Harfenistin aus Leidenschaft: ECHO-Rising-Star Anaïs Gaudemard im Gespräch

Harfenistin aus Leidenschaft: ECHO-Rising-Star Anaïs Gaudemard im Gespräch

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Jedes Jahr nominiert die European Concert Hall Organisation (ECHO) talentierte Nachwuchsmusiker und ermöglicht Ihnen Auftritte in den besten Konzerthäusern Europas. Zu der Organisation gehört auch die Philharmonie Luxemburg, die den Rising Stars alljährlich in einer eigenen Konzertreihe ein Podium bietet. Gestern stellte sich die französische Harfenistin Anaïs Gaudemard im Kammermusiksaal mit einem vielseitigen Programm vor.

Von unserem Korrespondenten Alain Steffen

CD-Tipp 1

A. Dietrich: Symphonie in d-moll, Violinkonzert, Introduktion und Romanze; Elisabeth Kufferath, Violine, Marie Louise Neunecker, Horn, Oldenburgisches Staatsorchester, Alexander Rumpf; 2 CD cpo 777 314-2; Aufnahme: 03/07 (86’19).
Die einzige erhältliche Aufnahme von Dietrichs Symphonie in der sehr guten Interpretation des Oldenburgischen Staatsorchesters. Auch Dietrichs Violinkonzert macht Lust auf mehr.

Anaïs Gaudemard (Jahrgang 1991) studierte am „Conservatoire national de Lyon“ und an der „Haute Ecole de musique“ von Lausanne. Sie hat innerhalb kurzer Zeit mehrere Preise gewonnen, was es ihr ermöglicht hat, mit namhaften Orchestern wie dem Lucerne Festival Orchestra, dem Isael Philharmonic Orchestra oder dem Orchestre de Chambre de Lausanne aufzutreten. Anaïs Gaudemard tritt als Solistin in zahlreichen Ländern auf und gibt Meisterklassen auf der ganzen Welt. Nach einer CD mit Harfenkonzerten von Ginastera, Debussy und Boieldieu erscheint in wenigen Tagen das neue Werk „Solo“. Wir trafen die Musikerin am Tage ihres Konzerts in der Philharmonie Luxemburg zu einem Gespräch.

Tageblatt: Frau Gaudemard, die meisten jungen Musiker, die eine Solokarriere anstreben, entscheiden sich für Instrumente wie Geige, Cello oder Klavier. Sie aber haben für sich die Harfe gewählt.

Ja und ich bin sehr, sehr glücklich mit dieser Entscheidung. Eigentlich habe ich zwei Instrumente parallel studiert: die Harfe und das Klavier. Und irgendwann hat mein Bauchgefühl mir gesagt, dass die Harfe mein Instrument werden soll. Ich liebe ihren Klang und die Möglichkeiten, die sie mir bietet. Und ich fühlte mich selbst mit der Harfe immer ein bisschen wohler als jetzt mit dem Klavier. Harfe spielen ist für mich eine wirkliche Leidenschaft.

Obwohl das Repertoire kleiner und unbekannter ist und kaum sogenannte Publikumsmagnete bietet? Ist es denn nicht frustrierend, dass Sie all die wunderbaren Klassiker von Beethoven, Schubert, Chopin und Brahms nicht spielen können?

Eigentlich nicht (lacht). Ich habe ja Klavier gelernt und kann, wenn mir danach ist, durchaus eine Beethoven-Sonate oder eine Chopin-Nocturne spielen. Allerdings mache ich das dann für mich und nicht im Konzert. Als Harfenistin habe ich dagegen die Möglichkeit, in unbekannte Gebiete vorzustoßen, ein Repertoire hörbar zu machen, das das Publikum nicht kennt. Natürlich ist es auch toll, für mein Instrument transkribierte Klassiker zu spielen. Heute Abend spiele ich beispielsweise Smetanas Moldau in der Bearbeitung von Hanus Trnecek.

Wie ist es denn nun um das Harfenrepertoire bestellt?

Die Harfe hat sich eigentlich ab Mitte des 19. Jahrhunderts emanzipiert. Obwohl sie bereits vorher gespielt wurde. Das liegt daran, dass sich das Instrument selber so perfektioniert hat, dass es uns die vielen Möglichkeiten bietet, die wir heute kennen. Eigentlich beginnt die große Zeit der Harfe Anfang des 20. Jahrhunderts, wo viele Komponisten das Potenzial des Instruments neu entdeckten. Aber es gab schon eine goldene Ära der Harfe in der Zeit von Königin Marie-Antoinette, die selber auch für das Instrument komponierte. Marie-Antoinette gehörte schon in Wien zu den Schülerinnen des von ihr dann später an der Opéra de Paris protegierten Christoph Willibald Gluck. In Versailles nahm sie Unterricht bei ihrem ehemaligen Harfenlehrer und „maître de harpe de la reine“ Philipp Joseph Hinner. Darüber hinaus veranstaltete Marie-Antoinette Harfenkonzerte in ihrem Salon, was dann im Paris von 1760 zu einer deutlichen Zunahme der Harfenliteratur in Paris führte.

