawahl – deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf

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In 100 Tagen beginnen die Wahlen zum Europäischen Parlament. Vom 23. bis zum 26. Mai können rund 373 Millionen EU-Bürger ihre Stimme abgeben. Die Bedeutung dieser Wahlen ist groß und kann nicht unterschätzt werden. Das Europäische Parlament will daher umfangreich informieren und vor allem die EU-Bürger dazu auffordern, zu den Wahlurnen zu gehen.

Die diesjährigen Europawahlen finden im Vergleich zum Urnengang 2014 in einem ganz anderen politischen Kontext statt. Denn nicht nur Europa, sondern die Welt insgesamt ist seitdem ein Stück eine andere geworden. Mit zuvorderst einem US-Präsidenten Donald Trump, der zuweilen so unberechenbar ist wie eine Flipperkugel, mit sogenannten sozialen Medien, die Quelle und Instrument zugleich für Desinformationen und Manipulationen sind, mit Russland, das sich für viele in offensichtlicher Weise dieser Mittel bedient, um mit Fake News Einfluss und Unsicherheit zu erzeugen.

Der Brexit und die Sitzzahl im EP

Und dann gibt es noch den Brexit, der am 29. März erfolgen soll, allerdings auch noch verschoben werden kann. Was im Extremfall dazu führen kann, obwohl alle beteiligten Politiker immer wieder beschwörend versichern, dies verhindern zu wollen, dass auch die Briten noch einmal EP-Abgeordnete wählen müssen. Das wiederum würde dazu führen, dass in 14 EU-Staaten weniger Parlamentarier gewählt werden können.

Denn nach dem Austritt Großbritanniens wird die Sitzzahl im Europäischen Parlament von 751 auf 705 reduziert. Ein Teil der Sitze, die dem Vereinigten Königreich zustehen, wurden auf andere EU-Staaten verteilt. Die Planung der Wahlen verlaufe jedoch gemäß der derzeit geltenden politischen Situation, erklärte der Sprecher des Europäischen Parlaments Jaume Duch Guillot gestern in Straßburg.

Eine der großen Fragen bei den kommenden Europawahlen wird es sein, ob sich im Europäischen Parlament eine stabile Mehrheit finden wird, um den künftigen EU-Kommissionspräsidenten zu bestimmen.

Die großen politischen Gruppierungen im Europäischen Parlament haben, wie bei den letzten Europawahlen, wieder einen sogenannten Spitzenkandidaten aufgestellt, der, sollte ihre Fraktion die Mehrheit bei den Wahlen erringen, die Nachfolge von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker antreten soll. Allerdings wird keine der Fraktionen die absolute Mehrheit erreichen, sodass unweigerlich Koalitionen eingegangen werden müssen.

Womit ein anderer wesentlicher Punkt der im Mai stattfindenden Wahlen ins Spiel kommt. Wie werden die im besten Fall EU-kritischen, im schlimmsten Fall EU-feindlichen Parteien bei den Wahlen abschneiden? Befürchtet wird, dass populistische und extremistische Parteien jeglicher Couleur in Scharen ins Europäische Parlament einziehen und somit das Funktionieren der Institution beeinträchtigen könnten.

Oder sie machen es rechnerisch unmöglich, dass eines der beiden traditionellen Lager (links/rechts) seinen Spitzenkandidaten aufgrund des Gewichts der Sitzverteilung durchbringen kann. Denn es ist klar, dass der Spitzenkandidat nicht allein auf die Mehrheit seiner Fraktion bauen kann. Er muss auch eine Mehrheit im Haus hinter sich haben. Womit letztendlich nicht unbedingt der Spitzenkandidat der Fraktion mit den meisten Sitzen zum Zuge kommen muss. In Luxemburg hat der derzeitige EU-Kommissionspräsident diese Erfahrung längst gemacht.

Mittlerweile haben bereits fünf politische Gruppierungen aus dem EP ihre(n) Spitzenkandidaten aufgestellt. Für die konservative EVP-Fraktion zieht deren Vorsitzender, der Deutsche Manfred Weber ins Rennen; für die Sozialdemokraten der Niederländer und gegenwärtige Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans; die Allianz der Konservativen und Reformer in Europa, der die luxemburgische ADR angehört, schicken den Tschechen Jan Zahradil; die Grünen haben eine Doppelspitze, die Deutsche Ska Keller und der Niederländer Bas Eickhout; die Linken haben ebenfalls zwei Kandidaten, die Slowenin Violeta Tomic und den Belgier Nico Cué, die beide nicht dem EP angehören.

Spitzenkandidat braucht Mehrheit im EP

Von den großen Parteien hat einzig die Fraktion der Liberalen ALDE keinen Spitzenkandidaten aufgesetzt. Dabei war deren Vorsitzender Guy Verhofstadt einst ein großer Verfechter des Systems der Spitzenkandidaten. Die Liberalen dürften ihre Entscheidung Ende März auf einem Kongress dazu festlegen.

Sorgen macht man sich im Europäischen Parlament um die Wahlbeteiligung. In nur fünf EU-Staaten besteht Wahlpflicht. Neben Luxemburg sind das Belgien, Bulgarien, Griechenland und Zypern. Das EP setzt daher auf Sensibilisierungs- und Informationskampagnen, u.a. „This time I’m voting“, um die EU-Bürger dazu zu bewegen, in der Zeit zwischen dem 23. und 26. Mai wählen zu gehen.

Jaume Duch Guillot erklärte gestern, dass sich sehr viele Organisationen aus der Zivilgesellschaft gemeldet hätten, um sich an diesen Kampagnen zu beteiligen. Das EP setzt dabei auch auf Prominente aus verschiedenen Ländern, wie etwa den italienischen Sänger Andrea Bocelli oder den niederländischen Architekten Rem Koolhaas. Auch Fußball-Stars sollen für die Kampagne verpflichtet werden.