Die Harfe wurde aber auch zum Symbol der gehobenen Gesellschaftsschicht und der Adligen. Und mit der Französischen Revolution fand dann auch der Stellenwert der Harfe ihr Ende. Doch heute finden sich immer mehr Komponisten, die für das Instrument schreiben. Was mir als Interpretin dann auch ermöglicht, eng mit den Komponisten unserer Zeit zusammenzuarbeiten und neue Werke uraufzuführen. Wie heute Abend, wenn ich „Nighthawks“ der jungen französischen Komponistin Camille Pépin spielen werde, ein Werk, das sich an dem berühmten Bild von Edward Hopper inspiriert.

CD-Tipp 2

R. Schumann: Cellokonzert op. 129, Adagio und Allegro op. 70, Fantasiestücke op. 73 & 88, Fünf Stücke im Volkston op. 102; Gautier Capuçon, Cello, Martha Argerich, Klavier, Renaud Capuçon, Violine, Chamber Orchestra of Europe, Bernard Haitink; 1 CD Erato 0190295634216; Aufnahmen: 2009-15 (78’19).

Die Interpreten dieser CD, allen voran der geniale Cellist Gautier Capuçon, geben uns eine Lektion in Sachen Stil und Musikalität. Haitink dirigiert tiefenentspannt. Musik pur.

Die Harfe, oder besser gesagt, ihre Vorgänger gab es aber schon 3.000 v. Chr.

Tatsächlich stammt das Instrument ursprünglich aus Mesopotamien. Aber auch in Ägypten kam es damals schon vor. Das waren natürlich sehr primitive Varianten. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich die Harfe kontinuierlich weiter, bis sie Anfang des 20. Jahrhunderts als die sogenannte Konzertharfe eine Qualität erreichte, die wohl nicht mehr zu toppen ist. Was aber interessant ist: Im Laufe der Jahrtausende gründete die Harfe quasi eine Familie mit vielen Cousins und Cousinen, die sich über die ganze Welt ausbreitete. Dazu gehören die Laute, die Zither, die Leier, die arabische Oud oder die keltische Harfe, die ja das Symbol von Irland ist. Harfenvarianten finden wir auch in Russland, Afrika, Südamerika oder Afghanistan. Und wenn man das alles zusammenbringt, dann haben wir ein enorm vielseitiges und vor allem sehr reiches Repertoire.

Als ECHO-Rising-Star haben Sie ja die Möglichkeit, als sogenannte „carte blanche“ ihr eigenes Programm zusammenzustellen.

Ja, für diese Tournee im Rahmen der Rising-Stars-Konzerte habe ich drei verschiedene Programme zusammengestellt. In der Philharmonie Luxemburg spiele ich das Programm „In the Wild“ mit Kompositionen zum Thema Natur. Dann hab ich noch ein Programm, „Exil“, mit u.a. Werken von Paul Hindemith und Benjamin Britten sowie ein drittes mit einem solistischen Teil, während ich in der zweiten Konzerthälfte mit einem Streichquartett auftrete und wir die „Dance sacrée“ und „Danse profane“ von Debussy und „Le masque de la mort rouge“ von André Caplet spielen.

Aufgrund welcher Kriterien wurden Sie eigentlich ausgewählt?

Ich wurde von der Philharmonie de Paris und der Gulbenkian Foundation Lissabon nominiert. Höchstwahrscheinlich aufgrund von Konzerten, die ich dort im Vorjahr gegeben hatte. Ich hatte auch einige pädagogische Projekte im Koffer, die den Verantwortlichen wohl gefallen haben. Morgen gehe ich beispielsweise in die Europaschule auf Kirchberg und nach unserem Gespräch hier kommt eine Schulklasse zu mir in den Kammermusiksaal. Die Auswahl selbst, glaube ich, ist eine Herzensangelegenheit. Alle Musiker der Rising Stars sind ja keine Anfänger, sondern haben schon eine kleine Karriere hinter sich. Die ECHO-Organisatoren hören einen jungen Musiker, der ihnen gefällt und der sie überzeugt, und wollen ihm eine Chance für die Zukunft bieten. Ich finde das schön, weil man quasi einfach so, durch seine musikalische Leistung, ausgewählt wird, und nicht, weil man den ersten Preis eines Wettbewerbs gewonnen hat.